Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Berlin unerwartet gegen Ende des August zurückkam.
Er hatte geglaubt, nach dem ausgesprochenen Frieden
nicht länger schicklich bei der Königsberger Universität
als Gast verweilen zu dürfen, und seinen weitern Be¬
ruf jetzt auf der alten Stätte abwarten zu müssen. Eine
öffentliche Thätigkeit freilich war für den Augenblick
nicht abzusehen, auch schloß er sich ganz in die Abge¬
schiedenheit einer mitten im George'schen Garten an¬
muthig gelegenen Wohnung ein, nur bewährten Freun¬
den zugänglich. Außerordentlich freuten wir uns seiner
hellen, kräftigen Gegenwart, seiner unerschütterlichen
Denkart und seiner festen Zuversicht. Bernhardi, Wil¬
helm von Schütz und ich hielten uns treulich zu ihm.
Fichte hatte viel von dem Königsberger Aufenthalt zu
erzählen, unsre Ansichten und Urtheile über Ereignisse
und Personen empfingen neues Licht. Unter andern
brachte er die Zeitschrift Vesta mit, welche von ihm
selbst anziehende Aufsätze über den Machiavelli enthielt,
und uns in den Herausgebern von Schrötter und von
Schenkendorf zwei eifrige Kämpfer kennen lehrte, von
welchen die deutsche Sache sich noch manches versprechen
durfte. Auch die Anfänge des nachher so berühmten
Tugendbundes oder sittlich-wissenschaftlichen Vereins,
wie er eigentlich hieß, lagen hier schon verknüpft, wur¬
den aber in vorsichtiger Heimlichkeit nur dunkel ange¬
deutet. Lebhafter und tagfreudiger strahlte uns ein
Gedicht an, das Fichte gleichfalls mitgebracht hatte, und

Berlin unerwartet gegen Ende des Auguſt zuruͤckkam.
Er hatte geglaubt, nach dem ausgeſprochenen Frieden
nicht laͤnger ſchicklich bei der Koͤnigsberger Univerſitaͤt
als Gaſt verweilen zu duͤrfen, und ſeinen weitern Be¬
ruf jetzt auf der alten Staͤtte abwarten zu muͤſſen. Eine
oͤffentliche Thaͤtigkeit freilich war fuͤr den Augenblick
nicht abzuſehen, auch ſchloß er ſich ganz in die Abge¬
ſchiedenheit einer mitten im George'ſchen Garten an¬
muthig gelegenen Wohnung ein, nur bewaͤhrten Freun¬
den zugaͤnglich. Außerordentlich freuten wir uns ſeiner
hellen, kraͤftigen Gegenwart, ſeiner unerſchuͤtterlichen
Denkart und ſeiner feſten Zuverſicht. Bernhardi, Wil¬
helm von Schuͤtz und ich hielten uns treulich zu ihm.
Fichte hatte viel von dem Koͤnigsberger Aufenthalt zu
erzaͤhlen, unſre Anſichten und Urtheile uͤber Ereigniſſe
und Perſonen empfingen neues Licht. Unter andern
brachte er die Zeitſchrift Veſta mit, welche von ihm
ſelbſt anziehende Aufſaͤtze uͤber den Machiavelli enthielt,
und uns in den Herausgebern von Schroͤtter und von
Schenkendorf zwei eifrige Kaͤmpfer kennen lehrte, von
welchen die deutſche Sache ſich noch manches verſprechen
durfte. Auch die Anfaͤnge des nachher ſo beruͤhmten
Tugendbundes oder ſittlich-wiſſenſchaftlichen Vereins,
wie er eigentlich hieß, lagen hier ſchon verknuͤpft, wur¬
den aber in vorſichtiger Heimlichkeit nur dunkel ange¬
deutet. Lebhafter und tagfreudiger ſtrahlte uns ein
Gedicht an, das Fichte gleichfalls mitgebracht hatte, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0044" n="32"/>
Berlin unerwartet gegen Ende des Augu&#x017F;t zuru&#x0364;ckkam.<lb/>
Er hatte geglaubt, nach dem ausge&#x017F;prochenen Frieden<lb/>
nicht la&#x0364;nger &#x017F;chicklich bei der Ko&#x0364;nigsberger Univer&#x017F;ita&#x0364;t<lb/>
als Ga&#x017F;t verweilen zu du&#x0364;rfen, und &#x017F;einen weitern Be¬<lb/>
ruf jetzt auf der alten Sta&#x0364;tte abwarten zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Eine<lb/>
