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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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So schrieb ich in Prag: "So wie kein Dichter sich ausdenken
kann, was besser, mannigfaltiger und sonderbarer wäre, als
was sich wirklich in der Welt entwickelt und zuträgt; und
nur der den besten Roman machen kann, welcher Kraft genug
hat, das was geschieht zu sehen, und in seiner Seele ausein-
ander zu halten; eben so sind unsere tief-natürlichsten Wün-
sche roh
; und gräuelhaft entwickelte sich ihre Erfüllung für
uns; nur das, was Gott wirklich zuläßt, ist in allen Bezie-
hungen heilsam für uns, weil wir uns ihm entgegen bilden
können. Mir ist dies in Prag schmerzhaft geschehen, und klar
geworden. Wem dies glimpflich begegnet, der hat Glück."
Der Ausdruck "rohe Wünsche" fiel mir sehr auf, und so etwas
kann mich erstaunlich freuen; so sehr mir auch meine Aus-
drücke aus dem Kopf und aus der Feder fahren, so entschie-
den distilliren sie sich doch durch alles was ich lebe vorlängst
in meinem Kopf zurechte; durch Gut und Blut, und Arbeit,
ununterbrochener Art; darum gehe ich wohl verschwendrisch
damit um, und achte es nicht wenn meine Ausdrücke nicht be-
achtet werden, wenn aber einer davon einmal grade so wir-
ken will, als ich ihn gemeint hatte; d. h. alle Gründe mit
beleuchtet und bewegt, die ihn geschaffen haben, dann freut
es mich als etwas Gelungenes, dem Recht geschieht, und wel-
ches nicht umsonst da ist; dies nun ist mir in Fülle dadurch
diesmal gelungen, daß Sie sich bei demselben Gedanken des-
selben Ausdrucks bedienten: und daher mein freudiges Bravo,
und mein umständliches Beurkunden meines Anspruchs darauf.
Sie sehen also, wie bereit ich bin mir Gerechtigkeit widerfah-
ren zu lassen, wenn auch zu meiner Ehre, durch mein eigenes

II. 24

So ſchrieb ich in Prag: „So wie kein Dichter ſich ausdenken
kann, was beſſer, mannigfaltiger und ſonderbarer wäre, als
was ſich wirklich in der Welt entwickelt und zuträgt; und
nur der den beſten Roman machen kann, welcher Kraft genug
hat, das was geſchieht zu ſehen, und in ſeiner Seele ausein-
ander zu halten; eben ſo ſind unſere tief-natürlichſten Wün-
ſche roh
; und gräuelhaft entwickelte ſich ihre Erfüllung für
uns; nur das, was Gott wirklich zuläßt, iſt in allen Bezie-
hungen heilſam für uns, weil wir uns ihm entgegen bilden
können. Mir iſt dies in Prag ſchmerzhaft geſchehen, und klar
geworden. Wem dies glimpflich begegnet, der hat Glück.“
Der Ausdruck „rohe Wünſche“ fiel mir ſehr auf, und ſo etwas
kann mich erſtaunlich freuen; ſo ſehr mir auch meine Aus-
drücke aus dem Kopf und aus der Feder fahren, ſo entſchie-
den diſtilliren ſie ſich doch durch alles was ich lebe vorlängſt
in meinem Kopf zurechte; durch Gut und Blut, und Arbeit,
ununterbrochener Art; darum gehe ich wohl verſchwendriſch
damit um, und achte es nicht wenn meine Ausdrücke nicht be-
achtet werden, wenn aber einer davon einmal grade ſo wir-
ken will, als ich ihn gemeint hatte; d. h. alle Gründe mit
beleuchtet und bewegt, die ihn geſchaffen haben, dann freut
es mich als etwas Gelungenes, dem Recht geſchieht, und wel-
ches nicht umſonſt da iſt; dies nun iſt mir in Fülle dadurch
diesmal gelungen, daß Sie ſich bei demſelben Gedanken deſ-
ſelben Ausdrucks bedienten: und daher mein freudiges Bravo,
und mein umſtändliches Beurkunden meines Anſpruchs darauf.
Sie ſehen alſo, wie bereit ich bin mir Gerechtigkeit widerfah-
ren zu laſſen, wenn auch zu meiner Ehre, durch mein eigenes

II. 24
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[369/0377] So ſchrieb ich in Prag: „So wie kein Dichter ſich ausdenken kann, was beſſer, mannigfaltiger und ſonderbarer wäre, als was ſich wirklich in der Welt entwickelt und zuträgt; und nur der den beſten Roman machen kann, welcher Kraft genug hat, das was geſchieht zu ſehen, und in ſeiner Seele ausein- ander zu halten; eben ſo ſind unſere tief-natürlichſten Wün- ſche roh; und gräuelhaft entwickelte ſich ihre Erfüllung für uns; nur das, was Gott wirklich zuläßt, iſt in allen Bezie- hungen heilſam für uns, weil wir uns ihm entgegen bilden können. Mir iſt dies in Prag ſchmerzhaft geſchehen, und klar geworden. Wem dies glimpflich begegnet, der hat Glück.“ Der Ausdruck „rohe Wünſche“ fiel mir ſehr auf, und ſo etwas kann mich erſtaunlich freuen; ſo ſehr mir auch meine Aus- drücke aus dem Kopf und aus der Feder fahren, ſo entſchie- den diſtilliren ſie ſich doch durch alles was ich lebe vorlängſt in meinem Kopf zurechte; durch Gut und Blut, und Arbeit, ununterbrochener Art; darum gehe ich wohl verſchwendriſch damit um, und achte es nicht wenn meine Ausdrücke nicht be- achtet werden, wenn aber einer davon einmal grade ſo wir- ken will, als ich ihn gemeint hatte; d. h. alle Gründe mit beleuchtet und bewegt, die ihn geſchaffen haben, dann freut es mich als etwas Gelungenes, dem Recht geſchieht, und wel- ches nicht umſonſt da iſt; dies nun iſt mir in Fülle dadurch diesmal gelungen, daß Sie ſich bei demſelben Gedanken deſ- ſelben Ausdrucks bedienten: und daher mein freudiges Bravo, und mein umſtändliches Beurkunden meines Anſpruchs darauf. Sie ſehen alſo, wie bereit ich bin mir Gerechtigkeit widerfah- ren zu laſſen, wenn auch zu meiner Ehre, durch mein eigenes II. 24

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/377>, abgerufen am 24.04.2024.