Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

ihnen eine Unterweisung in schändlichen Grundsätzen und
im verderblichsten Sinne abgefaßt schien, jemals eine
mildere Ansicht zulassen, und daß sein Urheber als ein
edler und freigesinnter Mann gelten könnte. Es ist das
Verdienst der deutschen Geschichtsforscher, daß Machia¬
velli jetzt allgemein in günstigerem Lichte betrachtet wird.
Sie haben den Versuch, ihn zu rechtfertigen, vielfältig
unternommen, zum Theil freilich in ganz widersprechen¬
der Weise; dennoch hat, nicht sowohl Machiavelli, dessen
Leben und Karakter jetzt offen genug daliegen, um
niemanden mehr als ein moralisches Ungeheuer erschei¬
nen zu können, wohl aber das Buch vom Fürsten, un¬
geachtet aller scharfsinnigen Erklärungen, geschichtlichen
Aufschlüsse und geistigen Vermittelungen, immer noch
etwas Räthselhaftes, was am Ende der gelehrten und
sinnreichen Untersuchungen, aus welchen seine Unschuld
hervorgehen soll, unaufgelöst übrig bleibt. Auch wir
sind der Meinung, daß das frühere unbedingte Ver¬
dammungsurtheil gegen das wunderliche Buch nicht be¬
stehen könne, und daß eine beschwichtigende Auslegung
für dasselbe zu finden seyn müsse. Allein wir glauben,
daß das eigentliche Wort, durch welches jeder Zweifel
gehoben und eine klare Einsicht begründet wäre, noch
nicht gesprochen ist. Auch der Folgezeit nach wird das
Buch, so scheint es, immer wieder als Räthsel auftauchen
und versinken, je nachdem die Versuche, sich seiner zu
bemächtigen, dem Gelingen näher treten oder abfallen.

28 *

ihnen eine Unterweiſung in ſchaͤndlichen Grundſaͤtzen und
im verderblichſten Sinne abgefaßt ſchien, jemals eine
mildere Anſicht zulaſſen, und daß ſein Urheber als ein
edler und freigeſinnter Mann gelten koͤnnte. Es iſt das
Verdienſt der deutſchen Geſchichtsforſcher, daß Machia¬
velli jetzt allgemein in guͤnſtigerem Lichte betrachtet wird.
Sie haben den Verſuch, ihn zu rechtfertigen, vielfaͤltig
unternommen, zum Theil freilich in ganz widerſprechen¬
der Weiſe; dennoch hat, nicht ſowohl Machiavelli, deſſen
Leben und Karakter jetzt offen genug daliegen, um
niemanden mehr als ein moraliſches Ungeheuer erſchei¬
nen zu koͤnnen, wohl aber das Buch vom Fuͤrſten, un¬
geachtet aller ſcharfſinnigen Erklaͤrungen, geſchichtlichen
Aufſchluͤſſe und geiſtigen Vermittelungen, immer noch
etwas Raͤthſelhaftes, was am Ende der gelehrten und
ſinnreichen Unterſuchungen, aus welchen ſeine Unſchuld
hervorgehen ſoll, unaufgeloͤſt uͤbrig bleibt. Auch wir
ſind der Meinung, daß das fruͤhere unbedingte Ver¬
dammungsurtheil gegen das wunderliche Buch nicht be¬
ſtehen koͤnne, und daß eine beſchwichtigende Auslegung
fuͤr daſſelbe zu finden ſeyn muͤſſe. Allein wir glauben,
daß das eigentliche Wort, durch welches jeder Zweifel
gehoben und eine klare Einſicht begruͤndet waͤre, noch
nicht geſprochen iſt. Auch der Folgezeit nach wird das
Buch, ſo ſcheint es, immer wieder als Raͤthſel auftauchen
und verſinken, je nachdem die Verſuche, ſich ſeiner zu
bemaͤchtigen, dem Gelingen naͤher treten oder abfallen.

