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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
unsere Erkenntniss derselben wird in geradem Verhältnisse ihrer
Vielseitigkeit vollständiger und richtiger.

Die Idee der Entwickelung findet aber auf verschiedene
Ganze ihre Anwendung und constituirt nach diesen verschiedene
Disciplinen, so z. B. in Rücksicht der Thierwelt die höhere Zoo-
logie, in Rücksicht der organischen Verbindung der einzelnen
Organe in den Thieren die vergleichende Anatomie und in Rück-
sicht der Zeit in dem einzelnen Thiere die individuelle Entwicke-
lungsgeschichte. Alle diese Disciplinen sind aber derjenigen,
welche von dem höheren Ganzen handelt, der Lehre von dem
Leben untergeordnet. Unserem sinnlichen Blicke fehlt jede Ver-
knüpfung dieser scheinbar geschiedenen Disciplinen. Die Ent-
wickelung der Thierwelt, sowohl in Rücksicht der Totalität, als
der einzelnen Organe, ist eine gleichzeitig existirende Mannigfal-
tigkeit verschiedener Objecte, die des individuellen Thieres eine
Reihe in der Zeit erscheinender und wechselnder Zustände des-
selben Objectes. Da aber in dem höheren Ganzen, als dem Ab-
stractum, der Negation der Sinnlichkeit, Zeit und Raum als nie-
dere Verhältnisse untergehen, so bleibt nur die einende und iden-
tische Uridee des Thieres übrig, welche in allen drei Disciplinen
einen und denselben Charakter haben muss. Wir schliessen da-
her hieraus, dass die Entwickelung der Thierwelt und des indi-
viduellen Thieres in der Uridee durchaus Eines und identisch, in
der sinnlichen Welt der Einzelwesen aber völlig different und
nach verschiedenen Richtungen hin ausgebildet seyen. Zu der
weiteren Ausführung und Anwendung des Gesagten wird sich
bald die erwünschte Gelegenheit darbieten.

IV.
Entwickelung des individuellen Thieres.

Die Tendenz jeder individuellen Entwickelung besteht darin,
aus einem gegebenen Objecte ein bestimmtes, relativ selbststän-
diges, lebendiges Individuum zu machen. Die Gesammtheit der
speciellen Eigenthümlichkeiten des darzustellenden Individuum
ist daher der Zweck derselben, den sie im Laufe ihrer bestimm-
ten Entwickelungszeit erreicht. Hierzu sind aber zwei Dinge
nothwendig, 1. ein wiederum specieller, relativ individualisirter

Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
unsere Erkenntniſs derselben wird in geradem Verhältnisse ihrer
Vielseitigkeit vollständiger und richtiger.

Die Idee der Entwickelung findet aber auf verschiedene
Ganze ihre Anwendung und constituirt nach diesen verschiedene
Disciplinen, so z. B. in Rücksicht der Thierwelt die höhere Zoo-
logie, in Rücksicht der organischen Verbindung der einzelnen
Organe in den Thieren die vergleichende Anatomie und in Rück-
sicht der Zeit in dem einzelnen Thiere die individuelle Entwicke-
lungsgeschichte. Alle diese Disciplinen sind aber derjenigen,
welche von dem höheren Ganzen handelt, der Lehre von dem
Leben untergeordnet. Unserem sinnlichen Blicke fehlt jede Ver-
knüpfung dieser scheinbar geschiedenen Disciplinen. Die Ent-
wickelung der Thierwelt, sowohl in Rücksicht der Totalität, als
der einzelnen Organe, ist eine gleichzeitig existirende Mannigfal-
tigkeit verschiedener Objecte, die des individuellen Thieres eine
Reihe in der Zeit erscheinender und wechselnder Zustände des-
selben Objectes. Da aber in dem höheren Ganzen, als dem Ab-
stractum, der Negation der Sinnlichkeit, Zeit und Raum als nie-
dere Verhältnisse untergehen, so bleibt nur die einende und iden-
tische Uridee des Thieres übrig, welche in allen drei Disciplinen
einen und denselben Charakter haben muſs. Wir schlieſsen da-
her hieraus, daſs die Entwickelung der Thierwelt und des indi-
viduellen Thieres in der Uridee durchaus Eines und identisch, in
der sinnlichen Welt der Einzelwesen aber völlig different und
nach verschiedenen Richtungen hin ausgebildet seyen. Zu der
weiteren Ausführung und Anwendung des Gesagten wird sich
bald die erwünschte Gelegenheit darbieten.

IV.
Entwickelung des individuellen Thieres.

Die Tendenz jeder individuellen Entwickelung besteht darin,
aus einem gegebenen Objecte ein bestimmtes, relativ selbststän-
diges, lebendiges Individuum zu machen. Die Gesammtheit der
speciellen Eigenthümlichkeiten des darzustellenden Individuum
ist daher der Zweck derselben, den sie im Laufe ihrer bestimm-
ten Entwickelungszeit erreicht. Hierzu sind aber zwei Dinge
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[590/0618] Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung. unsere Erkenntniſs derselben wird in geradem Verhältnisse ihrer Vielseitigkeit vollständiger und richtiger. Die Idee der Entwickelung findet aber auf verschiedene Ganze ihre Anwendung und constituirt nach diesen verschiedene Disciplinen, so z. B. in Rücksicht der Thierwelt die höhere Zoo- logie, in Rücksicht der organischen Verbindung der einzelnen Organe in den Thieren die vergleichende Anatomie und in Rück- sicht der Zeit in dem einzelnen Thiere die individuelle Entwicke- lungsgeschichte. Alle diese Disciplinen sind aber derjenigen, welche von dem höheren Ganzen handelt, der Lehre von dem Leben untergeordnet. Unserem sinnlichen Blicke fehlt jede Ver- knüpfung dieser scheinbar geschiedenen Disciplinen. Die Ent- wickelung der Thierwelt, sowohl in Rücksicht der Totalität, als der einzelnen Organe, ist eine gleichzeitig existirende Mannigfal- tigkeit verschiedener Objecte, die des individuellen Thieres eine Reihe in der Zeit erscheinender und wechselnder Zustände des- selben Objectes. Da aber in dem höheren Ganzen, als dem Ab- stractum, der Negation der Sinnlichkeit, Zeit und Raum als nie- dere Verhältnisse untergehen, so bleibt nur die einende und iden- tische Uridee des Thieres übrig, welche in allen drei Disciplinen einen und denselben Charakter haben muſs. Wir schlieſsen da- her hieraus, daſs die Entwickelung der Thierwelt und des indi- viduellen Thieres in der Uridee durchaus Eines und identisch, in der sinnlichen Welt der Einzelwesen aber völlig different und nach verschiedenen Richtungen hin ausgebildet seyen. Zu der weiteren Ausführung und Anwendung des Gesagten wird sich bald die erwünschte Gelegenheit darbieten. IV. Entwickelung des individuellen Thieres. Die Tendenz jeder individuellen Entwickelung besteht darin, aus einem gegebenen Objecte ein bestimmtes, relativ selbststän- diges, lebendiges Individuum zu machen. Die Gesammtheit der speciellen Eigenthümlichkeiten des darzustellenden Individuum ist daher der Zweck derselben, den sie im Laufe ihrer bestimm- ten Entwickelungszeit erreicht. Hierzu sind aber zwei Dinge nothwendig, 1. ein wiederum specieller, relativ individualisirter

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 590. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/618>, abgerufen am 29.03.2024.