Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

denn fressen? Das wäre noch schöner!" Ein Anwesender
erinnerte zustimmend an den alten Spruch: felix culpa!





Der Unterschied von Religion und positiver Religion be-
steht darin, daß die letztere ihr Prinzip in einer bestimmten
Geschichte hat, und sich auf diese bezieht; und daß die erstere
ihr Prinzip und ihre Beziehung aus aller Geschichte, und al-
lem, was für Menschen von Geschehenem zur Erkenntniß
kommt, findet. Die erste begränzt sich sogar in aller Zukunft.




Komisch war er mir neulich in Mad. de Genlis Memoi-
ren zu lesen, daß sie die Griechen tadelt, ihr Paradies bestände
nur in einer abgeschmackten Promenade in Elysium. Sie könn-
ten ihr schön antworten! noch außerdem, daß eine Promenade
so gut, als jedes, alle Seligkeit enthalten kann.




Jede Wissenschaft ist ein abgerissener Strahl von der
Sonne alles Wissens und Seins: ein Behelf, bis zu ihr zu
gelangen, und unhinlänglich, nach seinem Ende zur Sonne,
und nach seinem Ende zur Welt, wo Wissenschaft sich mit
Wissenschaft verwirrt; und gearbeitet wird: wie denn wissen-
schaftliches Arbeiten auf Ruhe abzielt, zu seiner Sonne, wo-
hin wir auch nicht gelangen. Dies ist alles nicht zu läugnen.
Alle Wissenschaften sind Eine, und durch jeder gründlichste

denn freſſen? Das wäre noch ſchöner!“ Ein Anweſender
erinnerte zuſtimmend an den alten Spruch: felix culpa!





Der Unterſchied von Religion und poſitiver Religion be-
ſteht darin, daß die letztere ihr Prinzip in einer beſtimmten
Geſchichte hat, und ſich auf dieſe bezieht; und daß die erſtere
ihr Prinzip und ihre Beziehung aus aller Geſchichte, und al-
lem, was für Menſchen von Geſchehenem zur Erkenntniß
kommt, findet. Die erſte begränzt ſich ſogar in aller Zukunft.




Komiſch war er mir neulich in Mad. de Genlis Memoi-
ren zu leſen, daß ſie die Griechen tadelt, ihr Paradies beſtände
nur in einer abgeſchmackten Promenade in Elyſium. Sie könn-
ten ihr ſchön antworten! noch außerdem, daß eine Promenade
ſo gut, als jedes, alle Seligkeit enthalten kann.




Jede Wiſſenſchaft iſt ein abgeriſſener Strahl von der
Sonne alles Wiſſens und Seins: ein Behelf, bis zu ihr zu
gelangen, und unhinlänglich, nach ſeinem Ende zur Sonne,
und nach ſeinem Ende zur Welt, wo Wiſſenſchaft ſich mit
Wiſſenſchaft verwirrt; und gearbeitet wird: wie denn wiſſen-
ſchaftliches Arbeiten auf Ruhe abzielt, zu ſeiner Sonne, wo-
hin wir auch nicht gelangen. Dies iſt alles nicht zu läugnen.
Alle Wiſſenſchaften ſind Eine, und durch jeder gründlichſte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0246" n="238"/><hi rendition="#g">denn</hi> fre&#x017F;&#x017F;en? Das wäre <hi rendition="#g">noch</hi> &#x017F;chöner!&#x201C; Ein Anwe&#x017F;ender<lb/>
erinnerte zu&#x017F;timmend an den alten Spruch: <hi rendition="#aq">felix culpa!</hi></p><lb/>
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 28. Januar 1826.</hi> </dateline>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Anfangs März 1826.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Der Unter&#x017F;chied von Religion und po&#x017F;itiver Religion be-<lb/>
&#x017F;teht darin, daß die letztere ihr Prinzip in einer be&#x017F;timmten<lb/>
Ge&#x017F;chichte hat, und &#x017F;ich auf die&#x017F;e bezieht; und daß die er&#x017F;tere<lb/>
ihr Prinzip und ihre Beziehung aus aller Ge&#x017F;chichte, und al-<lb/>
lem, was für Men&#x017F;chen von Ge&#x017F;chehenem zur Erkenntniß<lb/>
kommt, findet. Die er&#x017F;te begränzt &#x017F;ich &#x017F;ogar in aller Zukunft.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">März, 1826.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Komi&#x017F;ch war er mir neulich in Mad. de Genlis Memoi-<lb/>
ren zu le&#x017F;en, daß &#x017F;ie die Griechen tadelt, ihr Paradies be&#x017F;tände<lb/>
nur in einer abge&#x017F;chmackten Promenade in Ely&#x017F;ium. Sie könn-<lb/>
ten ihr &#x017F;chön antworten! noch außerdem, daß eine Promenade<lb/>
&#x017F;o gut, als jedes, alle Seligkeit enthalten kann.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Charfreitag, 1826.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Jede Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft i&#x017F;t ein abgeri&#x017F;&#x017F;ener Strahl von der<lb/>
Sonne alles Wi&#x017F;&#x017F;ens und Seins: ein Behelf, bis zu ihr zu<lb/>
gelangen, und unhinlänglich, nach &#x017F;einem Ende zur Sonne,<lb/>
und nach &#x017F;einem Ende zur Welt, wo Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;ich mit<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft verwirrt; und gearbeitet wird: wie denn wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaftliches Arbeiten auf Ruhe abzielt, zu &#x017F;einer Sonne, wo-<lb/>
hin wir auch nicht gelangen. Dies i&#x017F;t alles nicht zu läugnen.<lb/>
Alle Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften &#x017F;ind Eine, und durch jeder gründlich&#x017F;te<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0246] denn freſſen? Das wäre noch ſchöner!“ Ein Anweſender erinnerte zuſtimmend an den alten Spruch: felix culpa! Den 28. Januar 1826. Anfangs März 1826. Der Unterſchied von Religion und poſitiver Religion be- ſteht darin, daß die letztere ihr Prinzip in einer beſtimmten Geſchichte hat, und ſich auf dieſe bezieht; und daß die erſtere ihr Prinzip und ihre Beziehung aus aller Geſchichte, und al- lem, was für Menſchen von Geſchehenem zur Erkenntniß kommt, findet. Die erſte begränzt ſich ſogar in aller Zukunft. März, 1826. Komiſch war er mir neulich in Mad. de Genlis Memoi- ren zu leſen, daß ſie die Griechen tadelt, ihr Paradies beſtände nur in einer abgeſchmackten Promenade in Elyſium. Sie könn- ten ihr ſchön antworten! noch außerdem, daß eine Promenade ſo gut, als jedes, alle Seligkeit enthalten kann. Charfreitag, 1826. Jede Wiſſenſchaft iſt ein abgeriſſener Strahl von der Sonne alles Wiſſens und Seins: ein Behelf, bis zu ihr zu gelangen, und unhinlänglich, nach ſeinem Ende zur Sonne, und nach ſeinem Ende zur Welt, wo Wiſſenſchaft ſich mit Wiſſenſchaft verwirrt; und gearbeitet wird: wie denn wiſſen- ſchaftliches Arbeiten auf Ruhe abzielt, zu ſeiner Sonne, wo- hin wir auch nicht gelangen. Dies iſt alles nicht zu läugnen. Alle Wiſſenſchaften ſind Eine, und durch jeder gründlichſte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/246
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/246>, abgerufen am 25.04.2024.