Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

-- -- Wenn es irgend passen will, und thunlich wird,
so komme ich zur Hochzeit: obgleich ich keine Hochzeiten --
von Kindheit an -- liebe. Sage dem Bräutigam, ich ge-
dächte ihm dann auch durch die That zu beweisen, durch
einen Ball, wie schön, heilsam, erfreuend und ergötzend das
Tanzen sei! und ich hätte noch ganze Batterien von Raison-
nement, die er mir erst erstürmen müßte. -- Die schönste
Kunst! Die Kunst, wo wir selbst Kunststoff werden, wo wir
uns selbst, frei, glücklich, schön, gesund, vollständig vortragen;
dies faßt in sich, gewandt, bescheiden, naiv, unschuldig, richtig
aus unserer Natur heraus, befreit von Elend, Zwang, Kampf,
Beschränkung und Schwäche! Dies sollte nicht die schönste
Kunst sein? Gewiß, sie, und die andre, welche entstünde,
wenn die Sittlichkeit bis zur sichtlichen Darstellung ge-
steigert oder gebracht werden könnte, verdienten vor allen die-
sen Namen, weil sie uns selbst idealisch und frei darstellen,
alle andern aber nur Ideen und Zustände unserer besten Mo-
mente. So denk' ich's mir; so fühlte ich's von Kindheit an;
und am reizendsten von allen Künstlererscheinungen schwebte
mir die der vollkommensten idealischen Tänzerin vor! Was
ist das bischen größere Dauer der andern Musenkünste?
Sind sie nicht alle nur ein Auftauchen aus unsrem bedingten
Zustande? -- Und ist nicht die Höhe, die Reinheit, die Voll-
ständigkeit der Gestalt dieses Zauberaufschwungs ein besseres
Maß des Werthes der Künste, als die, zwar nützliche, Dauer
derselben? --




— — Wenn es irgend paſſen will, und thunlich wird,
ſo komme ich zur Hochzeit: obgleich ich keine Hochzeiten —
von Kindheit an — liebe. Sage dem Bräutigam, ich ge-
dächte ihm dann auch durch die That zu beweiſen, durch
einen Ball, wie ſchön, heilſam, erfreuend und ergötzend das
Tanzen ſei! und ich hätte noch ganze Batterien von Raiſon-
nement, die er mir erſt erſtürmen müßte. — Die ſchönſte
Kunſt! Die Kunſt, wo wir ſelbſt Kunſtſtoff werden, wo wir
uns ſelbſt, frei, glücklich, ſchön, geſund, vollſtändig vortragen;
dies faßt in ſich, gewandt, beſcheiden, naiv, unſchuldig, richtig
aus unſerer Natur heraus, befreit von Elend, Zwang, Kampf,
Beſchränkung und Schwäche! Dies ſollte nicht die ſchönſte
Kunſt ſein? Gewiß, ſie, und die andre, welche entſtünde,
wenn die Sittlichkeit bis zur ſichtlichen Darſtellung ge-
ſteigert oder gebracht werden könnte, verdienten vor allen die-
ſen Namen, weil ſie uns ſelbſt idealiſch und frei darſtellen,
alle andern aber nur Ideen und Zuſtände unſerer beſten Mo-
mente. So denk’ ich’s mir; ſo fühlte ich’s von Kindheit an;
und am reizendſten von allen Künſtlererſcheinungen ſchwebte
mir die der vollkommenſten idealiſchen Tänzerin vor! Was
iſt das bischen größere Dauer der andern Muſenkünſte?
Sind ſie nicht alle nur ein Auftauchen aus unſrem bedingten
Zuſtande? — Und iſt nicht die Höhe, die Reinheit, die Voll-
ſtändigkeit der Geſtalt dieſes Zauberaufſchwungs ein beſſeres
Maß des Werthes der Künſte, als die, zwar nützliche, Dauer
derſelben? —



