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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Wenn man lieben könnte, was man wollte, so könnte
man sich ja immer glücklich machen! Die verkehrtesten Forde-
rungen werden gemacht: bloß weil sie nicht gestehen wollen,
daß sich die Freiheit in den höchsten Zwang gerettet hat. Der
gefesselte Wille allein ist frei: da ist man frei: das ist die Fe-
stung vom lieben Gott gebaut. --

Es giebt einen freien Weg, bis nach dem gefesselten Wil-
len -- Wollen -- zu gelangen; den der Vernunft, wo man
wahr sein muß: und anstatt den anzutreten, nennen sie den
Willen frei.




Heute den 7. April 1824. freute ich mich ungeheuer, in
Jacobi von Spinoza zu finden: "Ich bin fern, alle Freiheit
zu läugnen, und weiß, daß der Mensch sein Theil davon hat.
Aber diese Freiheit besteht nicht in einem erträumten Vermö-
gen, wollen zu können: weil das Wollen nur in dem wirklich
vorhandenen bestimmten Willen dasein kann. Einem Wesen
ein Vermögen, wollen zu können, zuschreiben, ist eben so, als
wenn man ihm ein Vermögen, dasein zu können, zuschriebe,
kraft dessen es von ihm abhinge, sich das wirkliche Dasein
zu verschaffen." u. s. w. -- Ich verstehe es. Einmal sagt
Spinoza: "Kurz, wir wissen was wir thun; und weiter nichts."

Spinoza sagt: "Wir irren uns über den Willen. Wir
sehen auch, daß sich die Sonne um die Erde dreht. Lassen
wir die Erscheinung, und bestreben uns, die Dinge zu erken-
nen, wie sie sind." Die Wahrheit kann nicht von außen
kommen; sie ist in uns. Aber wenige Köpfe sind für voll-

Wenn man lieben könnte, was man wollte, ſo könnte
man ſich ja immer glücklich machen! Die verkehrteſten Forde-
rungen werden gemacht: bloß weil ſie nicht geſtehen wollen,
daß ſich die Freiheit in den höchſten Zwang gerettet hat. Der
gefeſſelte Wille allein iſt frei: da iſt man frei: das iſt die Fe-
ſtung vom lieben Gott gebaut. —

Es giebt einen freien Weg, bis nach dem gefeſſelten Wil-
len — Wollen — zu gelangen; den der Vernunft, wo man
wahr ſein muß: und anſtatt den anzutreten, nennen ſie den
Willen frei.




Heute den 7. April 1824. freute ich mich ungeheuer, in
Jacobi von Spinoza zu finden: „Ich bin fern, alle Freiheit
zu läugnen, und weiß, daß der Menſch ſein Theil davon hat.
Aber dieſe Freiheit beſteht nicht in einem erträumten Vermö-
gen, wollen zu können: weil das Wollen nur in dem wirklich
vorhandenen beſtimmten Willen daſein kann. Einem Weſen
ein Vermögen, wollen zu können, zuſchreiben, iſt eben ſo, als
wenn man ihm ein Vermögen, daſein zu können, zuſchriebe,
kraft deſſen es von ihm abhinge, ſich das wirkliche Daſein
zu verſchaffen.“ u. ſ. w. — Ich verſtehe es. Einmal ſagt
Spinoza: „Kurz, wir wiſſen was wir thun; und weiter nichts.“

Spinoza ſagt: „Wir irren uns über den Willen. Wir
ſehen auch, daß ſich die Sonne um die Erde dreht. Laſſen
wir die Erſcheinung, und beſtreben uns, die Dinge zu erken-
nen, wie ſie ſind.“ Die Wahrheit kann nicht von außen
kommen; ſie iſt in uns. Aber wenige Köpfe ſind für voll-

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[150/0158] Wenn man lieben könnte, was man wollte, ſo könnte man ſich ja immer glücklich machen! Die verkehrteſten Forde- rungen werden gemacht: bloß weil ſie nicht geſtehen wollen, daß ſich die Freiheit in den höchſten Zwang gerettet hat. Der gefeſſelte Wille allein iſt frei: da iſt man frei: das iſt die Fe- ſtung vom lieben Gott gebaut. — Es giebt einen freien Weg, bis nach dem gefeſſelten Wil- len — Wollen — zu gelangen; den der Vernunft, wo man wahr ſein muß: und anſtatt den anzutreten, nennen ſie den Willen frei. Sonntag, den 4. April 1824. Heute den 7. April 1824. freute ich mich ungeheuer, in Jacobi von Spinoza zu finden: „Ich bin fern, alle Freiheit zu läugnen, und weiß, daß der Menſch ſein Theil davon hat. Aber dieſe Freiheit beſteht nicht in einem erträumten Vermö- gen, wollen zu können: weil das Wollen nur in dem wirklich vorhandenen beſtimmten Willen daſein kann. Einem Weſen ein Vermögen, wollen zu können, zuſchreiben, iſt eben ſo, als wenn man ihm ein Vermögen, daſein zu können, zuſchriebe, kraft deſſen es von ihm abhinge, ſich das wirkliche Daſein zu verſchaffen.“ u. ſ. w. — Ich verſtehe es. Einmal ſagt Spinoza: „Kurz, wir wiſſen was wir thun; und weiter nichts.“ Spinoza ſagt: „Wir irren uns über den Willen. Wir ſehen auch, daß ſich die Sonne um die Erde dreht. Laſſen wir die Erſcheinung, und beſtreben uns, die Dinge zu erken- nen, wie ſie ſind.“ Die Wahrheit kann nicht von außen kommen; ſie iſt in uns. Aber wenige Köpfe ſind für voll-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/158>, abgerufen am 25.04.2024.