Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

in ihm her. Er ist unbeschämbar. Und sollte er auch nur
lachen, wo die Augen herabsehen, das Blut die Wangen be-
suchen sollte. Besserung seiner selbst ist bei ihm eine neue
Koketterie, ein Stickarbeiten auf dem Rahmen einer dummen
Dame, zum Prahlen; der Begriff ist seiner Seele fremd, wie
dem Thier das Gewissen. Dumpfe Ahndung hetzt ihn in fast
beständige Verlegenheit, die er mit dummer gelogener Hei-
terkeit sich abläugnet: nicht mir. --



An Frau von Cotta, in München.


Das ist eine schöne Erholung, die der Herr von Cotta da
vorgenommen hat! Nach Lüttich zu reisen. Nach dem schwar-
zen Lüttich, wo hineinzufahren schon die größte Fatigue ist.
Dieses Bergauf in einen Thorweg, wo die größte Gefahr mit
entgegenkommenden Frachtwagen herrscht. (Hier an dieser
Stelle trat mein Bruder Ludwig Robert in mein Zimmer und
ich mußte gestern Abend zu schreiben aufhören. Heute ist Frei-
tag: käm' ich nur wieder auf denselben Punkt! ich erlebe wahr-
lich zu viel Störungen: ein Herr, der alles, was er nur thut,
zu Geschäften stempeln kann, hat es beim Himmel besser, als
wir Alle.) Der glatte gepflasterte Boden, meist modrig, un-
ten, bleibt in meiner Erfahrung, mit der -- oder ohne mit --
ärgste Reisepunkt, den ich kenne! Ce n'est qu'un mauvais
pas!
sagen die französischen Postillione; mauvais genug. Alles,
das Unwohlsein und die Reise, dagegen hab' ich sehr glücklich,

in ihm her. Er iſt unbeſchämbar. Und ſollte er auch nur
lachen, wo die Augen herabſehen, das Blut die Wangen be-
ſuchen ſollte. Beſſerung ſeiner ſelbſt iſt bei ihm eine neue
Koketterie, ein Stickarbeiten auf dem Rahmen einer dummen
Dame, zum Prahlen; der Begriff iſt ſeiner Seele fremd, wie
dem Thier das Gewiſſen. Dumpfe Ahndung hetzt ihn in faſt
beſtändige Verlegenheit, die er mit dummer gelogener Hei-
terkeit ſich abläugnet: nicht mir. —



An Frau von Cotta, in München.


