Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite
An Alexander von der Marwitz, in Böhmen.


Sehr lieber Marwitz! An dreißig Briefe habe ich schon
an Sie komponirt, und heute Morgen, noch im Bette einen
sehr schönen. Aber jetzt grade, da ich ganz erschöpft von ei-
nem an meinen Bruder bin, schreibe ich Ihnen in größter Eil
und Nervenirritation, diesen, der ganz schlecht wird, werden
muß, ist. Warum hör' ich nichts von Ihnen, da Sie mir's
doch von selbst versprachen? Sie sind mir doch sehr gut?
Und das muß sein. Noch nicht Einmal, habe ich gefühlt, ha-
ben Sie mich mißverstanden. Mir träumte vorletzte Nacht
sehr schön von Ihnen. Wir beide, Sie und ich, waren Som-
mers in einer weiten Ebene mit allen nur möglichen Bekann-
ten. So sonnig und groß alles war, so befanden sich doch
Alle nur auf einem Sanddamm, einen Fahrweg breit, der
durch die grasigen, doch wasserreichen Felder und Wiesen mit
tendurch nach einem Wasser ging, welches auch durch Über-
schwemmung der Gegend näher gekommen war. Ungefähr
einen Markt weit, war das Gedränge der Menschen und Be-
kannten größer, und sehr wimmlend; wir hielten uns, weil
ich es nicht liebe, ferner unter wenigern. Nach einigem
Warten, und Sehen, daß es doch noch sehr lange dauren
müsse, eh' Alle, welches nur nach und nach gehen konnte, über-
geschifft sein würden, und mir auch herankommen könnten --
die Reisewagen standen zerstreut auf dem Sanddamm, und
man sah das Ufer und Schiffe eine Viertelmeile weit, hell,
grün und sonnig vor sich nach Morgen zu -- sagte ich Ih-

An Alexander von der Marwitz, in Böhmen.


