Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Mich peinigt übernatürlich der Frühling, und daß ich
nicht fort bin! Und die infame Ungewißheit, die nun gar
noch die Welthändel auf ihren Flügeln schlingen, damit ich
sie nie mit eigenen Händen endlich erdroßlen kann! --



Aus einem Tagebuch.

Ein fürchterlicher Tag für mich. Immer schlechter! Das
erste Kriegesjahr, mit Bujac; und dem mit Vorbedacht er-
zählt. Voriges Jahr, in des Prinzen Louis Haus das Schrek-
kenskonzert: und nachher Bribes erschrocken. Heute im viel-
gefürchteten Trenkischen Hause allein: und mit großer Sorge!
Mit großer Sorge dies schreibend, wie ich es über's Jahr in
noch älterer Noth lesen werde! Von ungefähr nahm ich dies
Buch in die Hand, um von Hemsterhuis etwas aufzuschrei-
ben, und beim Datum fiel mir der Königin ihr Geburtstag
ein und dieser Gräuel. In Herder -- dem Armen -- habe
ich gelesen. Wie hart ist es, von Kinder- und Geschwister-
liebe zu lesen! -- für mich. Hemsterhuis sagt: "Religion ist
die freie Beziehung jedes Individuums auf's höchste Wesen."
Durch's bloße Benennen wird sie schon unwahr.




Kalt, und Schnee auf den Dächern. Gestern Abend ka-
men M's. zu mir. -- Da sprach ich recht dumm. Es war
ein Streit; und sie blieben so sehr auf der Oberfläche; und


Mich peinigt übernatürlich der Frühling, und daß ich
nicht fort bin! Und die infame Ungewißheit, die nun gar
noch die Welthändel auf ihren Flügeln ſchlingen, damit ich
ſie nie mit eigenen Händen endlich erdroßlen kann! —



Aus einem Tagebuch.

Ein fürchterlicher Tag für mich. Immer ſchlechter! Das
erſte Kriegesjahr, mit Bujac; und dem mit Vorbedacht er-
zählt. Voriges Jahr, in des Prinzen Louis Haus das Schrek-
kenskonzert: und nachher Bribes erſchrocken. Heute im viel-
gefürchteten Trenkiſchen Hauſe allein: und mit großer Sorge!
Mit großer Sorge dies ſchreibend, wie ich es über’s Jahr in
noch älterer Noth leſen werde! Von ungefähr nahm ich dies
Buch in die Hand, um von Hemſterhuis etwas aufzuſchrei-
ben, und beim Datum fiel mir der Königin ihr Geburtstag
ein und dieſer Gräuel. In Herder — dem Armen — habe
ich geleſen. Wie hart iſt es, von Kinder- und Geſchwiſter-
liebe zu leſen! — für mich. Hemſterhuis ſagt: „Religion iſt
die freie Beziehung jedes Individuums auf’s höchſte Weſen.“
Durch’s bloße Benennen wird ſie ſchon unwahr.




Kalt, und Schnee auf den Dächern. Geſtern Abend ka-
men M’s. zu mir. — Da ſprach ich recht dumm. Es war
ein Streit; und ſie blieben ſo ſehr auf der Oberfläche; und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0421" n="407"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 7. März 1809.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Mich peinigt übernatürlich der Frühling, und daß ich<lb/>
nicht fort bin! Und die infame Ungewißheit, die nun gar<lb/>
noch die Welthändel auf ihren Flügeln &#x017F;chlingen, damit ich<lb/>
&#x017F;ie <hi rendition="#g">nie</hi> mit eigenen Händen endlich erdroßlen kann! &#x2014;</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>Aus einem Tagebuch.</head><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Freitag, den 10. März 1809.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Ein fürchterlicher Tag für mich. Immer &#x017F;chlechter! Das<lb/>
er&#x017F;te Kriegesjahr, mit Bujac; und dem mit Vorbedacht er-<lb/>
zählt. Voriges Jahr, in des Prinzen Louis Haus das Schrek-<lb/>
kenskonzert: und nachher Bribes er&#x017F;chrocken. Heute im viel-<lb/>
gefürchteten Trenki&#x017F;chen Hau&#x017F;e allein: und mit großer Sorge!<lb/>
Mit großer Sorge dies &#x017F;chreibend, wie ich es über&#x2019;s Jahr in<lb/>
noch älterer Noth le&#x017F;en werde! Von ungefähr nahm ich dies<lb/>
Buch in die Hand, um von Hem&#x017F;terhuis etwas aufzu&#x017F;chrei-<lb/>
ben, und beim Datum fiel mir der Königin ihr Geburtstag<lb/>
ein und die&#x017F;er Gräuel. In Herder &#x2014; dem Armen &#x2014; habe<lb/>
ich gele&#x017F;en. Wie hart i&#x017F;t es, von Kinder- und Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter-<lb/>
liebe zu le&#x017F;en! &#x2014; für mich. Hem&#x017F;terhuis &#x017F;agt: &#x201E;Religion i&#x017F;t<lb/>
die freie Beziehung jedes Individuums auf&#x2019;s höch&#x017F;te We&#x017F;en.&#x201C;<lb/>
Durch&#x2019;s bloße Benennen wird &#x017F;ie &#x017F;chon unwahr.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 11. März. Sonnabend früh.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Kalt, und Schnee auf den Dächern. Ge&#x017F;tern Abend ka-<lb/>
men M&#x2019;s. zu mir. &#x2014; Da &#x017F;prach ich recht dumm. Es war<lb/>
ein Streit; und &#x017F;ie blieben &#x017F;o &#x017F;ehr auf der Oberfläche; und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[407/0421] Den 7. März 1809. Mich peinigt übernatürlich der Frühling, und daß ich nicht fort bin! Und die infame Ungewißheit, die nun gar noch die Welthändel auf ihren Flügeln ſchlingen, damit ich ſie nie mit eigenen Händen endlich erdroßlen kann! — Aus einem Tagebuch. Freitag, den 10. März 1809. Ein fürchterlicher Tag für mich. Immer ſchlechter! Das erſte Kriegesjahr, mit Bujac; und dem mit Vorbedacht er- zählt. Voriges Jahr, in des Prinzen Louis Haus das Schrek- kenskonzert: und nachher Bribes erſchrocken. Heute im viel- gefürchteten Trenkiſchen Hauſe allein: und mit großer Sorge! Mit großer Sorge dies ſchreibend, wie ich es über’s Jahr in noch älterer Noth leſen werde! Von ungefähr nahm ich dies Buch in die Hand, um von Hemſterhuis etwas aufzuſchrei- ben, und beim Datum fiel mir der Königin ihr Geburtstag ein und dieſer Gräuel. In Herder — dem Armen — habe ich geleſen. Wie hart iſt es, von Kinder- und Geſchwiſter- liebe zu leſen! — für mich. Hemſterhuis ſagt: „Religion iſt die freie Beziehung jedes Individuums auf’s höchſte Weſen.“ Durch’s bloße Benennen wird ſie ſchon unwahr. Den 11. März. Sonnabend früh. Kalt, und Schnee auf den Dächern. Geſtern Abend ka- men M’s. zu mir. — Da ſprach ich recht dumm. Es war ein Streit; und ſie blieben ſo ſehr auf der Oberfläche; und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/421
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/421>, abgerufen am 19.04.2024.