Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

kommen etwa -- darüber sagen können, ist alles wahr. Den
Zusammenhang könnte nur ein großer Mann finden, der der
Welt ihr Schicksal vorzurechnen vermag. Was ich weiß,
sollt ihr mündlich hören; es kann nichts Großes, nichts Gan-
zes sein: aber es wird nichts Altes und Gewöhnliches sein.
Das Theater tröstet mich noch weniger, als ich glaubte.
Adieu. Hanne ist mein ganzes Leben, und komm' ich wieder,
bestimmt sie mich.



An Rose, in Berlin.


Erst vorgestern, Rose, bekam ich deinen Brief vom 16. Ok-
tober aus Leipzig. O! schreibt doch durch keine Freunde; die
Post, bei allen ihren Fehlern, ist für Briefe der beste. Keinen
Muff hab' ich nicht gehört noch gesehn, auch schreibst du mir
nicht, wo er wohl zu langen wäre.

Du hast gute Opinion von meiner Laune: sie ist jetzt
nicht zu Hause, wenn sie wiederkömmt, wird sie dir einmal
danken. Du weißt gar nicht wie glücklich du bist, daß du
glücklich bist. Könnt' ich's dich mit meiner Unglücks-Seele
kosten lassen! Aber genießt irgend ein Wesen die Unschuld?
wird man der Jugend gewahr? gedeihet viel Liebe auf Er-
den? Und -- besteht nicht das Glück aus den drei Dingen?
Doch hast du noch Bewußtsein genug. Genieße: freue dich.
Reiße an dich, was du kannst; empfinde den Besitz. Dies
kann dich sogar gegen Verlust jeder Art stählen. Und sag'
mir oft, sobald es dir nur gemüthlich und thunlich ist, daß

kommen etwa — darüber ſagen können, iſt alles wahr. Den
Zuſammenhang könnte nur ein großer Mann finden, der der
Welt ihr Schickſal vorzurechnen vermag. Was ich weiß,
ſollt ihr mündlich hören; es kann nichts Großes, nichts Gan-
zes ſein: aber es wird nichts Altes und Gewöhnliches ſein.
Das Theater tröſtet mich noch weniger, als ich glaubte.
Adieu. Hanne iſt mein ganzes Leben, und komm’ ich wieder,
beſtimmt ſie mich.



An Roſe, in Berlin.


Erſt vorgeſtern, Roſe, bekam ich deinen Brief vom 16. Ok-
tober aus Leipzig. O! ſchreibt doch durch keine Freunde; die
Poſt, bei allen ihren Fehlern, iſt für Briefe der beſte. Keinen
Muff hab’ ich nicht gehört noch geſehn, auch ſchreibſt du mir
nicht, wo er wohl zu langen wäre.

