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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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Kinder bei der Hand hatten. Ja, sie müssen von dort: sie
haben die Fahnen, die Adler, wir die Verwundeten!) Also
Gott hat mir gelächelt: ich helfe etwas. Als nun gestern
Nachmittag Tieck mir eben einen jungen Landsmann gebracht
hatte, dem ich gegen Assignation vorschieße, -- geht die Thüre
auf, und Marwitz steht da. Weiter nichts! Den Arm in
einer Binde, ruppig: kurz, er lebt; ist der Alte; ist gesund;
hat acht Wunden. Sein Pferd fiel auf ihn und quetschte ihn.
Polen fielen über ihn, gaben ihm Kolbenstöße, wovon ihm
der Degen entsank: ein Anderer nahm ihn, und gab ihm drei
Hiebe in Hand und Arm, Einer einen Lanzenstich, ein Andrer
setzte ihm das Gewehr vor den Kopf, schoß ab, aber es ging
nicht: der Oberst der Polen kam und rettete ihm das Leben:
gefangen war er aber; und ist nun durch tausend Avantü-
ren entkommen: und kommt durch vielerlei Länder hier her.
(Mit einem Stück Kommißbrot in einem groben Schnupftuch
eingewickelt: einen zerrissenen Bauerkittel hatte er an: jetzt
trägt er einen Rock von Robert und dessen Wäsche; wir schaf-
fen ihm alles an.) Frau von Reimann hat ihm vor andern
Militairs ein Zimmer eingeräumt: und also wohnt er bei uns,
und ißt bei mir. -- Er ist einfach, gut, wahr, still; mild wie
immer. Ohne alles Vorurtheil über irgend ein Vorgefalle-
nes. Besonders erschrocken habe ich mich nicht. (Eben tritt
Marwitz herein, und will mir Briefe diktiren an seinen Ge-
neral etc. auch habe ich hier mittendrin an einen Wundarzt
geschrieben: auch war ein Goldschmidt dazwischen hier. Du
siehst! -- Leinwand muß ich kaufen. Essen kochen lassen, ab-
theilen, hinbesorgen, mich anziehen. Nach Breslau schreiben!)

Kinder bei der Hand hatten. Ja, ſie müſſen von dort: ſie
haben die Fahnen, die Adler, wir die Verwundeten!) Alſo
Gott hat mir gelächelt: ich helfe etwas. Als nun geſtern
Nachmittag Tieck mir eben einen jungen Landsmann gebracht
hatte, dem ich gegen Aſſignation vorſchieße, — geht die Thüre
auf, und Marwitz ſteht da. Weiter nichts! Den Arm in
einer Binde, ruppig: kurz, er lebt; iſt der Alte; iſt geſund;
hat acht Wunden. Sein Pferd fiel auf ihn und quetſchte ihn.
Polen fielen über ihn, gaben ihm Kolbenſtöße, wovon ihm
der Degen entſank: ein Anderer nahm ihn, und gab ihm drei
Hiebe in Hand und Arm, Einer einen Lanzenſtich, ein Andrer
ſetzte ihm das Gewehr vor den Kopf, ſchoß ab, aber es ging
nicht: der Oberſt der Polen kam und rettete ihm das Leben:
gefangen war er aber; und iſt nun durch tauſend Avantü-
ren entkommen: und kommt durch vielerlei Länder hier her.
(Mit einem Stück Kommißbrot in einem groben Schnupftuch
eingewickelt: einen zerriſſenen Bauerkittel hatte er an: jetzt
trägt er einen Rock von Robert und deſſen Wäſche; wir ſchaf-
fen ihm alles an.) Frau von Reimann hat ihm vor andern
Militairs ein Zimmer eingeräumt: und alſo wohnt er bei uns,
und ißt bei mir. — Er iſt einfach, gut, wahr, ſtill; mild wie
immer. Ohne alles Vorurtheil über irgend ein Vorgefalle-
nes. Beſonders erſchrocken habe ich mich nicht. (Eben tritt
Marwitz herein, und will mir Briefe diktiren an ſeinen Ge-
neral ꝛc. auch habe ich hier mittendrin an einen Wundarzt
geſchrieben: auch war ein Goldſchmidt dazwiſchen hier. Du
ſiehſt! — Leinwand muß ich kaufen. Eſſen kochen laſſen, ab-
theilen, hinbeſorgen, mich anziehen. Nach Breslau ſchreiben!)

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[121/0129] Kinder bei der Hand hatten. Ja, ſie müſſen von dort: ſie haben die Fahnen, die Adler, wir die Verwundeten!) Alſo Gott hat mir gelächelt: ich helfe etwas. Als nun geſtern Nachmittag Tieck mir eben einen jungen Landsmann gebracht hatte, dem ich gegen Aſſignation vorſchieße, — geht die Thüre auf, und Marwitz ſteht da. Weiter nichts! Den Arm in einer Binde, ruppig: kurz, er lebt; iſt der Alte; iſt geſund; hat acht Wunden. Sein Pferd fiel auf ihn und quetſchte ihn. Polen fielen über ihn, gaben ihm Kolbenſtöße, wovon ihm der Degen entſank: ein Anderer nahm ihn, und gab ihm drei Hiebe in Hand und Arm, Einer einen Lanzenſtich, ein Andrer ſetzte ihm das Gewehr vor den Kopf, ſchoß ab, aber es ging nicht: der Oberſt der Polen kam und rettete ihm das Leben: gefangen war er aber; und iſt nun durch tauſend Avantü- ren entkommen: und kommt durch vielerlei Länder hier her. (Mit einem Stück Kommißbrot in einem groben Schnupftuch eingewickelt: einen zerriſſenen Bauerkittel hatte er an: jetzt trägt er einen Rock von Robert und deſſen Wäſche; wir ſchaf- fen ihm alles an.) Frau von Reimann hat ihm vor andern Militairs ein Zimmer eingeräumt: und alſo wohnt er bei uns, und ißt bei mir. — Er iſt einfach, gut, wahr, ſtill; mild wie immer. Ohne alles Vorurtheil über irgend ein Vorgefalle- nes. Beſonders erſchrocken habe ich mich nicht. (Eben tritt Marwitz herein, und will mir Briefe diktiren an ſeinen Ge- neral ꝛc. auch habe ich hier mittendrin an einen Wundarzt geſchrieben: auch war ein Goldſchmidt dazwiſchen hier. Du ſiehſt! — Leinwand muß ich kaufen. Eſſen kochen laſſen, ab- theilen, hinbeſorgen, mich anziehen. Nach Breslau ſchreiben!)

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/129>, abgerufen am 19.04.2024.