28 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0449" n="435"/>
ihnen eine Unterwei&#x017F;ung in &#x017F;cha&#x0364;ndlichen Grund&#x017F;a&#x0364;tzen und<lb/>
im verderblich&#x017F;ten Sinne abgefaßt &#x017F;chien, jemals eine<lb/>
mildere An&#x017F;icht zula&#x017F;&#x017F;en, und daß &#x017F;ein Urheber als ein<lb/>
edler und freige&#x017F;innter Mann gelten ko&#x0364;nnte. Es i&#x017F;t das<lb/>
Verdien&#x017F;t der deut&#x017F;chen Ge&#x017F;chichtsfor&#x017F;cher, daß Machia¬<lb/>
velli jetzt allgemein in gu&#x0364;n&#x017F;tigerem Lichte betrachtet wird.<lb/>
Sie haben den Ver&#x017F;uch, ihn zu rechtfertigen, vielfa&#x0364;ltig<lb/>
unternommen, zum Theil freilich in ganz wider&#x017F;prechen¬<lb/>
der Wei&#x017F;e; dennoch hat, nicht &#x017F;owohl Machiavelli, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Leben und Karakter jetzt offen genug daliegen, um<lb/>
niemanden mehr als ein morali&#x017F;ches Ungeheuer er&#x017F;chei¬<lb/>
nen zu ko&#x0364;nnen, wohl aber das Buch vom Fu&#x0364;r&#x017F;ten, un¬<lb/>
geachtet aller &#x017F;charf&#x017F;innigen Erkla&#x0364;rungen, ge&#x017F;chichtlichen<lb/>
Auf&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e und gei&#x017F;tigen Vermittelungen, immer noch<lb/>
etwas Ra&#x0364;th&#x017F;elhaftes, was am Ende der gelehrten und<lb/>
&#x017F;innreichen Unter&#x017F;uchungen, aus welchen &#x017F;eine Un&#x017F;chuld<lb/>
hervorgehen &#x017F;oll, unaufgelo&#x0364;&#x017F;t u&#x0364;brig bleibt. Auch wir<lb/>
&#x017F;ind der Meinung, daß das fru&#x0364;here unbedingte Ver¬<lb/>
dammungsurtheil gegen das wunderliche Buch nicht be¬<lb/>
&#x017F;tehen ko&#x0364;nne, und daß eine be&#x017F;chwichtigende Auslegung<lb/>
fu&#x0364;r da&#x017F;&#x017F;elbe zu finden &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Allein wir glauben,<lb/>
daß das eigentliche Wort, durch welches jeder Zweifel<lb/>
gehoben und eine klare Ein&#x017F;icht begru&#x0364;ndet wa&#x0364;re, noch<lb/>
nicht ge&#x017F;prochen i&#x017F;t. Auch der Folgezeit nach wird das<lb/>
Buch, &#x017F;o &#x017F;cheint es, immer wieder als Ra&#x0364;th&#x017F;el auftauchen<lb/>
und ver&#x017F;inken, je nachdem die Ver&#x017F;uche, &#x017F;ich &#x017F;einer zu<lb/>
bema&#x0364;chtigen, dem Gelingen na&#x0364;her treten oder abfallen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#b">28</hi> *<lb/></fw>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[435/0449] ihnen eine Unterweiſung in ſchaͤndlichen Grundſaͤtzen und im verderblichſten Sinne abgefaßt ſchien, jemals eine mildere Anſicht zulaſſen, und daß ſein Urheber als ein edler und freigeſinnter Mann gelten koͤnnte. Es iſt das Verdienſt der deutſchen Geſchichtsforſcher, daß Machia¬ velli jetzt allgemein in guͤnſtigerem Lichte betrachtet wird. Sie haben den Verſuch, ihn zu rechtfertigen, vielfaͤltig unternommen, zum Theil freilich in ganz widerſprechen¬ der Weiſe; dennoch hat, nicht ſowohl Machiavelli, deſſen Leben und Karakter jetzt offen genug daliegen, um niemanden mehr als ein moraliſches Ungeheuer erſchei¬ nen zu koͤnnen, wohl aber das Buch vom Fuͤrſten, un¬ geachtet aller ſcharfſinnigen Erklaͤrungen, geſchichtlichen Aufſchluͤſſe und geiſtigen Vermittelungen, immer noch etwas Raͤthſelhaftes, was am Ende der gelehrten und ſinnreichen Unterſuchungen, aus welchen ſeine Unſchuld hervorgehen ſoll, unaufgeloͤſt uͤbrig bleibt. Auch wir ſind der Meinung, daß das fruͤhere unbedingte Ver¬ dammungsurtheil gegen das wunderliche Buch nicht be¬ ſtehen koͤnne, und daß eine beſchwichtigende Auslegung fuͤr daſſelbe zu finden ſeyn muͤſſe. Allein wir glauben, daß das eigentliche Wort, durch welches jeder Zweifel gehoben und eine klare Einſicht begruͤndet waͤre, noch nicht geſprochen iſt. Auch der Folgezeit nach wird das Buch, ſo ſcheint es, immer wieder als Raͤthſel auftauchen und verſinken, je nachdem die Verſuche, ſich ſeiner zu bemaͤchtigen, dem Gelingen naͤher treten oder abfallen. 28 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/449
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/449>, abgerufen am 25.04.2024.