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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Wenn wir nicht albern wären; würden wir unsinnig.
Mittagzeit -- Abendessen -- Gutenmorgensagen, -- die al-
berne Regelmäßigkeit schützt uns. Wer hat es nicht gefühlt,
daß ihn Müdigkeit vor Raserei schützt: aber nicht allein, weil
man dann entschlafen muß, denn ich glaube, wenn selbst die
Einrichtung der Natur so wäre, daß wir keinen Schlaf be-
dürften, es wäre nicht hinlänglich. Wir müssen wissen,
daß wir schlafen werden, das schützt uns.



Die niederträchtigen Menschen sind die, welche, was sie
in sich loben, nicht auch in Andern ehren.



Wer zu schönen versteht, der kann auch kränken: wer
aber kränkt, versteht nicht auch zu schonen.



Der Dichter unterscheidet sich auf diese Weise vom Lügner:
daß der erste eine Lüge nicht ohne Wahrheit erzählt, und der
zweite eine Wahrheit nicht ohne Lüge erzählen kann.




Es giebt Leute mit schönen Fähigkeiten, aber von gerin-
ger Denkungsart.



Das darf den Werth meiner Gaben nicht herabsetzen,
daß ich sie mit Liebe gebe! Nur bei gemeinen Seelen stumpft
dies die Lust des Empfangens ab. Und auch nur eine ge-
meine Seele arbeitet dem klug entgegen; wer sich durch Klug-

I. 13

Wenn wir nicht albern wären; würden wir unſinnig.
Mittagzeit — Abendeſſen — Gutenmorgenſagen, — die al-
berne Regelmäßigkeit ſchützt uns. Wer hat es nicht gefühlt,
daß ihn Müdigkeit vor Raſerei ſchützt: aber nicht allein, weil
man dann entſchlafen muß, denn ich glaube, wenn ſelbſt die
Einrichtung der Natur ſo wäre, daß wir keinen Schlaf be-
dürften, es wäre nicht hinlänglich. Wir müſſen wiſſen,
daß wir ſchlafen werden, das ſchützt uns.



Die niederträchtigen Menſchen ſind die, welche, was ſie
in ſich loben, nicht auch in Andern ehren.



Wer zu ſchönen verſteht, der kann auch kränken: wer
aber kränkt, verſteht nicht auch zu ſchonen.



Der Dichter unterſcheidet ſich auf dieſe Weiſe vom Lügner:
daß der erſte eine Lüge nicht ohne Wahrheit erzählt, und der
zweite eine Wahrheit nicht ohne Lüge erzählen kann.




Es giebt Leute mit ſchönen Fähigkeiten, aber von gerin-
ger Denkungsart.



Das darf den Werth meiner Gaben nicht herabſetzen,
daß ich ſie mit Liebe gebe! Nur bei gemeinen Seelen ſtumpft
dies die Luſt des Empfangens ab. Und auch nur eine ge-
meine Seele arbeitet dem klug entgegen; wer ſich durch Klug-

I. 13
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[193/0207] Wenn wir nicht albern wären; würden wir unſinnig. Mittagzeit — Abendeſſen — Gutenmorgenſagen, — die al- berne Regelmäßigkeit ſchützt uns. Wer hat es nicht gefühlt, daß ihn Müdigkeit vor Raſerei ſchützt: aber nicht allein, weil man dann entſchlafen muß, denn ich glaube, wenn ſelbſt die Einrichtung der Natur ſo wäre, daß wir keinen Schlaf be- dürften, es wäre nicht hinlänglich. Wir müſſen wiſſen, daß wir ſchlafen werden, das ſchützt uns. Die niederträchtigen Menſchen ſind die, welche, was ſie in ſich loben, nicht auch in Andern ehren. Wer zu ſchönen verſteht, der kann auch kränken: wer aber kränkt, verſteht nicht auch zu ſchonen. Der Dichter unterſcheidet ſich auf dieſe Weiſe vom Lügner: daß der erſte eine Lüge nicht ohne Wahrheit erzählt, und der zweite eine Wahrheit nicht ohne Lüge erzählen kann. Den 5. Januar 1800. Es giebt Leute mit ſchönen Fähigkeiten, aber von gerin- ger Denkungsart. Das darf den Werth meiner Gaben nicht herabſetzen, daß ich ſie mit Liebe gebe! Nur bei gemeinen Seelen ſtumpft dies die Luſt des Empfangens ab. Und auch nur eine ge- meine Seele arbeitet dem klug entgegen; wer ſich durch Klug- I. 13

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/207>, abgerufen am 18.04.2024.