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0580" n="572"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Karlsruhe, den 9. April 1819.</hi> </dateline><lb/>
            <p>&#x2014; &#x2014; Wenn es irgend pa&#x017F;&#x017F;en will, und thunlich wird,<lb/>
&#x017F;o komme ich zur Hochzeit: obgleich ich keine Hochzeiten &#x2014;<lb/>
von Kindheit an &#x2014; liebe. Sage dem Bräutigam, ich ge-<lb/>
dächte ihm dann auch durch die That zu bewei&#x017F;en, durch<lb/>
einen Ball, wie &#x017F;chön, heil&#x017F;am, erfreuend und ergötzend das<lb/>
Tanzen &#x017F;ei! und ich hätte noch ganze Batterien von Rai&#x017F;on-<lb/>
nement, die er mir er&#x017F;t er&#x017F;türmen müßte. &#x2014; Die &#x017F;chön&#x017F;te<lb/>
Kun&#x017F;t! Die Kun&#x017F;t, wo wir &#x017F;elb&#x017F;t Kun&#x017F;t&#x017F;toff werden, wo wir<lb/>
uns &#x017F;elb&#x017F;t, frei, glücklich, &#x017F;chön, ge&#x017F;und, voll&#x017F;tändig vortragen;<lb/>
dies faßt in &#x017F;ich, gewandt, be&#x017F;cheiden, naiv, un&#x017F;chuldig, richtig<lb/>
aus un&#x017F;erer Natur heraus, befreit von Elend, Zwang, Kampf,<lb/>
Be&#x017F;chränkung und Schwäche! Dies &#x017F;ollte nicht die &#x017F;chön&#x017F;te<lb/>
Kun&#x017F;t &#x017F;ein? Gewiß, &#x017F;ie, und die andre, welche ent&#x017F;tünde,<lb/>
wenn die <hi rendition="#g">Sittlichkeit</hi> bis zur &#x017F;ichtlichen Dar&#x017F;tellung ge-<lb/>
&#x017F;teigert oder gebracht werden könnte, verdienten vor allen die-<lb/>
&#x017F;en Namen, weil &#x017F;ie <hi rendition="#g">uns &#x017F;elb&#x017F;t</hi> ideali&#x017F;ch und frei dar&#x017F;tellen,<lb/>
alle andern aber nur Ideen und Zu&#x017F;tände un&#x017F;erer be&#x017F;ten Mo-<lb/>
mente. So denk&#x2019; ich&#x2019;s mir; &#x017F;o fühlte ich&#x2019;s von Kindheit an;<lb/>
und am reizend&#x017F;ten von allen Kün&#x017F;tlerer&#x017F;cheinungen &#x017F;chwebte<lb/>
mir die der vollkommen&#x017F;ten ideali&#x017F;chen Tänzerin vor! Was<lb/>
i&#x017F;t das <hi rendition="#g">bischen</hi> größere Dauer der <hi rendition="#g">andern</hi> Mu&#x017F;enkün&#x017F;te?<lb/>
Sind &#x017F;ie nicht alle nur ein Auftauchen aus un&#x017F;rem bedingten<lb/>
Zu&#x017F;tande? &#x2014; Und i&#x017F;t nicht die Höhe, die Reinheit, die Voll-<lb/>
&#x017F;tändigkeit der Ge&#x017F;talt die&#x017F;es Zauberauf&#x017F;chwungs ein be&#x017F;&#x017F;eres<lb/>
Maß des Werthes der Kün&#x017F;te, als die, zwar nützliche, Dauer<lb/>
der&#x017F;elben? &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[572/0580] Karlsruhe, den 9. April 1819. — — Wenn es irgend paſſen will, und thunlich wird, ſo komme ich zur Hochzeit: obgleich ich keine Hochzeiten — von Kindheit an — liebe. Sage dem Bräutigam, ich ge- dächte ihm dann auch durch die That zu beweiſen, durch einen Ball, wie ſchön, heilſam, erfreuend und ergötzend das Tanzen ſei! und ich hätte noch ganze Batterien von Raiſon- nement, die er mir erſt erſtürmen müßte. — Die ſchönſte Kunſt! Die Kunſt, wo wir ſelbſt Kunſtſtoff werden, wo wir uns ſelbſt, frei, glücklich, ſchön, geſund, vollſtändig vortragen; dies faßt in ſich, gewandt, beſcheiden, naiv, unſchuldig, richtig aus unſerer Natur heraus, befreit von Elend, Zwang, Kampf, Beſchränkung und Schwäche! Dies ſollte nicht die ſchönſte Kunſt ſein? Gewiß, ſie, und die andre, welche entſtünde, wenn die Sittlichkeit bis zur ſichtlichen Darſtellung ge- ſteigert oder gebracht werden könnte, verdienten vor allen die- ſen Namen, weil ſie uns ſelbſt idealiſch und frei darſtellen, alle andern aber nur Ideen und Zuſtände unſerer beſten Mo- mente. So denk’ ich’s mir; ſo fühlte ich’s von Kindheit an; und am reizendſten von allen Künſtlererſcheinungen ſchwebte mir die der vollkommenſten idealiſchen Tänzerin vor! Was iſt das bischen größere Dauer der andern Muſenkünſte? Sind ſie nicht alle nur ein Auftauchen aus unſrem bedingten Zuſtande? — Und iſt nicht die Höhe, die Reinheit, die Voll- ſtändigkeit der Geſtalt dieſes Zauberaufſchwungs ein beſſeres Maß des Werthes der Künſte, als die, zwar nützliche, Dauer derſelben? —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/580
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/580>, abgerufen am 25.04.2024.