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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Jungfrau dies: "es ist nicht meine Wahl." Ich hütete lieber
Schafe. Mad. Beer ist in Mlle. Sontag, und etwas in mich
verliebt; und nimmt mich mit. -- Von unserm Willisen hatte
ich in Baden die letzte Spur, wo er meinen Bruder Ludwig
und seine schöne Frau viel sah: sie fuhren mit ihm und dem
Grafen Yorck spaziren, loben den sehr, und auch Willisens
Munterkeit und mittheilungsvolles Wesen. Der Mensch muß
reisen; "da wird es ihm angestrichen," sagen sie bei uns;
heißt: nichts nachgegeben! "Der Mensch" hat aber doch Recht;
nur in der Fremde ist er er; zu Hause muß er seine Ver-
gangenheit repräsentiren: und die wird in der Gegenwart eine
Maske; schwer zu tragen und das Gesicht verdeckend. -- Be-
schämen Sie mich nicht, werthe Frau von Steffens. Nehmen
Sie mich, wie ich bin; und nennen Sie mich nicht geistreich.
Erlauben Sie mir lebendig und beweglich zu sein; und Klär-
chen und Sie herzlich zu umarmen, und Ihnen meine treue
Anhänglichkeit beweisen zu dürfen: dann muß ich Ihnen
danken. --



An Ludwig Robert, in Paris.

Die vorige Woche sah' ich, wie alle hiesigen Einwohner,
die Italiänerin in Algier; du weißt es, ich ging mit der gün-
stigsten Meinung hin: für Rossini, für die Mimen, und Sän-
ger; ganz unbefangen wenigstens. Solche reine Langeweile,
bloß mit höchster Ungeduld bis zum Aufspringen -- (wenn

Jungfrau dies: „es iſt nicht meine Wahl.“ Ich hütete lieber
Schafe. Mad. Beer iſt in Mlle. Sontag, und etwas in mich
verliebt; und nimmt mich mit. — Von unſerm Williſen hatte
ich in Baden die letzte Spur, wo er meinen Bruder Ludwig
und ſeine ſchöne Frau viel ſah: ſie fuhren mit ihm und dem
Grafen Yorck ſpaziren, loben den ſehr, und auch Williſens
Munterkeit und mittheilungsvolles Weſen. Der Menſch muß
reiſen; „da wird es ihm angeſtrichen,“ ſagen ſie bei uns;
heißt: nichts nachgegeben! „Der Menſch“ hat aber doch Recht;
nur in der Fremde iſt er er; zu Hauſe muß er ſeine Ver-
gangenheit repräſentiren: und die wird in der Gegenwart eine
Maske; ſchwer zu tragen und das Geſicht verdeckend. — Be-
ſchämen Sie mich nicht, werthe Frau von Steffens. Nehmen
Sie mich, wie ich bin; und nennen Sie mich nicht geiſtreich.
Erlauben Sie mir lebendig und beweglich zu ſein; und Klär-
chen und Sie herzlich zu umarmen, und Ihnen meine treue
Anhänglichkeit beweiſen zu dürfen: dann muß ich Ihnen
danken. —



An Ludwig Robert, in Paris.

Die vorige Woche ſah’ ich, wie alle hieſigen Einwohner,
die Italiänerin in Algier; du weißt es, ich ging mit der gün-
ſtigſten Meinung hin: für Roſſini, für die Mimen, und Sän-
ger; ganz unbefangen wenigſtens. Solche reine Langeweile,
bloß mit höchſter Ungeduld bis zum Aufſpringen — (wenn

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[216/0224] Jungfrau dies: „es iſt nicht meine Wahl.“ Ich hütete lieber Schafe. Mad. Beer iſt in Mlle. Sontag, und etwas in mich verliebt; und nimmt mich mit. — Von unſerm Williſen hatte ich in Baden die letzte Spur, wo er meinen Bruder Ludwig und ſeine ſchöne Frau viel ſah: ſie fuhren mit ihm und dem Grafen Yorck ſpaziren, loben den ſehr, und auch Williſens Munterkeit und mittheilungsvolles Weſen. Der Menſch muß reiſen; „da wird es ihm angeſtrichen,“ ſagen ſie bei uns; heißt: nichts nachgegeben! „Der Menſch“ hat aber doch Recht; nur in der Fremde iſt er er; zu Hauſe muß er ſeine Ver- gangenheit repräſentiren: und die wird in der Gegenwart eine Maske; ſchwer zu tragen und das Geſicht verdeckend. — Be- ſchämen Sie mich nicht, werthe Frau von Steffens. Nehmen Sie mich, wie ich bin; und nennen Sie mich nicht geiſtreich. Erlauben Sie mir lebendig und beweglich zu ſein; und Klär- chen und Sie herzlich zu umarmen, und Ihnen meine treue Anhänglichkeit beweiſen zu dürfen: dann muß ich Ihnen danken. — An Ludwig Robert, in Paris. Berlin, den 19. September 1825. Die vorige Woche ſah’ ich, wie alle hieſigen Einwohner, die Italiänerin in Algier; du weißt es, ich ging mit der gün- ſtigſten Meinung hin: für Roſſini, für die Mimen, und Sän- ger; ganz unbefangen wenigſtens. Solche reine Langeweile, bloß mit höchſter Ungeduld bis zum Aufſpringen — (wenn

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/224>, abgerufen am 25.04.2024.