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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
diges und Einseitiges, daher z. Thl. Unwahres, der allgemeinen um-
fassenden Idee Entgegengesetztes. Die Tendenz oder vielmehr das
Princip der Einheit, des einzigen Alles in sich einschliessenden
Ganzen haben wir mit der höheren Totalität, dessen Theilorganis-
men wir selbst sind, gemeinschaftlich. Allein die Realitäten sind ver-
schieden, für uns eine grössere oder geringere Anzahl sinnlicher Ob-
jecte, deren Erkenntniss uns immer mehr oder minder mangelhaft
bleibt. Mit der Zahl dieser erkannten Dinge aber wächst einzig und
allein das Materiale unseres wahren Wissens und wenn dieses auch
nie die Natur vollkommen zu umfassen vermag, so vollbringt es
doch dieses um so genügender, eine je grössere Menge von Ein-
zelheiten der singulären Objecte wir in ihrem inneren Zusammen-
hange aufgenommen und zu einer umfassenden Einheit verbunden
haben. Der Mangel an empirischen Factis führt zu einer Leer-
heit, in welcher der Forschergeist nie ruhen kann. Daher keine
Erfahrung, und scheine sie noch so unbedeutend und kleinlich,
es in der That ist, sondern das wesentliche Glied einer schon
geoffenbarten oder in Zukunft noch zu enthüllenden Erkenntniss.

Zunächst ist es nun aber von Interesse, das Verhältniss des
höheren Ganzen zu den relativen Individualitäten und dieser un-
ter einander zu erforschen. Der Weg, auf dem wir zur Erkennt-
niss des Allgemeinen, welches allen Objecten zum Grunde liegt,
gelangen, ist für unsere Weise ein durchaus synthetischer. An
und für sich liesse sich aus der unendlichen Mannigfaltigkeit der
unserer sinnlichen Auffassung sich darbietenden Objecte von uns
keine Ordnung, kein Plan entnehmen. Denn keines derselben
ist dem anderen vollkommen gleich, sondern durch bestimmte
eigenthümliche Merkmahle geschieden. Unser Geist entfernt nur
das Unähnliche und Ungleiche und erzeugt so eine Zahl neben
einander stehender Gruppen, welche eine Reihe in gewissen Cha-
rakteren übereinstimmender Objecte umfassen, wo also die spe-
cielle Individualität der Einzelnen durch die Gruppirung vernich-
tet worden. Das Aehnliche und Gleiche constituirt aber den
Gruppencharakter. Es ist die derselben zum Grunde liegende Idee
und für diese Gruppe oder Abtheilung Uridee. Je höher jene
also ist, einen je grösseren Umfang sie hat, von um so grösserem
Umfange auch ist natürlich die Uridee. Allein diese findet sich
nothwendiger Weise in keinem Individuum vollständig realisirt,
da die Charaktere jedes Einzelwesens zahlreicher seyn müssen.

Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
diges und Einseitiges, daher z. Thl. Unwahres, der allgemeinen um-
fassenden Idee Entgegengesetztes. Die Tendenz oder vielmehr das
Princip der Einheit, des einzigen Alles in sich einschlieſsenden
Ganzen haben wir mit der höheren Totalität, dessen Theilorganis-
men wir selbst sind, gemeinschaftlich. Allein die Realitäten sind ver-
schieden, für uns eine gröſsere oder geringere Anzahl sinnlicher Ob-
jecte, deren Erkenntniſs uns immer mehr oder minder mangelhaft
bleibt. Mit der Zahl dieser erkannten Dinge aber wächst einzig und
allein das Materiale unseres wahren Wissens und wenn dieses auch
nie die Natur vollkommen zu umfassen vermag, so vollbringt es
doch dieses um so genügender, eine je gröſsere Menge von Ein-
zelheiten der singulären Objecte wir in ihrem inneren Zusammen-
hange aufgenommen und zu einer umfassenden Einheit verbunden
haben. Der Mangel an empirischen Factis führt zu einer Leer-
heit, in welcher der Forschergeist nie ruhen kann. Daher keine
Erfahrung, und scheine sie noch so unbedeutend und kleinlich,
es in der That ist, sondern das wesentliche Glied einer schon
geoffenbarten oder in Zukunft noch zu enthüllenden Erkenntniſs.

