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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Der meisten Leute ihr Reden ist nichtsnutziges Geschwätz:
es ist ihnen auch selbst nichts daran gelegen; sie hoffen nur,
es soll nur, es soll den Andern etwas daran gelegen sein;
und dies ist der wahre Probierstein wesentlicher und unwe-
sentlicher Behauptung und Erzählung. Nebenher, ein reicher
verbreiteter Quell der Langeweile, die da Menschen auszustehen
haben, nämlich die, welche jeden Augenblick als einen ur-
sprünglichen leben.




Ich finde den ganzen Unterschied in der Menschen Geister
nur bei'm Fragen: antworten können sie alle nur auf die-
selbe Weise.



Wer sich mit dummen Antworten begnügt, und keine
Fragen anzuknüpfen weiß, ist dumm. Wer wissentlich, ver-
wickelte, verfängliche Antworten giebt, listig. Listigkeit ist
aber verkleideter Bettel; auch gesteht man sie nicht, und schämt
sich: und immer bleibt dies ein Verdruß.



Verdammt sein, sich zu verdammen.



Die Welt ist so ordinair, als man will: man kann sie
ansehn, wie man will. Sich wundern, gar nicht wundern:
wie man's stellt.





III. 7

Der meiſten Leute ihr Reden iſt nichtsnutziges Geſchwätz:
es iſt ihnen auch ſelbſt nichts daran gelegen; ſie hoffen nur,
es ſoll nur, es ſoll den Andern etwas daran gelegen ſein;
und dies iſt der wahre Probierſtein weſentlicher und unwe-
ſentlicher Behauptung und Erzählung. Nebenher, ein reicher
verbreiteter Quell der Langeweile, die da Menſchen auszuſtehen
haben, nämlich die, welche jeden Augenblick als einen ur-
ſprünglichen leben.




Ich finde den ganzen Unterſchied in der Menſchen Geiſter
nur bei’m Fragen: antworten können ſie alle nur auf die-
ſelbe Weiſe.



Wer ſich mit dummen Antworten begnügt, und keine
Fragen anzuknüpfen weiß, iſt dumm. Wer wiſſentlich, ver-
wickelte, verfängliche Antworten giebt, liſtig. Liſtigkeit iſt
aber verkleideter Bettel; auch geſteht man ſie nicht, und ſchämt
ſich: und immer bleibt dies ein Verdruß.



Verdammt ſein, ſich zu verdammen.



Die Welt iſt ſo ordinair, als man will: man kann ſie
anſehn, wie man will. Sich wundern, gar nicht wundern:
wie man’s ſtellt.





III. 7
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[97/0105] Sonntag, den 4. Mai 1823. Der meiſten Leute ihr Reden iſt nichtsnutziges Geſchwätz: es iſt ihnen auch ſelbſt nichts daran gelegen; ſie hoffen nur, es ſoll nur, es ſoll den Andern etwas daran gelegen ſein; und dies iſt der wahre Probierſtein weſentlicher und unwe- ſentlicher Behauptung und Erzählung. Nebenher, ein reicher verbreiteter Quell der Langeweile, die da Menſchen auszuſtehen haben, nämlich die, welche jeden Augenblick als einen ur- ſprünglichen leben. Montag, den 12. Mai 1823. Ich finde den ganzen Unterſchied in der Menſchen Geiſter nur bei’m Fragen: antworten können ſie alle nur auf die- ſelbe Weiſe. Wer ſich mit dummen Antworten begnügt, und keine Fragen anzuknüpfen weiß, iſt dumm. Wer wiſſentlich, ver- wickelte, verfängliche Antworten giebt, liſtig. Liſtigkeit iſt aber verkleideter Bettel; auch geſteht man ſie nicht, und ſchämt ſich: und immer bleibt dies ein Verdruß. Verdammt ſein, ſich zu verdammen. Die Welt iſt ſo ordinair, als man will: man kann ſie anſehn, wie man will. Sich wundern, gar nicht wundern: wie man’s ſtellt. Donnerstag, den 15. Mai 1823. Es war noch kalt, aber alles ganz grün. III. 7

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/105>, abgerufen am 23.04.2024.