Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite
An Adelheid Fürstin von Carolath.


Regenwetter; grau stöberig.

Noch mehr geliebte Freundin!

Weil ich vorgestern den liebenswürdigsten, einen vortreff-
lichen Brief von Ihnen sah; völlig urban; durchaus gebildet.
Vornehm, im wahren Sinn: gottesfürchtig; denn, voller Men-
schenliebe. Glauben Sie nicht, liebe Fürstin, daß ich ein We-
sen daraus machen will, und Sie nun herausloben will.
Nicht, nicht; ich will Ihnen zeigen was es in Ihnen, und in
allen Menschen ist, was ich ehre und liebe. Das ist: die ge-
rechte
, fromme, reinseelige, wahrhaft- und ächt innre Gleich-
stellung der Menschen: der Kreaturen, die allein, und Alle
einen Begriff von Gott haben können, und von Gerechtigkeit.
Diese Gleichstellung, schöne Freundin, zeigte sich auf das
liebenswürdigste in unbewußter Unschuld, in einem Briefe, an
eine -- arme! -- Karoline Fischer (so, glaub' ich, ist ihr Name:
ich habe den großen Fehler begangen, mir die Addresse nicht
abzuschreiben: weil ich noch im Bette, eilig und etwas verle-
gen war), der Sie eine Geldsumme vorläufige Hülfe mit der
Post hieherschicken; und in welchem Sie mich so ehrend und
herzerhebend erwähnen: für welches und solches der Mensch
nur mit seinem ganzen Wesen, aber nicht mit Worten dan-
ken kann; wenn er auch, wie ich, es noch so sehr möchte!

Mit diesem Briefe und dessen Inhalt, verkehrt vorgetra-
gen, wurde ein Postbote bei mir angemeldet; ich ließ ihn vor
mein Bette kommen. Der Brief war erbrochen: weil diese
Mad. Fischer richtig in der angegebenen Straße und Haus-

An Adelheid Fürſtin von Carolath.


Regenwetter; grau ſtöberig.

Noch mehr geliebte Freundin!

Weil ich vorgeſtern den liebenswürdigſten, einen vortreff-
lichen Brief von Ihnen ſah; völlig urban; durchaus gebildet.
Vornehm, im wahren Sinn: gottesfürchtig; denn, voller Men-
ſchenliebe. Glauben Sie nicht, liebe Fürſtin, daß ich ein We-
ſen daraus machen will, und Sie nun herausloben will.
Nicht, nicht; ich will Ihnen zeigen was es in Ihnen, und in
allen Menſchen iſt, was ich ehre und liebe. Das iſt: die ge-
rechte
, fromme, reinſeelige, wahrhaft- und ächt innre Gleich-
ſtellung der Menſchen: der Kreaturen, die allein, und Alle
einen Begriff von Gott haben können, und von Gerechtigkeit.
Dieſe Gleichſtellung, ſchöne Freundin, zeigte ſich auf das
liebenswürdigſte in unbewußter Unſchuld, in einem Briefe, an
eine — arme! — Karoline Fiſcher (ſo, glaub’ ich, iſt ihr Name:
ich habe den großen Fehler begangen, mir die Addreſſe nicht
abzuſchreiben: weil ich noch im Bette, eilig und etwas verle-
gen war), der Sie eine Geldſumme vorläufige Hülfe mit der
Poſt hieherſchicken; und in welchem Sie mich ſo ehrend und
herzerhebend erwähnen: für welches und ſolches der Menſch
nur mit ſeinem ganzen Weſen, aber nicht mit Worten dan-
ken kann; wenn er auch, wie ich, es noch ſo ſehr möchte!

