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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
sie sich gleichzeitig in den verschiedenen Raumverhältnissen dar-
bieten, verfolgte die höhere Zoologie und die vergleichende Ana-
tomie. Diese den beiden Wissenschaften gestellten Probleme sind
aber nicht so einfach, als es auf den ersten Blick den Anschein
haben dürfte. Es giebt zwar gewisse Hauptcharaktere, auf wel-
chen die grösseren Abtheilungen der Thierwelt in den Systemen
basirt werden, die mit inneren wichtigen Merkmahlen auch äu-
sserlich leicht kenntliche Zeichen verbinden und auf diese Weise
ziemlich feste und unverrückbare Gruppen abgeben. So die Zer-
fällung der Thierwelt in Wirbellose und Wirbelthiere, und der
letzteren in Säugethiere, Vögel, Amphibien und Fische. Allein
zeigen sich hier schon Schwierigkeiten, jeder einzelnen Form
ihren bestimmten Platz anzuweisen, so häufen sich in der Meta-
morphosenlehre der Organe die Hindernisse um so mehr, je viel-
seitigere und abweichendere Verhältnisse die einzelnen Organe
in ihren Veränderungen behaupten, je grösser die Aberrationen
in den Metamorphosenreihen der einzelnen Organe unter einander
selbst sind. So ist z. B. der Darmkanal von einer weit allge-
meineren, constanten Bildung, während eine wahre Lungenbildung
in der Reihe der Wirbellosen vielleicht zum Theil bei den Spin-
nen, in der Reihe der Wirbelthiere erst bei den luftathmenden
Amphibien im Ganzen noch unvollkommen hervortritt und in
der Klasse der Vögel einen höheren Grad der Ausbildung erreicht
als in der angeblich höher stehenden Klasse der Säugethiere.
Ein neuer Beweis für die Unvollständigkeit unserer Auffassungs-
weise. Denn wir sehen nach gewissen abstrahirten Merkmahlen
eine Thierklasse für höher stehend, als die andere, an, und wer-
den durch ähnliche Beispiele, als das eben angeführte, nur zu oft
widerlegt. Es hat daher immer etwas Schiefes, wenn wir sagen,
dass ein Thier höher gestellt sey, als das andere, da in der Regel
die einseitige Rücksicht auf die mehr oder minder Statt findende
Präponderanz der animalischen Organe über die vegetativen bei
solchen Bestimmungen uns leitet.

Für die Realisationen der Uridee in der Thierwelt überhaupt
pflegt man auch den Namen des Typus zu gebrauchen. Wir wol-
len aber diesen Ausdruck nur für die Verwirklichung der Uridee
in den einzelnen Organen benutzen. Wir haben es schon oben
gesehen, dass das den Urideen nach entworfene System keines-
weges mit den Organtypen correspondirt, sondern dass jedes von

Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
sie sich gleichzeitig in den verschiedenen Raumverhältnissen dar-
bieten, verfolgte die höhere Zoologie und die vergleichende Ana-
tomie. Diese den beiden Wissenschaften gestellten Probleme sind
aber nicht so einfach, als es auf den ersten Blick den Anschein
haben dürfte. Es giebt zwar gewisse Hauptcharaktere, auf wel-
chen die gröſseren Abtheilungen der Thierwelt in den Systemen
basirt werden, die mit inneren wichtigen Merkmahlen auch äu-
ſserlich leicht kenntliche Zeichen verbinden und auf diese Weise
ziemlich feste und unverrückbare Gruppen abgeben. So die Zer-
fällung der Thierwelt in Wirbellose und Wirbelthiere, und der
letzteren in Säugethiere, Vögel, Amphibien und Fische. Allein
zeigen sich hier schon Schwierigkeiten, jeder einzelnen Form
ihren bestimmten Platz anzuweisen, so häufen sich in der Meta-
morphosenlehre der Organe die Hindernisse um so mehr, je viel-
seitigere und abweichendere Verhältnisse die einzelnen Organe
in ihren Veränderungen behaupten, je gröſser die Aberrationen
in den Metamorphosenreihen der einzelnen Organe unter einander
selbst sind. So ist z. B. der Darmkanal von einer weit allge-
meineren, constanten Bildung, während eine wahre Lungenbildung
in der Reihe der Wirbellosen vielleicht zum Theil bei den Spin-
nen, in der Reihe der Wirbelthiere erst bei den luftathmenden
Amphibien im Ganzen noch unvollkommen hervortritt und in
der Klasse der Vögel einen höheren Grad der Ausbildung erreicht
als in der angeblich höher stehenden Klasse der Säugethiere.
Ein neuer Beweis für die Unvollständigkeit unserer Auffassungs-
weise. Denn wir sehen nach gewissen abstrahirten Merkmahlen
eine Thierklasse für höher stehend, als die andere, an, und wer-
den durch ähnliche Beispiele, als das eben angeführte, nur zu oft
widerlegt. Es hat daher immer etwas Schiefes, wenn wir sagen,
daſs ein Thier höher gestellt sey, als das andere, da in der Regel
die einseitige Rücksicht auf die mehr oder minder Statt findende
Präponderanz der animalischen Organe über die vegetativen bei
solchen Bestimmungen uns leitet.

