Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

gröbern Lebens, u. s. w.!!! Sein Sie nicht ängstlich! ich bin
gewöhnlich gelassener. Wenn ich aber an Menschen schreibe,
geschieht es mir, daß der schwer erfüllte Horizont meiner
Seele los gewittert. Himmlische Menschen lieben Gewitter.
Auch ein Grund, warum ich das Schreiben scheue. -- --




Wenn Jemand sagte: "Sie glauben wohl, es ist so
etwas Leichtes originell zu sein! Nein, man muß sich viel
Mühe geben; und es kostet ein ganzes Leben voll Anstrengung",
so würde man ihn nur für verrückt halten, und gar keine
Frage mehr anstellen. Und doch wäre die Behauptung ganz
wahr, und dabei ganz simpel. Originell wäre gewiß jeder
Mensch, und müßte es sein; wenn die Menschen nicht bei-
nahe immer ganz unverzehrte Sprüche in ihren Kopf an-
nähmen, und auch so wieder hinaus ließen. Wer sich ehrlich
fragt, und sich aufrichtig antwortet, ist mit allem, was ihm
im Leben vorkommt, immerfort beschäftigt, und erfindet un-
ablässig, es sei auch noch so oft und lange vor ihm erfunden
worden. Es gehört Ehrlichkeit zum Denken, und es giebt
gewiß beinah so wenig absolute Stumpfköpfe, als Genies.
Einem imbecile fehlt das Vermögen im Kopfe zum Denken;
und einem Genie wird dies so leicht durch das glückliche Zu-
sammentreffen und Zusammenstimmen seiner Eigenschaften,
daß es beinahe ist, als nähme ein anderes Wesen diese Ope-
ration in ihm vor. Imbeciles wären gewiß immer originell;

gröbern Lebens, u. ſ. w.!!! Sein Sie nicht ängſtlich! ich bin
gewöhnlich gelaſſener. Wenn ich aber an Menſchen ſchreibe,
geſchieht es mir, daß der ſchwer erfüllte Horizont meiner
Seele los gewittert. Himmliſche Menſchen lieben Gewitter.
Auch ein Grund, warum ich das Schreiben ſcheue. — —




