Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Der ist dumm in der Moral! Der rühmt sich Schlech-
tigkeiten nach. Er hat einige große Grundsätze aufgeschnappt,
die er dafür hält, und die er nie anzuwenden das Herz hat;
man möchte sagen, nicht den Verstand.




Es ist ein Wissen, und ein Sein, und ein Fühlen, und
ein Haben, -- welches ich manchmal ganz zugleich wie einen
Aufflug fühle.




Einsicht ist frei: aber nicht der Wille. Das wird ver-
wechselt. Was wir begehren müssen, ist ganz bestimmt in
uns, das sind wir gleichsam selbst, davon sind wir gemacht:
unser Wollen ist nur wie ein Gelenk, welches hierhin, oder
dorthin gedreht werden kann; Einsicht kann nur freie Zustim-
mung werden; Einstimmung zum Zwang: und so ist nur in
Einsicht Freiheit für uns.



An Fanny Tarnow, in Dresden.

Hier, liebe Fanny, haben Sie einen Brief, der Sie in
Frankfurt am Main bei der vortrefflichsten Familie einführt.
Die Familie Louis G. ist tüchtig, gütig, unterrichtet, unaffek-
tirt, heiter, gesellig, freisinnig; antheilnehmend an allem Wür-


Der iſt dumm in der Moral! Der rühmt ſich Schlech-
tigkeiten nach. Er hat einige große Grundſätze aufgeſchnappt,
die er dafür hält, und die er nie anzuwenden das Herz hat;
man möchte ſagen, nicht den Verſtand.




Es iſt ein Wiſſen, und ein Sein, und ein Fühlen, und
ein Haben, — welches ich manchmal ganz zugleich wie einen
Aufflug fühle.




Einſicht iſt frei: aber nicht der Wille. Das wird ver-
wechſelt. Was wir begehren müſſen, iſt ganz beſtimmt in
uns, das ſind wir gleichſam ſelbſt, davon ſind wir gemacht:
unſer Wollen iſt nur wie ein Gelenk, welches hierhin, oder
dorthin gedreht werden kann; Einſicht kann nur freie Zuſtim-
mung werden; Einſtimmung zum Zwang: und ſo iſt nur in
Einſicht Freiheit für uns.



An Fanny Tarnow, in Dresden.

Hier, liebe Fanny, haben Sie einen Brief, der Sie in
Frankfurt am Main bei der vortrefflichſten Familie einführt.
Die Familie Louis G. iſt tüchtig, gütig, unterrichtet, unaffek-
tirt, heiter, geſellig, freiſinnig; antheilnehmend an allem Wür-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0244" n="236"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Sonntag, den 13. November 1825.</hi> </dateline><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Der</hi> i&#x017F;t dumm in der Moral! Der rühmt &#x017F;ich Schlech-<lb/>
tigkeiten nach. Er hat einige große Grund&#x017F;ätze aufge&#x017F;chnappt,<lb/>
die er dafür hält, und die er nie anzuwenden das Herz hat;<lb/>
man möchte &#x017F;agen, nicht den Ver&#x017F;tand.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 18. November 1825.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t ein Wi&#x017F;&#x017F;en, und ein Sein, und ein Fühlen, und<lb/>
ein Haben, &#x2014; welches ich manchmal ganz zugleich wie einen<lb/>
Aufflug fühle.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Morgens 5 Uhr, den 1. December 1825.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Ein&#x017F;icht i&#x017F;t frei: aber nicht der Wille. Das wird ver-<lb/>
wech&#x017F;elt. Was wir begehren mü&#x017F;&#x017F;en, i&#x017F;t ganz be&#x017F;timmt in<lb/>
uns, das &#x017F;ind wir gleich&#x017F;am &#x017F;elb&#x017F;t, davon &#x017F;ind wir gemacht:<lb/>
un&#x017F;er Wollen i&#x017F;t nur wie ein Gelenk, welches hierhin, oder<lb/>
dorthin gedreht werden kann; Ein&#x017F;icht kann nur freie Zu&#x017F;tim-<lb/>
mung werden; Ein&#x017F;timmung zum Zwang: und &#x017F;o i&#x017F;t nur in<lb/>
Ein&#x017F;icht Freiheit für uns.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Fanny Tarnow, in Dresden.</head><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Dienstag, den 6. December 1825.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Hier, liebe Fanny, haben Sie einen Brief, der Sie in<lb/>
Frankfurt am Main bei der vortrefflich&#x017F;ten Familie einführt.<lb/>
Die Familie Louis G. i&#x017F;t tüchtig, gütig, unterrichtet, unaffek-<lb/>
tirt, heiter, ge&#x017F;ellig, frei&#x017F;innig; antheilnehmend an allem Wür-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[236/0244] Sonntag, den 13. November 1825. Der iſt dumm in der Moral! Der rühmt ſich Schlech- tigkeiten nach. Er hat einige große Grundſätze aufgeſchnappt, die er dafür hält, und die er nie anzuwenden das Herz hat; man möchte ſagen, nicht den Verſtand. Den 18. November 1825. Es iſt ein Wiſſen, und ein Sein, und ein Fühlen, und ein Haben, — welches ich manchmal ganz zugleich wie einen Aufflug fühle. Morgens 5 Uhr, den 1. December 1825. Einſicht iſt frei: aber nicht der Wille. Das wird ver- wechſelt. Was wir begehren müſſen, iſt ganz beſtimmt in uns, das ſind wir gleichſam ſelbſt, davon ſind wir gemacht: unſer Wollen iſt nur wie ein Gelenk, welches hierhin, oder dorthin gedreht werden kann; Einſicht kann nur freie Zuſtim- mung werden; Einſtimmung zum Zwang: und ſo iſt nur in Einſicht Freiheit für uns. An Fanny Tarnow, in Dresden. Dienstag, den 6. December 1825. Hier, liebe Fanny, haben Sie einen Brief, der Sie in Frankfurt am Main bei der vortrefflichſten Familie einführt. Die Familie Louis G. iſt tüchtig, gütig, unterrichtet, unaffek- tirt, heiter, geſellig, freiſinnig; antheilnehmend an allem Wür-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/244
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/244>, abgerufen am 19.04.2024.