Sehr lieber Marwitz! An dreißig Briefe habe ich ſchon
an Sie komponirt, und heute Morgen, noch im Bette einen
ſehr ſchönen. Aber jetzt grade, da ich ganz erſchöpft von ei-
nem an meinen Bruder bin, ſchreibe ich Ihnen in größter Eil
und Nervenirritation, dieſen, der ganz ſchlecht wird, werden
muß, iſt. Warum hör’ ich nichts von Ihnen, da Sie mir’s
doch von ſelbſt verſprachen? Sie ſind mir doch ſehr gut?
Und das muß ſein. Noch nicht Einmal, habe ich gefühlt, ha-
ben Sie mich mißverſtanden. Mir träumte vorletzte Nacht
ſehr ſchön von Ihnen. Wir beide, Sie und ich, waren Som-
mers in einer weiten Ebene mit allen nur möglichen Bekann-
ten. So ſonnig und groß alles war, ſo befanden ſich doch
Alle nur auf einem Sanddamm, einen Fahrweg breit, der
durch die graſigen, doch waſſerreichen Felder und Wieſen mit
tendurch nach einem Waſſer ging, welches auch durch Über-
ſchwemmung der Gegend näher gekommen war. Ungefähr
einen Markt weit, war das Gedränge der Menſchen und Be-
kannten größer, und ſehr wimmlend; wir hielten uns, weil
ich es nicht liebe, ferner unter wenigern. Nach einigem
Warten, und Sehen, daß es doch noch ſehr lange dauren
müſſe, eh’ Alle, welches nur nach und nach gehen konnte, über-
geſchifft ſein würden, und mir auch herankommen könnten —
die Reiſewagen ſtanden zerſtreut auf dem Sanddamm, und
man ſah das Ufer und Schiffe eine Viertelmeile weit, hell,
grün und ſonnig vor ſich nach Morgen zu — ſagte ich Ih-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0483" n="469"/>
        <div n="2">
          <head>An Alexander von der Marwitz, in Böhmen.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Sonnabend, den 28. April 1810.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Sehr lieber Marwitz! An dreißig Briefe habe ich &#x017F;chon<lb/>
an Sie komponirt, und heute Morgen, noch im Bette einen<lb/>
&#x017F;ehr &#x017F;chönen. Aber jetzt grade, da ich ganz er&#x017F;chöpft von ei-<lb/>
nem an meinen Bruder bin, &#x017F;chreibe ich Ihnen in größter Eil<lb/>
und Nervenirritation, die&#x017F;en, der ganz &#x017F;chlecht wird, werden<lb/>
muß, i&#x017F;t. Warum hör&#x2019; ich nichts von Ihnen, da Sie mir&#x2019;s<lb/>
doch von &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;prachen? Sie &#x017F;ind mir doch &#x017F;ehr gut?<lb/>
Und das muß &#x017F;ein. Noch nicht Einmal, habe ich gefühlt, ha-<lb/>
ben Sie mich mißver&#x017F;tanden. Mir träumte vorletzte Nacht<lb/>
&#x017F;ehr &#x017F;chön von Ihnen. Wir beide, Sie und ich, waren Som-<lb/>
mers in einer weiten Ebene mit allen nur möglichen Bekann-<lb/>
ten. So &#x017F;onnig und groß alles war, &#x017F;o befanden &#x017F;ich doch<lb/>
Alle nur auf einem Sanddamm, einen Fahrweg breit, der<lb/>
durch die gra&#x017F;igen, doch wa&#x017F;&#x017F;erreichen Felder und Wie&#x017F;en <hi rendition="#g">mit</hi><lb/>
tendurch nach einem Wa&#x017F;&#x017F;er ging, welches auch durch Über-<lb/>
&#x017F;chwemmung der Gegend näher gekommen war. Ungefähr<lb/>
einen Markt weit, war das Gedränge der Men&#x017F;chen und Be-<lb/>
kannten größer, und &#x017F;ehr wimmlend; wir hielten uns, weil<lb/>
ich es nicht liebe, ferner unter wenigern. Nach einigem<lb/>
Warten, und Sehen, daß es doch noch &#x017F;ehr lange dauren<lb/>&#x017F;&#x017F;e, eh&#x2019; Alle, welches nur nach und nach gehen konnte, über-<lb/>
ge&#x017F;chifft &#x017F;ein würden, und mir auch herankommen könnten &#x2014;<lb/>
die Rei&#x017F;ewagen &#x017F;tanden zer&#x017F;treut auf dem Sanddamm, und<lb/>
man &#x017F;ah das Ufer und Schiffe eine Viertelmeile weit, hell,<lb/>
grün und &#x017F;onnig vor &#x017F;ich nach Morgen zu &#x2014; &#x017F;agte ich Ih-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[469/0483] An Alexander von der Marwitz, in Böhmen. Sonnabend, den 28. April 1810. Sehr lieber Marwitz! An dreißig Briefe habe ich ſchon an Sie komponirt, und heute Morgen, noch im Bette einen ſehr ſchönen. Aber jetzt grade, da ich ganz erſchöpft von ei- nem an meinen Bruder bin, ſchreibe ich Ihnen in größter Eil und Nervenirritation, dieſen, der ganz ſchlecht wird, werden muß, iſt. Warum hör’ ich nichts von Ihnen, da Sie mir’s doch von ſelbſt verſprachen? Sie ſind mir doch ſehr gut? Und das muß ſein. Noch nicht Einmal, habe ich gefühlt, ha- ben Sie mich mißverſtanden. Mir träumte vorletzte Nacht ſehr ſchön von Ihnen. Wir beide, Sie und ich, waren Som- mers in einer weiten Ebene mit allen nur möglichen Bekann- ten. So ſonnig und groß alles war, ſo befanden ſich doch Alle nur auf einem Sanddamm, einen Fahrweg breit, der durch die graſigen, doch waſſerreichen Felder und Wieſen mit tendurch nach einem Waſſer ging, welches auch durch Über- ſchwemmung der Gegend näher gekommen war. Ungefähr einen Markt weit, war das Gedränge der Menſchen und Be- kannten größer, und ſehr wimmlend; wir hielten uns, weil ich es nicht liebe, ferner unter wenigern. Nach einigem Warten, und Sehen, daß es doch noch ſehr lange dauren müſſe, eh’ Alle, welches nur nach und nach gehen konnte, über- geſchifft ſein würden, und mir auch herankommen könnten — die Reiſewagen ſtanden zerſtreut auf dem Sanddamm, und man ſah das Ufer und Schiffe eine Viertelmeile weit, hell, grün und ſonnig vor ſich nach Morgen zu — ſagte ich Ih-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/483
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/483>, abgerufen am 28.03.2024.