Zunächst ist es nun aber von Interesse, das Verhältniſs des
höheren Ganzen zu den relativen Individualitäten und dieser un-
ter einander zu erforschen. Der Weg, auf dem wir zur Erkennt-
niſs des Allgemeinen, welches allen Objecten zum Grunde liegt,
gelangen, ist für unsere Weise ein durchaus synthetischer. An
und für sich lieſse sich aus der unendlichen Mannigfaltigkeit der
unserer sinnlichen Auffassung sich darbietenden Objecte von uns
keine Ordnung, kein Plan entnehmen. Denn keines derselben
ist dem anderen vollkommen gleich, sondern durch bestimmte
eigenthümliche Merkmahle geschieden. Unser Geist entfernt nur
das Unähnliche und Ungleiche und erzeugt so eine Zahl neben
einander stehender Gruppen, welche eine Reihe in gewissen Cha-
rakteren übereinstimmender Objecte umfassen, wo also die spe-
cielle Individualität der Einzelnen durch die Gruppirung vernich-
tet worden. Das Aehnliche und Gleiche constituirt aber den
Gruppencharakter. Es ist die derselben zum Grunde liegende Idee
und für diese Gruppe oder Abtheilung Uridee. Je höher jene
also ist, einen je gröſseren Umfang sie hat, von um so gröſserem
Umfange auch ist natürlich die Uridee. Allein diese findet sich
nothwendiger Weise in keinem Individuum vollständig realisirt,
da die Charaktere jedes Einzelwesens zahlreicher seyn müssen.

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[586/0614] Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung. diges und Einseitiges, daher z. Thl. Unwahres, der allgemeinen um- fassenden Idee Entgegengesetztes. Die Tendenz oder vielmehr das Princip der Einheit, des einzigen Alles in sich einschlieſsenden Ganzen haben wir mit der höheren Totalität, dessen Theilorganis- men wir selbst sind, gemeinschaftlich. Allein die Realitäten sind ver- schieden, für uns eine gröſsere oder geringere Anzahl sinnlicher Ob- jecte, deren Erkenntniſs uns immer mehr oder minder mangelhaft bleibt. Mit der Zahl dieser erkannten Dinge aber wächst einzig und allein das Materiale unseres wahren Wissens und wenn dieses auch nie die Natur vollkommen zu umfassen vermag, so vollbringt es doch dieses um so genügender, eine je gröſsere Menge von Ein- zelheiten der singulären Objecte wir in ihrem inneren Zusammen- hange aufgenommen und zu einer umfassenden Einheit verbunden haben. Der Mangel an empirischen Factis führt zu einer Leer- heit, in welcher der Forschergeist nie ruhen kann. Daher keine Erfahrung, und scheine sie noch so unbedeutend und kleinlich, es in der That ist, sondern das wesentliche Glied einer schon geoffenbarten oder in Zukunft noch zu enthüllenden Erkenntniſs. Zunächst ist es nun aber von Interesse, das Verhältniſs des höheren Ganzen zu den relativen Individualitäten und dieser un- ter einander zu erforschen. Der Weg, auf dem wir zur Erkennt- niſs des Allgemeinen, welches allen Objecten zum Grunde liegt, gelangen, ist für unsere Weise ein durchaus synthetischer. An und für sich lieſse sich aus der unendlichen Mannigfaltigkeit der unserer sinnlichen Auffassung sich darbietenden Objecte von uns keine Ordnung, kein Plan entnehmen. Denn keines derselben ist dem anderen vollkommen gleich, sondern durch bestimmte eigenthümliche Merkmahle geschieden. Unser Geist entfernt nur das Unähnliche und Ungleiche und erzeugt so eine Zahl neben einander stehender Gruppen, welche eine Reihe in gewissen Cha- rakteren übereinstimmender Objecte umfassen, wo also die spe- cielle Individualität der Einzelnen durch die Gruppirung vernich- tet worden. Das Aehnliche und Gleiche constituirt aber den Gruppencharakter. Es ist die derselben zum Grunde liegende Idee und für diese Gruppe oder Abtheilung Uridee. Je höher jene also ist, einen je gröſseren Umfang sie hat, von um so gröſserem Umfange auch ist natürlich die Uridee. Allein diese findet sich nothwendiger Weise in keinem Individuum vollständig realisirt, da die Charaktere jedes Einzelwesens zahlreicher seyn müssen.

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/614>, abgerufen am 28.03.2024.