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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

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Nägel, Lippen, Augen und Haar. Ob sie es damals
schon verstand, gehörig Farbe zu wechseln und zu ver¬
schmelzen, das mag an ihren ziemlich ungleich ausge¬
mahlten Enkeln jeder Kunstkenner mit noch so eigen¬
liebigem Forschglase, wenn nur stets nach allgültigen
Grundsätzen vom neuesten Zuschnitt, in Augenschein
nehmen. Doch sogar aufputzen mußte nothwendig eine
Mutter, und am frühen Morgen schon, ihre jüngsten
Kinder; so entstand denn bald hier ein Lockenspiel, bald
dort ein Wellenschlag, der Haupthaare und des männ¬
lichen Bartes.

Aber welcher tiefere Meistersinn mag wohl vorzüg¬
lich ihre bildende und schmückende Hand geübt, ihr
liebendes Auge ergetzt haben? Darf man der Sage
trauen, so war es jene zarte und strenge Sonderung
der Geschlechter, beide vor ihrer völligen Reife nie zu
grell abstechend, und nur desto greller hinterdrein.

Eben daher geschah für den vollkräftigen Mann
noch ein Uebriges. Als ihn der Künstlerin Scharfblick
mit jener vorrechtlichen Zierde seines bärtigen Kinnes
beschenkte, da verbot sie ihm nicht allein, je weiblich,
geschweige denn weibisch oder kindisch zu erscheinen, son¬
dern stempelte sogar an dieser augenfälligen Lebensuhr
aller Mannhaftigkeit jede spätere Jahrziffer mit härterem
Nachdruck: damit, unter noch so verschiedenartigen Be¬
zügen, stets der fortgeschlichene Schattenweiser auch den
ächten Natursohn bestimmt ankündigen müsse, wie jeder

Naͤgel, Lippen, Augen und Haar. Ob ſie es damals
ſchon verſtand, gehoͤrig Farbe zu wechſeln und zu ver¬
ſchmelzen, das mag an ihren ziemlich ungleich ausge¬
mahlten Enkeln jeder Kunſtkenner mit noch ſo eigen¬
liebigem Forſchglaſe, wenn nur ſtets nach allguͤltigen
Grundſaͤtzen vom neueſten Zuſchnitt, in Augenſchein
nehmen. Doch ſogar aufputzen mußte nothwendig eine
Mutter, und am fruͤhen Morgen ſchon, ihre juͤngſten
Kinder; ſo entſtand denn bald hier ein Lockenſpiel, bald
dort ein Wellenſchlag, der Haupthaare und des maͤnn¬
lichen Bartes.

Aber welcher tiefere Meiſterſinn mag wohl vorzuͤg¬
lich ihre bildende und ſchmuͤckende Hand geuͤbt, ihr
liebendes Auge ergetzt haben? Darf man der Sage
trauen, ſo war es jene zarte und ſtrenge Sonderung
der Geſchlechter, beide vor ihrer voͤlligen Reife nie zu
grell abſtechend, und nur deſto greller hinterdrein.

Eben daher geſchah fuͤr den vollkraͤftigen Mann
noch ein Uebriges. Als ihn der Kuͤnſtlerin Scharfblick
mit jener vorrechtlichen Zierde ſeines baͤrtigen Kinnes
beſchenkte, da verbot ſie ihm nicht allein, je weiblich,
geſchweige denn weibiſch oder kindiſch zu erſcheinen, ſon¬
dern ſtempelte ſogar an dieſer augenfaͤlligen Lebensuhr
aller Mannhaftigkeit jede ſpaͤtere Jahrziffer mit haͤrterem
Nachdruck: damit, unter noch ſo verſchiedenartigen Be¬
zuͤgen, ſtets der fortgeſchlichene Schattenweiſer auch den
aͤchten Naturſohn beſtimmt ankuͤndigen muͤſſe, wie jeder

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[187/0201] Naͤgel, Lippen, Augen und Haar. Ob ſie es damals ſchon verſtand, gehoͤrig Farbe zu wechſeln und zu ver¬ ſchmelzen, das mag an ihren ziemlich ungleich ausge¬ mahlten Enkeln jeder Kunſtkenner mit noch ſo eigen¬ liebigem Forſchglaſe, wenn nur ſtets nach allguͤltigen Grundſaͤtzen vom neueſten Zuſchnitt, in Augenſchein nehmen. Doch ſogar aufputzen mußte nothwendig eine Mutter, und am fruͤhen Morgen ſchon, ihre juͤngſten Kinder; ſo entſtand denn bald hier ein Lockenſpiel, bald dort ein Wellenſchlag, der Haupthaare und des maͤnn¬ lichen Bartes. Aber welcher tiefere Meiſterſinn mag wohl vorzuͤg¬ lich ihre bildende und ſchmuͤckende Hand geuͤbt, ihr liebendes Auge ergetzt haben? Darf man der Sage trauen, ſo war es jene zarte und ſtrenge Sonderung der Geſchlechter, beide vor ihrer voͤlligen Reife nie zu grell abſtechend, und nur deſto greller hinterdrein. Eben daher geſchah fuͤr den vollkraͤftigen Mann noch ein Uebriges. Als ihn der Kuͤnſtlerin Scharfblick mit jener vorrechtlichen Zierde ſeines baͤrtigen Kinnes beſchenkte, da verbot ſie ihm nicht allein, je weiblich, geſchweige denn weibiſch oder kindiſch zu erſcheinen, ſon¬ dern ſtempelte ſogar an dieſer augenfaͤlligen Lebensuhr aller Mannhaftigkeit jede ſpaͤtere Jahrziffer mit haͤrterem Nachdruck: damit, unter noch ſo verſchiedenartigen Be¬ zuͤgen, ſtets der fortgeſchlichene Schattenweiſer auch den aͤchten Naturſohn beſtimmt ankuͤndigen muͤſſe, wie jeder

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/201>, abgerufen am 28.03.2024.