Du haſt gute Opinion von meiner Laune: ſie iſt jetzt
nicht zu Hauſe, wenn ſie wiederkömmt, wird ſie dir einmal
danken. Du weißt gar nicht wie glücklich du biſt, daß du
glücklich biſt. Könnt’ ich’s dich mit meiner Unglücks-Seele
koſten laſſen! Aber genießt irgend ein Weſen die Unſchuld?
wird man der Jugend gewahr? gedeihet viel Liebe auf Er-
den? Und — beſteht nicht das Glück aus den drei Dingen?
Doch haſt du noch Bewußtſein genug. Genieße: freue dich.
Reiße an dich, was du kannſt; empfinde den Beſitz. Dies
kann dich ſogar gegen Verluſt jeder Art ſtählen. Und ſag’
mir oft, ſobald es dir nur gemüthlich und thunlich iſt, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0228" n="214"/>
kommen etwa &#x2014; darüber &#x017F;agen können, i&#x017F;t alles wahr. Den<lb/>
Zu&#x017F;ammenhang könnte nur ein großer Mann finden, der der<lb/>
Welt ihr Schick&#x017F;al vorzu<hi rendition="#g">rechnen</hi> vermag. Was ich weiß,<lb/>
&#x017F;ollt ihr mündlich hören; es kann nichts Großes, nichts Gan-<lb/>
zes &#x017F;ein: aber es wird nichts Altes und Gewöhnliches &#x017F;ein.<lb/>
Das Theater trö&#x017F;tet <hi rendition="#g">mich noch</hi> weniger, als ich glaubte.<lb/>
Adieu. Hanne i&#x017F;t mein ganzes Leben, und komm&#x2019; ich wieder,<lb/>
be&#x017F;timmt <hi rendition="#g">&#x017F;ie</hi> mich.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Ro&#x017F;e, in Berlin.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Paris, Sonntag den 29. November 1800.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Er&#x017F;t vorge&#x017F;tern, Ro&#x017F;e, bekam ich deinen Brief vom 16. Ok-<lb/>
tober aus Leipzig. O! &#x017F;chreibt doch durch keine Freunde; die<lb/>
Po&#x017F;t, bei allen ihren Fehlern, i&#x017F;t für Briefe der be&#x017F;te. Keinen<lb/>
Muff hab&#x2019; ich nicht gehört noch ge&#x017F;ehn, auch &#x017F;chreib&#x017F;t du mir<lb/>
nicht, wo er wohl zu langen wäre.</p><lb/>
          <p>Du ha&#x017F;t gute Opinion von meiner Laune: &#x017F;ie i&#x017F;t jetzt<lb/>
nicht zu Hau&#x017F;e, wenn &#x017F;ie wiederkömmt, wird &#x017F;ie dir einmal<lb/>
danken. Du weißt gar nicht wie glücklich du bi&#x017F;t, daß du<lb/>
glücklich bi&#x017F;t. Könnt&#x2019; ich&#x2019;s dich mit meiner Unglücks-Seele<lb/>
ko&#x017F;ten la&#x017F;&#x017F;en! Aber genießt irgend ein We&#x017F;en die Un&#x017F;chuld?<lb/>
wird man der Jugend gewahr? gedeihet viel Liebe auf Er-<lb/>
den? Und &#x2014; be&#x017F;teht nicht das Glück aus den drei Dingen?<lb/>
Doch ha&#x017F;t du noch Bewußt&#x017F;ein genug. Genieße: freue dich.<lb/>
Reiße an dich, was du kann&#x017F;t; empfinde den Be&#x017F;itz. Dies<lb/>
kann dich &#x017F;ogar gegen Verlu&#x017F;t jeder Art &#x017F;tählen. Und &#x017F;ag&#x2019;<lb/>
mir oft, &#x017F;obald es dir nur gemüthlich und thunlich i&#x017F;t, daß<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0228] kommen etwa — darüber ſagen können, iſt alles wahr. Den Zuſammenhang könnte nur ein großer Mann finden, der der Welt ihr Schickſal vorzurechnen vermag. Was ich weiß, ſollt ihr mündlich hören; es kann nichts Großes, nichts Gan- zes ſein: aber es wird nichts Altes und Gewöhnliches ſein. Das Theater tröſtet mich noch weniger, als ich glaubte. Adieu. Hanne iſt mein ganzes Leben, und komm’ ich wieder, beſtimmt ſie mich. An Roſe, in Berlin. Paris, Sonntag den 29. November 1800. Erſt vorgeſtern, Roſe, bekam ich deinen Brief vom 16. Ok- tober aus Leipzig. O! ſchreibt doch durch keine Freunde; die Poſt, bei allen ihren Fehlern, iſt für Briefe der beſte. Keinen Muff hab’ ich nicht gehört noch geſehn, auch ſchreibſt du mir nicht, wo er wohl zu langen wäre. Du haſt gute Opinion von meiner Laune: ſie iſt jetzt nicht zu Hauſe, wenn ſie wiederkömmt, wird ſie dir einmal danken. Du weißt gar nicht wie glücklich du biſt, daß du glücklich biſt. Könnt’ ich’s dich mit meiner Unglücks-Seele koſten laſſen! Aber genießt irgend ein Weſen die Unſchuld? wird man der Jugend gewahr? gedeihet viel Liebe auf Er- den? Und — beſteht nicht das Glück aus den drei Dingen? Doch haſt du noch Bewußtſein genug. Genieße: freue dich. Reiße an dich, was du kannſt; empfinde den Beſitz. Dies kann dich ſogar gegen Verluſt jeder Art ſtählen. Und ſag’ mir oft, ſobald es dir nur gemüthlich und thunlich iſt, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/228
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/228>, abgerufen am 29.03.2024.