Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

uns und ohne uns zu finden. Wer dagegen streitet, vergißt
bloß die Bedingungen dazu: und denkt, ich habe sie auch ver-
gessen. Die Bedingungen sind ethische, und auch andere.




Also Nordostwind. Im Winter war wärmliches Wetter.

-- Sie kennen mein Leben durch früheres Mitleben. Es
kostet mich, de ne vivre -- d'une certaine maniere -- que
de privations;
wenn auch die Andern meinen, ich hätte
nur nicht solchen erhabenen gusto! zum elegant und vor-
nehm leben, wie sie, die sich armselig aufspreizen für gewisse
Tage, um an den übrigen hinter dem doch nur elenden Schein
sich noch armseliger zu verkriechen! -- Wem soll ich es ab-
sparen? Nur mir. Almosen, Geschenke, Generositäten, gehen
ihren Gang, mit den obliquen Ausgaben! -- les imprevues,
les incalculables
nenne ich so. -- Aber, all dies ist mir lieber
als falsche Aufspannung, und Schulden. Ich habe keine.
Also Privation, und Ruhe. Und dafür noch große Dankbar-
keit. Für Hoffnungen bin ich schon stumm im Innren. Aus-
saat
in meinem Alter? (mit meinem Schicksal?) da muß
man ärnten! Aber auch ich ärnte. Goethe sagt; und ich
weiß lange: "Wer nicht verzweiflen kann, der muß nicht
leben!" Ich bin ein Meister im Verzweiflen, und nun leb'
ich erst ruhig. Wenn man mir den Tag, die Stunden, die
Muße nicht vergiftet, mich, ohne Vergnügen, ohne erfüllte Ei-
telkeit, ohne Herzensnahrung, ohne Augenweide, ohne Genuß
irgend einer Art zufrieden läßt, so bin ich vergnügt. Mein
jetziges Leben ist ein Ausruhen, wenn man mir Ruhe läßt.

uns und ohne uns zu finden. Wer dagegen ſtreitet, vergißt
bloß die Bedingungen dazu: und denkt, ich habe ſie auch ver-
geſſen. Die Bedingungen ſind ethiſche, und auch andere.




Alſo Nordoſtwind. Im Winter war wärmliches Wetter.