Für die Realisationen der Uridee in der Thierwelt überhaupt
pflegt man auch den Namen des Typus zu gebrauchen. Wir wol-
len aber diesen Ausdruck nur für die Verwirklichung der Uridee
in den einzelnen Organen benutzen. Wir haben es schon oben
gesehen, daſs das den Urideen nach entworfene System keines-
weges mit den Organtypen correspondirt, sondern daſs jedes von

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[588/0616] Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung. sie sich gleichzeitig in den verschiedenen Raumverhältnissen dar- bieten, verfolgte die höhere Zoologie und die vergleichende Ana- tomie. Diese den beiden Wissenschaften gestellten Probleme sind aber nicht so einfach, als es auf den ersten Blick den Anschein haben dürfte. Es giebt zwar gewisse Hauptcharaktere, auf wel- chen die gröſseren Abtheilungen der Thierwelt in den Systemen basirt werden, die mit inneren wichtigen Merkmahlen auch äu- ſserlich leicht kenntliche Zeichen verbinden und auf diese Weise ziemlich feste und unverrückbare Gruppen abgeben. So die Zer- fällung der Thierwelt in Wirbellose und Wirbelthiere, und der letzteren in Säugethiere, Vögel, Amphibien und Fische. Allein zeigen sich hier schon Schwierigkeiten, jeder einzelnen Form ihren bestimmten Platz anzuweisen, so häufen sich in der Meta- morphosenlehre der Organe die Hindernisse um so mehr, je viel- seitigere und abweichendere Verhältnisse die einzelnen Organe in ihren Veränderungen behaupten, je gröſser die Aberrationen in den Metamorphosenreihen der einzelnen Organe unter einander selbst sind. So ist z. B. der Darmkanal von einer weit allge- meineren, constanten Bildung, während eine wahre Lungenbildung in der Reihe der Wirbellosen vielleicht zum Theil bei den Spin- nen, in der Reihe der Wirbelthiere erst bei den luftathmenden Amphibien im Ganzen noch unvollkommen hervortritt und in der Klasse der Vögel einen höheren Grad der Ausbildung erreicht als in der angeblich höher stehenden Klasse der Säugethiere. Ein neuer Beweis für die Unvollständigkeit unserer Auffassungs- weise. Denn wir sehen nach gewissen abstrahirten Merkmahlen eine Thierklasse für höher stehend, als die andere, an, und wer- den durch ähnliche Beispiele, als das eben angeführte, nur zu oft widerlegt. Es hat daher immer etwas Schiefes, wenn wir sagen, daſs ein Thier höher gestellt sey, als das andere, da in der Regel die einseitige Rücksicht auf die mehr oder minder Statt findende Präponderanz der animalischen Organe über die vegetativen bei solchen Bestimmungen uns leitet. Für die Realisationen der Uridee in der Thierwelt überhaupt pflegt man auch den Namen des Typus zu gebrauchen. Wir wol- len aber diesen Ausdruck nur für die Verwirklichung der Uridee in den einzelnen Organen benutzen. Wir haben es schon oben gesehen, daſs das den Urideen nach entworfene System keines- weges mit den Organtypen correspondirt, sondern daſs jedes von

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/616>, abgerufen am 28.03.2024.