Mit dieſem Briefe und deſſen Inhalt, verkehrt vorgetra-
gen, wurde ein Poſtbote bei mir angemeldet; ich ließ ihn vor
mein Bette kommen. Der Brief war erbrochen: weil dieſe
Mad. Fiſcher richtig in der angegebenen Straße und Haus-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0350" n="342"/>
        <div n="2">
          <head>An Adelheid Für&#x017F;tin von Carolath.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Montag, den 13. Oktober 1828. halb 11 Uhr Morgens.</hi> </dateline><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Regenwetter; grau &#x017F;töberig.</hi> </p><lb/>
          <p>Noch mehr geliebte Freundin!</p><lb/>
          <p>Weil ich vorge&#x017F;tern den liebenswürdig&#x017F;ten, einen vortreff-<lb/>
lichen Brief von Ihnen &#x017F;ah; völlig urban; durchaus gebildet.<lb/>
Vornehm, im wahren Sinn: gottesfürchtig; denn, voller Men-<lb/>
&#x017F;chenliebe. Glauben Sie nicht, liebe Für&#x017F;tin, daß ich ein We-<lb/>
&#x017F;en daraus machen will, und Sie nun herausloben will.<lb/>
Nicht, nicht; ich will Ihnen zeigen <hi rendition="#g">was</hi> es in Ihnen, und in<lb/>
allen Men&#x017F;chen i&#x017F;t, was ich ehre und liebe. Das i&#x017F;t: die <hi rendition="#g">ge-<lb/>
rechte</hi>, fromme, rein&#x017F;eelige, wahrhaft- und ächt innre Gleich-<lb/>
&#x017F;tellung der Men&#x017F;chen: <hi rendition="#g">der</hi> Kreaturen, die allein, und <hi rendition="#g">Alle</hi><lb/>
einen Begriff von Gott haben können, und von Gerechtigkeit.<lb/>
Die&#x017F;e Gleich&#x017F;tellung, <hi rendition="#g">&#x017F;chöne</hi> Freundin, zeigte &#x017F;ich auf das<lb/>
liebenswürdig&#x017F;te in unbewußter Un&#x017F;chuld, in einem Briefe, an<lb/>
eine &#x2014; arme! &#x2014; Karoline Fi&#x017F;cher (&#x017F;o, glaub&#x2019; ich, i&#x017F;t ihr Name:<lb/>
ich habe den <hi rendition="#g">großen</hi> Fehler begangen, mir die Addre&#x017F;&#x017F;e nicht<lb/>
abzu&#x017F;chreiben: weil ich noch im Bette, eilig und etwas verle-<lb/>
gen war), der Sie eine Geld&#x017F;umme vorläufige Hülfe mit der<lb/>
Po&#x017F;t hieher&#x017F;chicken; und in welchem Sie mich &#x017F;o ehrend und<lb/>
herzerhebend erwähnen: für welches und &#x017F;olches der Men&#x017F;ch<lb/>
nur mit &#x017F;einem ganzen We&#x017F;en, aber nicht mit Worten dan-<lb/>
ken kann; wenn er auch, wie ich, es noch &#x017F;o &#x017F;ehr möchte!</p><lb/>
          <p>Mit die&#x017F;em Briefe und de&#x017F;&#x017F;en Inhalt, verkehrt vorgetra-<lb/>
gen, wurde ein Po&#x017F;tbote bei mir angemeldet; ich ließ ihn vor<lb/>
mein Bette kommen. Der Brief war erbrochen: weil die&#x017F;e<lb/>
Mad. Fi&#x017F;cher richtig in der angegebenen Straße und Haus-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[342/0350] An Adelheid Fürſtin von Carolath. Montag, den 13. Oktober 1828. halb 11 Uhr Morgens. Regenwetter; grau ſtöberig. Noch mehr geliebte Freundin! Weil ich vorgeſtern den liebenswürdigſten, einen vortreff- lichen Brief von Ihnen ſah; völlig urban; durchaus gebildet. Vornehm, im wahren Sinn: gottesfürchtig; denn, voller Men- ſchenliebe. Glauben Sie nicht, liebe Fürſtin, daß ich ein We- ſen daraus machen will, und Sie nun herausloben will. Nicht, nicht; ich will Ihnen zeigen was es in Ihnen, und in allen Menſchen iſt, was ich ehre und liebe. Das iſt: die ge- rechte, fromme, reinſeelige, wahrhaft- und ächt innre Gleich- ſtellung der Menſchen: der Kreaturen, die allein, und Alle einen Begriff von Gott haben können, und von Gerechtigkeit. Dieſe Gleichſtellung, ſchöne Freundin, zeigte ſich auf das liebenswürdigſte in unbewußter Unſchuld, in einem Briefe, an eine — arme! — Karoline Fiſcher (ſo, glaub’ ich, iſt ihr Name: ich habe den großen Fehler begangen, mir die Addreſſe nicht abzuſchreiben: weil ich noch im Bette, eilig und etwas verle- gen war), der Sie eine Geldſumme vorläufige Hülfe mit der Poſt hieherſchicken; und in welchem Sie mich ſo ehrend und herzerhebend erwähnen: für welches und ſolches der Menſch nur mit ſeinem ganzen Weſen, aber nicht mit Worten dan- ken kann; wenn er auch, wie ich, es noch ſo ſehr möchte! Mit dieſem Briefe und deſſen Inhalt, verkehrt vorgetra- gen, wurde ein Poſtbote bei mir angemeldet; ich ließ ihn vor mein Bette kommen. Der Brief war erbrochen: weil dieſe Mad. Fiſcher richtig in der angegebenen Straße und Haus-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/350
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/350>, abgerufen am 25.04.2024.