Das iſt eine ſchöne Erholung, die der Herr von Cotta da
vorgenommen hat! Nach Lüttich zu reiſen. Nach dem ſchwar-
zen Lüttich, wo hineinzufahren ſchon die größte Fatigue iſt.
Dieſes Bergauf in einen Thorweg, wo die größte Gefahr mit
entgegenkommenden Frachtwagen herrſcht. (Hier an dieſer
Stelle trat mein Bruder Ludwig Robert in mein Zimmer und
ich mußte geſtern Abend zu ſchreiben aufhören. Heute iſt Frei-
tag: käm’ ich nur wieder auf denſelben Punkt! ich erlebe wahr-
lich zu viel Störungen: ein Herr, der alles, was er nur thut,
zu Geſchäften ſtempeln kann, hat es beim Himmel beſſer, als
wir Alle.) Der glatte gepflaſterte Boden, meiſt modrig, un-
ten, bleibt in meiner Erfahrung, mit der — oder ohne mit
ärgſte Reiſepunkt, den ich kenne! Ce n’est qu’un mauvais
pas!
ſagen die franzöſiſchen Poſtillione; mauvais genug. Alles,
das Unwohlſein und die Reiſe, dagegen hab’ ich ſehr glücklich,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0414" n="406"/>
in ihm her. Er i&#x017F;t unbe&#x017F;chämbar. Und &#x017F;ollte er auch nur<lb/>
lachen, wo die Augen herab&#x017F;ehen, das Blut die Wangen be-<lb/>
&#x017F;uchen &#x017F;ollte. Be&#x017F;&#x017F;erung &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t bei ihm eine neue<lb/>
Koketterie, ein Stickarbeiten auf dem Rahmen einer dummen<lb/>
Dame, zum Prahlen; der Begriff i&#x017F;t &#x017F;einer Seele fremd, wie<lb/>
dem Thier das Gewi&#x017F;&#x017F;en. Dumpfe Ahndung hetzt ihn in fa&#x017F;t<lb/>
be&#x017F;tändige Verlegenheit, die er mit dummer gelogener Hei-<lb/>
terkeit &#x017F;ich abläugnet: nicht mir. &#x2014;</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Frau von Cotta, in München.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Donnerstag Abend 8 Uhr, den 29. Oktober 1829.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Das i&#x017F;t eine &#x017F;chöne Erholung, die der Herr von Cotta da<lb/>
vorgenommen hat! Nach Lüttich zu rei&#x017F;en. Nach dem &#x017F;chwar-<lb/>
zen Lüttich, wo hineinzufahren &#x017F;chon die größte Fatigue i&#x017F;t.<lb/>
Die&#x017F;es Bergauf in einen Thorweg, wo die größte Gefahr mit<lb/>
entgegenkommenden Frachtwagen herr&#x017F;cht. (Hier an die&#x017F;er<lb/>
Stelle trat mein Bruder Ludwig Robert in mein Zimmer und<lb/>
ich mußte ge&#x017F;tern Abend zu &#x017F;chreiben aufhören. Heute i&#x017F;t Frei-<lb/>
tag: käm&#x2019; ich nur wieder auf den&#x017F;elben Punkt! ich erlebe wahr-<lb/>
lich zu viel Störungen: ein Herr, der alles, was er nur thut,<lb/>
zu Ge&#x017F;chäften &#x017F;tempeln kann, hat es beim Himmel be&#x017F;&#x017F;er, als<lb/>
wir Alle.) Der glatte gepfla&#x017F;terte Boden, mei&#x017F;t modrig, un-<lb/>
ten, bleibt in meiner Erfahrung, mit der &#x2014; oder ohne <hi rendition="#g">mit</hi> &#x2014;<lb/>
ärg&#x017F;te Rei&#x017F;epunkt, den ich kenne! <hi rendition="#aq">Ce n&#x2019;est qu&#x2019;un mauvais<lb/>
pas!</hi> &#x017F;agen die franzö&#x017F;i&#x017F;chen Po&#x017F;tillione; <hi rendition="#aq">mauvais</hi> genug. Alles,<lb/>
das Unwohl&#x017F;ein und die Rei&#x017F;e, dagegen hab&#x2019; ich &#x017F;ehr glücklich,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[406/0414] in ihm her. Er iſt unbeſchämbar. Und ſollte er auch nur lachen, wo die Augen herabſehen, das Blut die Wangen be- ſuchen ſollte. Beſſerung ſeiner ſelbſt iſt bei ihm eine neue Koketterie, ein Stickarbeiten auf dem Rahmen einer dummen Dame, zum Prahlen; der Begriff iſt ſeiner Seele fremd, wie dem Thier das Gewiſſen. Dumpfe Ahndung hetzt ihn in faſt beſtändige Verlegenheit, die er mit dummer gelogener Hei- terkeit ſich abläugnet: nicht mir. — An Frau von Cotta, in München. Donnerstag Abend 8 Uhr, den 29. Oktober 1829. Das iſt eine ſchöne Erholung, die der Herr von Cotta da vorgenommen hat! Nach Lüttich zu reiſen. Nach dem ſchwar- zen Lüttich, wo hineinzufahren ſchon die größte Fatigue iſt. Dieſes Bergauf in einen Thorweg, wo die größte Gefahr mit entgegenkommenden Frachtwagen herrſcht. (Hier an dieſer Stelle trat mein Bruder Ludwig Robert in mein Zimmer und ich mußte geſtern Abend zu ſchreiben aufhören. Heute iſt Frei- tag: käm’ ich nur wieder auf denſelben Punkt! ich erlebe wahr- lich zu viel Störungen: ein Herr, der alles, was er nur thut, zu Geſchäften ſtempeln kann, hat es beim Himmel beſſer, als wir Alle.) Der glatte gepflaſterte Boden, meiſt modrig, un- ten, bleibt in meiner Erfahrung, mit der — oder ohne mit — ärgſte Reiſepunkt, den ich kenne! Ce n’est qu’un mauvais pas! ſagen die franzöſiſchen Poſtillione; mauvais genug. Alles, das Unwohlſein und die Reiſe, dagegen hab’ ich ſehr glücklich,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/414
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/414>, abgerufen am 25.04.2024.