Wenn Jemand ſagte: „Sie glauben wohl, es iſt ſo
etwas Leichtes originell zu ſein! Nein, man muß ſich viel
Mühe geben; und es koſtet ein ganzes Leben voll Anſtrengung“,
ſo würde man ihn nur für verrückt halten, und gar keine
Frage mehr anſtellen. Und doch wäre die Behauptung ganz
wahr, und dabei ganz ſimpel. Originell wäre gewiß jeder
Menſch, und müßte es ſein; wenn die Menſchen nicht bei-
nahe immer ganz unverzehrte Sprüche in ihren Kopf an-
nähmen, und auch ſo wieder hinaus ließen. Wer ſich ehrlich
fragt, und ſich aufrichtig antwortet, iſt mit allem, was ihm
im Leben vorkommt, immerfort beſchäftigt, und erfindet un-
abläſſig, es ſei auch noch ſo oft und lange vor ihm erfunden
worden. Es gehört Ehrlichkeit zum Denken, und es giebt
gewiß beinah ſo wenig abſolute Stumpfköpfe, als Genies.
Einem imbécile fehlt das Vermögen im Kopfe zum Denken;
und einem Genie wird dies ſo leicht durch das glückliche Zu-
ſammentreffen und Zuſammenſtimmen ſeiner Eigenſchaften,
daß es beinahe iſt, als nähme ein anderes Weſen dieſe Ope-
ration in ihm vor. Imbéciles wären gewiß immer originell;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0281" n="267"/>
gröbern Lebens, u. &#x017F;. w.!!! Sein Sie nicht äng&#x017F;tlich! ich bin<lb/>
gewöhnlich gela&#x017F;&#x017F;ener. Wenn ich aber an <hi rendition="#g">Men&#x017F;chen</hi> &#x017F;chreibe,<lb/>
ge&#x017F;chieht es mir, daß der &#x017F;chwer erfüllte Horizont meiner<lb/>
Seele los gewittert. Himmli&#x017F;che Men&#x017F;chen <hi rendition="#g">lieben</hi> Gewitter.<lb/>
Auch ein Grund, warum ich das Schreiben &#x017F;cheue. &#x2014; &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, den 19. Februar 1805.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Wenn Jemand &#x017F;agte: &#x201E;Sie glauben wohl, es i&#x017F;t &#x017F;o<lb/>
etwas Leichtes originell zu &#x017F;ein! Nein, man muß &#x017F;ich viel<lb/>
Mühe geben; und es ko&#x017F;tet ein ganzes Leben voll An&#x017F;trengung&#x201C;,<lb/>
&#x017F;o würde man ihn nur für verrückt halten, und gar keine<lb/>
Frage mehr an&#x017F;tellen. Und doch wäre die Behauptung ganz<lb/>
wahr, und dabei ganz &#x017F;impel. Originell wäre gewiß jeder<lb/>
Men&#x017F;ch, und müßte es &#x017F;ein; wenn die Men&#x017F;chen nicht bei-<lb/>
nahe immer ganz unverzehrte Sprüche in ihren Kopf an-<lb/>
nähmen, und auch &#x017F;o wieder hinaus ließen. Wer &#x017F;ich ehrlich<lb/>
fragt, und &#x017F;ich aufrichtig antwortet, i&#x017F;t mit allem, was ihm<lb/>
im Leben vorkommt, immerfort be&#x017F;chäftigt, und erfindet un-<lb/>
ablä&#x017F;&#x017F;ig, es &#x017F;ei auch noch &#x017F;o <choice><sic>o&#x017F;t</sic><corr>oft</corr></choice> und lange vor ihm erfunden<lb/>
worden. Es gehört Ehrlichkeit zum Denken, und es giebt<lb/>
gewiß beinah &#x017F;o wenig ab&#x017F;olute Stumpfköpfe, als Genies.<lb/>
Einem <hi rendition="#aq">imbécile</hi> fehlt das Vermögen im Kopfe zum Denken;<lb/>
und einem Genie wird dies &#x017F;o leicht durch das glückliche Zu-<lb/>
&#x017F;ammentreffen und Zu&#x017F;ammen&#x017F;timmen &#x017F;einer Eigen&#x017F;chaften,<lb/>
daß es beinahe i&#x017F;t, als nähme ein anderes We&#x017F;en die&#x017F;e Ope-<lb/>
ration in ihm vor. <hi rendition="#aq">Imbéciles</hi> wären gewiß immer originell;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0281] gröbern Lebens, u. ſ. w.!!! Sein Sie nicht ängſtlich! ich bin gewöhnlich gelaſſener. Wenn ich aber an Menſchen ſchreibe, geſchieht es mir, daß der ſchwer erfüllte Horizont meiner Seele los gewittert. Himmliſche Menſchen lieben Gewitter. Auch ein Grund, warum ich das Schreiben ſcheue. — — Berlin, den 19. Februar 1805. Wenn Jemand ſagte: „Sie glauben wohl, es iſt ſo etwas Leichtes originell zu ſein! Nein, man muß ſich viel Mühe geben; und es koſtet ein ganzes Leben voll Anſtrengung“, ſo würde man ihn nur für verrückt halten, und gar keine Frage mehr anſtellen. Und doch wäre die Behauptung ganz wahr, und dabei ganz ſimpel. Originell wäre gewiß jeder Menſch, und müßte es ſein; wenn die Menſchen nicht bei- nahe immer ganz unverzehrte Sprüche in ihren Kopf an- nähmen, und auch ſo wieder hinaus ließen. Wer ſich ehrlich fragt, und ſich aufrichtig antwortet, iſt mit allem, was ihm im Leben vorkommt, immerfort beſchäftigt, und erfindet un- abläſſig, es ſei auch noch ſo oft und lange vor ihm erfunden worden. Es gehört Ehrlichkeit zum Denken, und es giebt gewiß beinah ſo wenig abſolute Stumpfköpfe, als Genies. Einem imbécile fehlt das Vermögen im Kopfe zum Denken; und einem Genie wird dies ſo leicht durch das glückliche Zu- ſammentreffen und Zuſammenſtimmen ſeiner Eigenſchaften, daß es beinahe iſt, als nähme ein anderes Weſen dieſe Ope- ration in ihm vor. Imbéciles wären gewiß immer originell;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/281
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/281>, abgerufen am 19.04.2024.