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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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seines eigenen innern Landes angekommen zu sehen. Sie
müssen auch dahin! "Dahin! dahin!" wie Goethe sagt.
Dies ist das Land. --




Liebe ist so ganz das Innere alles Lebens, daß ein simu-
lacre
davon auch noch die besten Wünsche in Anspruch nimmt,
und ewigen Antheil erhält. --




Nun hab' ich auch erfunden, was ich am meisten hasse:
Pedanterei; sie setzt ganz nothwendig Leere voraus: und hält
sich deßhalb fest an Formen. Ist sie von der bessern Art, so
thut sie dies im halben Gefühl dieser Leere mit Rechtschaffen-
heit; ist sie aber von der schlechten, so thut sie es mit Stolz
und Prahlerei, nicht ahndend und zugebend, daß etwas an-
deres existire. Es kann also nichts Unleidlicheres geben,
als diese Stupidität im völligen Marsch begriffen zu sehen:
wie Narrheit, anmaßend und langweilig: gar nicht zum Er-
tragen! Was mich aber empört, ist diese Klasse, die mit Prä-
tension
sittlich!!! sind. Dies hebt alles auf; gradezu auf,
was nur so genannt werden kann, -- und nichts anderes;
ich kann es zum Himmel schwören, ist meiner Seele so zu-
wider!




Es ist mir nicht möglich ein so ordinair gedachtes und
so wenig wohlklingend geschriebenes Buch, als Bruno, zu

ſeines eigenen innern Landes angekommen zu ſehen. Sie
müſſen auch dahin! „Dahin! dahin!“ wie Goethe ſagt.
Dies iſt das Land. —




Liebe iſt ſo ganz das Innere alles Lebens, daß ein simu-
lacre
davon auch noch die beſten Wünſche in Anſpruch nimmt,
und ewigen Antheil erhält. —




Nun hab’ ich auch erfunden, was ich am meiſten haſſe:
Pedanterei; ſie ſetzt ganz nothwendig Leere voraus: und hält
ſich deßhalb feſt an Formen. Iſt ſie von der beſſern Art, ſo
thut ſie dies im halben Gefühl dieſer Leere mit Rechtſchaffen-
heit; iſt ſie aber von der ſchlechten, ſo thut ſie es mit Stolz
und Prahlerei, nicht ahndend und zugebend, daß etwas an-
deres exiſtire. Es kann alſo nichts Unleidlicheres geben,
als dieſe Stupidität im völligen Marſch begriffen zu ſehen:
wie Narrheit, anmaßend und langweilig: gar nicht zum Er-
tragen! Was mich aber empört, iſt dieſe Klaſſe, die mit Prä-
tenſion
ſittlich!!! ſind. Dies hebt alles auf; gradezu auf,
was nur ſo genannt werden kann, — und nichts anderes;
ich kann es zum Himmel ſchwören, iſt meiner Seele ſo zu-
wider!




Es iſt mir nicht möglich ein ſo ordinair gedachtes und
ſo wenig wohlklingend geſchriebenes Buch, als Bruno, zu

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[303/0317] ſeines eigenen innern Landes angekommen zu ſehen. Sie müſſen auch dahin! „Dahin! dahin!“ wie Goethe ſagt. Dies iſt das Land. — Den 29. September 1806. Liebe iſt ſo ganz das Innere alles Lebens, daß ein simu- lacre davon auch noch die beſten Wünſche in Anſpruch nimmt, und ewigen Antheil erhält. — Mittwoch den 2. Oktober 1806. Nun hab’ ich auch erfunden, was ich am meiſten haſſe: Pedanterei; ſie ſetzt ganz nothwendig Leere voraus: und hält ſich deßhalb feſt an Formen. Iſt ſie von der beſſern Art, ſo thut ſie dies im halben Gefühl dieſer Leere mit Rechtſchaffen- heit; iſt ſie aber von der ſchlechten, ſo thut ſie es mit Stolz und Prahlerei, nicht ahndend und zugebend, daß etwas an- deres exiſtire. Es kann alſo nichts Unleidlicheres geben, als dieſe Stupidität im völligen Marſch begriffen zu ſehen: wie Narrheit, anmaßend und langweilig: gar nicht zum Er- tragen! Was mich aber empört, iſt dieſe Klaſſe, die mit Prä- tenſion ſittlich!!! ſind. Dies hebt alles auf; gradezu auf, was nur ſo genannt werden kann, — und nichts anderes; ich kann es zum Himmel ſchwören, iſt meiner Seele ſo zu- wider! Donnerstag, den 3. Oktober 1806. Es iſt mir nicht möglich ein ſo ordinair gedachtes und ſo wenig wohlklingend geſchriebenes Buch, als Bruno, zu

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/317>, abgerufen am 29.03.2024.