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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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zu nennen. So sehr dieses Bestreben auch zur Begründung un-
serer literarischen Kenntnisse beitragen kann, so stehen ihm doch
zwei Hindernisse entgegen, welche den Werth solcher Bemühun-
gen um nicht Weniges beeinträchtigen. Denn erstlich liegt es in
der Natur der Sache, dass Dinge, wie die decidua, sehr leicht
gesehen werden, besonders da sie nicht selten theilweise oder
ganz an den durch Abortus entfernten Eiern haftet, ja, z. B.
nach Bischoff (Beiträge zur Lehre von den Eihüllen des mensch-
lichen Fötus. 1834. 8. S. 21.) selbst an dem ausgetragenen Eie
nie fehlt. Es handelt sich daher hier nicht darum, wer sie über-
haupt gesehen, sondern die Hauptfrage bleibt vielmehr die, wer
sie zuerst vollständig und richtig gesehen, in allen ihren Verhält-
nissen beobachtet und erkannt habe. Zweitens muss man beden-
ken, dass alle älteren Beschreibungen von Eihäuten in gewissem
Grade für uns unverständlich, wenigstens nicht ganz sicher zu
deuten sind, da zu jener Zeit Mancher gerade die Genauigkeit in
der Anatomie darin zu finden glaubte, ein Organ oder einen Or-
gantheil in recht viele Membranen, und seyen diese noch so sehr er-
künstelt, zu zerfällen. Auch wechseln die Ausdrücke auf die freieste
Weise, so dass schon zu der Zeit des Erscheinens der älteren Werke
der Undeutlichkeiten genug existirten. Einen Beleg zu dem Ge-
sagten kann uns die Angabe des ersten Entdeckers der decidua
geben. Nach Lobstein (l. c. p. 10.) und Breschet (l. c. p. 4.)
soll Aretäus von Cappadocien zuerst die decidua erwähnen, wäh-
rend er nach Velpeau (Embryologie p. 1.) keinen Begriff davon
hatte. Das Wahre ist aber hier dieses, dass der genannte Schrift-
steller nur von zwei Membranen spricht, von denen die eine in-
niger an dem Uterus hafte, die andere mehr zu dem Eie selbst
gehöre. Nur um der Vollständigkeit zu gnügen, fügen wir Eini-
ges über die ältesten Schriftsteller nach Breschets Angaben (l. c.
p. 3. 93.) hinzu, bemerken aber ausdrücklich, dass meistens hier nur
von Wahrscheinlichkeit, nicht aber von Gewissheit die Rede seyn
kann. Nach Breschet kannte Aretaeus Cappadox zuerst die de-
cidua
. Arantius dagegen spricht nur von einer nicht einfachen
Substanz. Fabrizius ab Aquapendente unterscheidet zwei Lagen,
nämlich eine schwärzliche, dem Leber- oder Milzparenchym ähn-
liche und eine andere, weisse und schleimige. Fallopius war die
decidua bekannt; nicht aber Vesal und Spigel. Dagegen kannte
sie Harvey, während Ruysch nur das Chorion beschreibt. Hobo-