— Sie kennen mein Leben durch früheres Mitleben. Es
koſtet mich, de ne vivre — d’une certaine manière — que
de privations;
wenn auch die Andern meinen, ich hätte
nur nicht ſolchen erhabenen gusto! zum elegant und vor-
nehm leben, wie ſie, die ſich armſelig aufſpreizen für gewiſſe
Tage, um an den übrigen hinter dem doch nur elenden Schein
ſich noch armſeliger zu verkriechen! — Wem ſoll ich es ab-
ſparen? Nur mir. Almoſen, Geſchenke, Generoſitäten, gehen
ihren Gang, mit den obliquen Ausgaben! — les imprévues,
les incalculables
nenne ich ſo. — Aber, all dies iſt mir lieber
als falſche Aufſpannung, und Schulden. Ich habe keine.
Alſo Privation, und Ruhe. Und dafür noch große Dankbar-
keit. Für Hoffnungen bin ich ſchon ſtumm im Innren. Aus-
ſaat
in meinem Alter? (mit meinem Schickſal?) da muß
man ärnten! Aber auch ich ärnte. Goethe ſagt; und ich
weiß lange: „Wer nicht verzweiflen kann, der muß nicht
leben!“ Ich bin ein Meiſter im Verzweiflen, und nun leb’
ich erſt ruhig. Wenn man mir den Tag, die Stunden, die
Muße nicht vergiftet, mich, ohne Vergnügen, ohne erfüllte Ei-
telkeit, ohne Herzensnahrung, ohne Augenweide, ohne Genuß
irgend einer Art zufrieden läßt, ſo bin ich vergnügt. Mein
jetziges Leben iſt ein Ausruhen, wenn man mir Ruhe läßt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0194" n="186"/>
uns und ohne uns zu finden. Wer dagegen &#x017F;treitet, vergißt<lb/>
bloß die Bedingungen dazu: und denkt, ich habe &#x017F;ie auch ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en. Die Bedingungen &#x017F;ind ethi&#x017F;che, und auch andere.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, Mittwoch Vormittag den 2. März 1825.</hi> </dateline><lb/>
            <p> <hi rendition="#et">Al&#x017F;o Nordo&#x017F;twind. Im Winter war wärmliches Wetter.</hi> </p><lb/>
            <p>&#x2014; Sie kennen mein Leben durch früheres Mitleben. Es<lb/><hi rendition="#g">ko&#x017F;tet</hi> mich, <hi rendition="#aq">de ne vivre &#x2014; d&#x2019;une certaine manière &#x2014; que<lb/>
de privations;</hi> wenn auch <hi rendition="#g">die Andern meinen</hi>, ich hätte<lb/>
nur nicht &#x017F;olchen <hi rendition="#g">erhabenen <hi rendition="#aq">gusto!</hi></hi> zum elegant und vor-<lb/>
nehm leben, wie &#x017F;ie, die &#x017F;ich arm&#x017F;elig auf&#x017F;preizen für gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Tage, um an den übrigen hinter dem doch nur elenden Schein<lb/>
&#x017F;ich noch arm&#x017F;eliger zu verkriechen! &#x2014; <hi rendition="#g">Wem</hi> &#x017F;oll ich es ab-<lb/>
&#x017F;paren? Nur mir. Almo&#x017F;en, Ge&#x017F;chenke, Genero&#x017F;itäten, gehen<lb/>
ihren Gang, mit den obliquen Ausgaben! &#x2014; <hi rendition="#aq">les imprévues,<lb/>
les incalculables</hi> nenne ich &#x017F;o. &#x2014; Aber, all dies i&#x017F;t mir lieber<lb/>
als fal&#x017F;che Auf&#x017F;pannung, und Schulden. Ich habe <hi rendition="#g">keine</hi>.<lb/>
Al&#x017F;o Privation, und Ruhe. Und <hi rendition="#g">daf</hi>ür noch große Dankbar-<lb/>
keit. Für Hoffnungen bin ich &#x017F;chon &#x017F;tumm im Innren. <hi rendition="#g">Aus-<lb/>
&#x017F;aat</hi> in meinem Alter? (mit <hi rendition="#g">meinem</hi> Schick&#x017F;al?) da muß<lb/>
man ärnten! Aber auch ich ärnte. Goethe <hi rendition="#g">&#x017F;agt</hi>; und ich<lb/>
weiß <hi rendition="#g">lange:</hi> &#x201E;Wer nicht verzweiflen kann, der muß nicht<lb/>
leben!&#x201C; Ich bin ein Mei&#x017F;ter im Verzweiflen, und nun leb&#x2019;<lb/>
ich er&#x017F;t ruhig. Wenn man mir den Tag, die <hi rendition="#g">Stunden</hi>, die<lb/>
Muße nicht vergiftet, mich, ohne Vergnügen, ohne erfüllte Ei-<lb/>
telkeit, ohne Herzensnahrung, ohne Augenweide, ohne Genuß<lb/>
irgend einer Art zufrieden läßt, &#x017F;o bin ich vergnügt. Mein<lb/>
jetziges Leben i&#x017F;t ein Ausruhen, wenn man mir <hi rendition="#g">Ruhe läßt</hi>.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0194] uns und ohne uns zu finden. Wer dagegen ſtreitet, vergißt bloß die Bedingungen dazu: und denkt, ich habe ſie auch ver- geſſen. Die Bedingungen ſind ethiſche, und auch andere. Berlin, Mittwoch Vormittag den 2. März 1825. Alſo Nordoſtwind. Im Winter war wärmliches Wetter. — Sie kennen mein Leben durch früheres Mitleben. Es koſtet mich, de ne vivre — d’une certaine manière — que de privations; wenn auch die Andern meinen, ich hätte nur nicht ſolchen erhabenen gusto! zum elegant und vor- nehm leben, wie ſie, die ſich armſelig aufſpreizen für gewiſſe Tage, um an den übrigen hinter dem doch nur elenden Schein ſich noch armſeliger zu verkriechen! — Wem ſoll ich es ab- ſparen? Nur mir. Almoſen, Geſchenke, Generoſitäten, gehen ihren Gang, mit den obliquen Ausgaben! — les imprévues, les incalculables nenne ich ſo. — Aber, all dies iſt mir lieber als falſche Aufſpannung, und Schulden. Ich habe keine. Alſo Privation, und Ruhe. Und dafür noch große Dankbar- keit. Für Hoffnungen bin ich ſchon ſtumm im Innren. Aus- ſaat in meinem Alter? (mit meinem Schickſal?) da muß man ärnten! Aber auch ich ärnte. Goethe ſagt; und ich weiß lange: „Wer nicht verzweiflen kann, der muß nicht leben!“ Ich bin ein Meiſter im Verzweiflen, und nun leb’ ich erſt ruhig. Wenn man mir den Tag, die Stunden, die Muße nicht vergiftet, mich, ohne Vergnügen, ohne erfüllte Ei- telkeit, ohne Herzensnahrung, ohne Augenweide, ohne Genuß irgend einer Art zufrieden läßt, ſo bin ich vergnügt. Mein jetziges Leben iſt ein Ausruhen, wenn man mir Ruhe läßt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/194
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/194>, abgerufen am 29.03.2024.