o&#x0364;ffentliche Tha&#x0364;tigkeit freilich war fu&#x0364;r den Augenblick<lb/>
nicht abzu&#x017F;ehen, auch &#x017F;chloß er &#x017F;ich ganz in die Abge¬<lb/>
&#x017F;chiedenheit einer mitten im George'&#x017F;chen Garten an¬<lb/>
muthig gelegenen Wohnung ein, nur bewa&#x0364;hrten Freun¬<lb/>
den zuga&#x0364;nglich. Außerordentlich freuten wir uns &#x017F;einer<lb/>
hellen, kra&#x0364;ftigen Gegenwart, &#x017F;einer uner&#x017F;chu&#x0364;tterlichen<lb/>
Denkart und &#x017F;einer fe&#x017F;ten Zuver&#x017F;icht. Bernhardi, Wil¬<lb/>
helm von Schu&#x0364;tz und ich hielten uns treulich zu ihm.<lb/>
Fichte hatte viel von dem Ko&#x0364;nigsberger Aufenthalt zu<lb/>
erza&#x0364;hlen, un&#x017F;re An&#x017F;ichten und Urtheile u&#x0364;ber Ereigni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
und Per&#x017F;onen empfingen neues Licht. Unter andern<lb/>
brachte er die Zeit&#x017F;chrift Ve&#x017F;ta mit, welche von ihm<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t anziehende Auf&#x017F;a&#x0364;tze u&#x0364;ber den Machiavelli enthielt,<lb/>
und uns in den Herausgebern von Schro&#x0364;tter und von<lb/>
Schenkendorf zwei eifrige Ka&#x0364;mpfer kennen lehrte, von<lb/>
welchen die deut&#x017F;che Sache &#x017F;ich noch manches ver&#x017F;prechen<lb/>
durfte. Auch die Anfa&#x0364;nge des nachher &#x017F;o beru&#x0364;hmten<lb/>
Tugendbundes oder &#x017F;ittlich-wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Vereins,<lb/>
wie er eigentlich hieß, lagen hier &#x017F;chon verknu&#x0364;pft, wur¬<lb/>
den aber in vor&#x017F;ichtiger Heimlichkeit nur dunkel ange¬<lb/>
deutet. Lebhafter und tagfreudiger &#x017F;trahlte uns ein<lb/>
Gedicht an, das Fichte gleichfalls mitgebracht hatte, und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0044] Berlin unerwartet gegen Ende des Auguſt zuruͤckkam. Er hatte geglaubt, nach dem ausgeſprochenen Frieden nicht laͤnger ſchicklich bei der Koͤnigsberger Univerſitaͤt als Gaſt verweilen zu duͤrfen, und ſeinen weitern Be¬ ruf jetzt auf der alten Staͤtte abwarten zu muͤſſen. Eine oͤffentliche Thaͤtigkeit freilich war fuͤr den Augenblick nicht abzuſehen, auch ſchloß er ſich ganz in die Abge¬ ſchiedenheit einer mitten im George'ſchen Garten an¬ muthig gelegenen Wohnung ein, nur bewaͤhrten Freun¬ den zugaͤnglich. Außerordentlich freuten wir uns ſeiner hellen, kraͤftigen Gegenwart, ſeiner unerſchuͤtterlichen Denkart und ſeiner feſten Zuverſicht. Bernhardi, Wil¬ helm von Schuͤtz und ich hielten uns treulich zu ihm. Fichte hatte viel von dem Koͤnigsberger Aufenthalt zu erzaͤhlen, unſre Anſichten und Urtheile uͤber Ereigniſſe und Perſonen empfingen neues Licht. Unter andern brachte er die Zeitſchrift Veſta mit, welche von ihm ſelbſt anziehende Aufſaͤtze uͤber den Machiavelli enthielt, und uns in den Herausgebern von Schroͤtter und von Schenkendorf zwei eifrige Kaͤmpfer kennen lehrte, von welchen die deutſche Sache ſich noch manches verſprechen durfte. Auch die Anfaͤnge des nachher ſo beruͤhmten Tugendbundes oder ſittlich-wiſſenſchaftlichen Vereins, wie er eigentlich hieß, lagen hier ſchon verknuͤpft, wur¬ den aber in vorſichtiger Heimlichkeit nur dunkel ange¬ deutet. Lebhafter und tagfreudiger ſtrahlte uns ein Gedicht an, das Fichte gleichfalls mitgebracht hatte, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/44
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/44>, abgerufen am 20.04.2024.