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V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.
zu nennen. So sehr dieses Bestreben auch zur Begründung un-
serer literarischen Kenntnisse beitragen kann, so stehen ihm doch
zwei Hindernisse entgegen, welche den Werth solcher Bemühun-
gen um nicht Weniges beeinträchtigen. Denn erstlich liegt es in
der Natur der Sache, daſs Dinge, wie die decidua, sehr leicht
gesehen werden, besonders da sie nicht selten theilweise oder
ganz an den durch Abortus entfernten Eiern haftet, ja, z. B.
nach Bischoff (Beiträge zur Lehre von den Eihüllen des mensch-
lichen Fötus. 1834. 8. S. 21.) selbst an dem ausgetragenen Eie
nie fehlt. Es handelt sich daher hier nicht darum, wer sie über-
haupt gesehen, sondern die Hauptfrage bleibt vielmehr die, wer
sie zuerst vollständig und richtig gesehen, in allen ihren Verhält-
nissen beobachtet und erkannt habe. Zweitens muſs man beden-
ken, daſs alle älteren Beschreibungen von Eihäuten in gewissem
Grade für uns unverständlich, wenigstens nicht ganz sicher zu
deuten sind, da zu jener Zeit Mancher gerade die Genauigkeit in
der Anatomie darin zu finden glaubte, ein Organ oder einen Or-
gantheil in recht viele Membranen, und seyen diese noch so sehr er-
künstelt, zu zerfällen. Auch wechseln die Ausdrücke auf die freieste
Weise, so daſs schon zu der Zeit des Erscheinens der älteren Werke
der Undeutlichkeiten genug existirten. Einen Beleg zu dem Ge-
sagten kann uns die Angabe des ersten Entdeckers der decidua
geben. Nach Lobstein (l. c. p. 10.) und Breschet (l. c. p. 4.)
soll Aretäus von Cappadocien zuerst die decidua erwähnen, wäh-
rend er nach Velpeau (Embryologie p. 1.) keinen Begriff davon
hatte. Das Wahre ist aber hier dieses, daſs der genannte Schrift-
steller nur von zwei Membranen spricht, von denen die eine in-
niger an dem Uterus hafte, die andere mehr zu dem Eie selbst
gehöre. Nur um der Vollständigkeit zu gnügen, fügen wir Eini-
ges über die ältesten Schriftsteller nach Breschets Angaben (l. c.
p. 3. 93.) hinzu, bemerken aber ausdrücklich, daſs meistens hier nur
von Wahrscheinlichkeit, nicht aber von Gewiſsheit die Rede seyn
kann. Nach Breschet kannte Aretaeus Cappadox zuerst die de-
cidua
. Arantius dagegen spricht nur von einer nicht einfachen
Substanz. Fabrizius ab Aquapendente unterscheidet zwei Lagen,
nämlich eine schwärzliche, dem Leber- oder Milzparenchym ähn-
liche und eine andere, weiſse und schleimige. Fallopius war die
decidua bekannt; nicht aber Vesal und Spigel. Dagegen kannte
sie Harvey, während Ruysch nur das Chorion beschreibt. Hobo-

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[51/0079] V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk. zu nennen. So sehr dieses Bestreben auch zur Begründung un- serer literarischen Kenntnisse beitragen kann, so stehen ihm doch zwei Hindernisse entgegen, welche den Werth solcher Bemühun- gen um nicht Weniges beeinträchtigen. Denn erstlich liegt es in der Natur der Sache, daſs Dinge, wie die decidua, sehr leicht gesehen werden, besonders da sie nicht selten theilweise oder ganz an den durch Abortus entfernten Eiern haftet, ja, z. B. nach Bischoff (Beiträge zur Lehre von den Eihüllen des mensch- lichen Fötus. 1834. 8. S. 21.) selbst an dem ausgetragenen Eie nie fehlt. Es handelt sich daher hier nicht darum, wer sie über- haupt gesehen, sondern die Hauptfrage bleibt vielmehr die, wer sie zuerst vollständig und richtig gesehen, in allen ihren Verhält- nissen beobachtet und erkannt habe. Zweitens muſs man beden- ken, daſs alle älteren Beschreibungen von Eihäuten in gewissem Grade für uns unverständlich, wenigstens nicht ganz sicher zu deuten sind, da zu jener Zeit Mancher gerade die Genauigkeit in der Anatomie darin zu finden glaubte, ein Organ oder einen Or- gantheil in recht viele Membranen, und seyen diese noch so sehr er- künstelt, zu zerfällen. Auch wechseln die Ausdrücke auf die freieste Weise, so daſs schon zu der Zeit des Erscheinens der älteren Werke der Undeutlichkeiten genug existirten. Einen Beleg zu dem Ge- sagten kann uns die Angabe des ersten Entdeckers der decidua geben. Nach Lobstein (l. c. p. 10.) und Breschet (l. c. p. 4.) soll Aretäus von Cappadocien zuerst die decidua erwähnen, wäh- rend er nach Velpeau (Embryologie p. 1.) keinen Begriff davon hatte. Das Wahre ist aber hier dieses, daſs der genannte Schrift- steller nur von zwei Membranen spricht, von denen die eine in- niger an dem Uterus hafte, die andere mehr zu dem Eie selbst gehöre. Nur um der Vollständigkeit zu gnügen, fügen wir Eini- ges über die ältesten Schriftsteller nach Breschets Angaben (l. c. p. 3. 93.) hinzu, bemerken aber ausdrücklich, daſs meistens hier nur von Wahrscheinlichkeit, nicht aber von Gewiſsheit die Rede seyn kann. Nach Breschet kannte Aretaeus Cappadox zuerst die de- cidua. Arantius dagegen spricht nur von einer nicht einfachen Substanz. Fabrizius ab Aquapendente unterscheidet zwei Lagen, nämlich eine schwärzliche, dem Leber- oder Milzparenchym ähn- liche und eine andere, weiſse und schleimige. Fallopius war die decidua bekannt; nicht aber Vesal und Spigel. Dagegen kannte sie Harvey, während Ruysch nur das Chorion beschreibt. Hobo- 4*

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/79>, abgerufen am 25.04.2024.