Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Brief las, wollte ich Ihnen und Assing einen schreiben; dessen
Ansicht, Meinung und Ausdruck mir überaus wohlgefällt. Ich
werde ihm noch schreiben: und das über die große Krankheit:
wie lange ich die roch, spürte, kommen fühlte. Immer sagte
ich: könnte ich einem wissenschaftlichen Manne meine Empfin-
dungen, mein Krankheitsgefühl eingeben! Siehe da; Assing
ist der Mann. Nun, künftig. Schade, daß einer in Ham-
burg, der andre in Berlin lebt. Alle Tage, liebe Rosa, lebe
ich unter mehr, unter neuen Wundern. Jetzt erlebe ich unter
mehr andren, daß man mitten in der großen Krankheit (ich
hasse ihren Namen zu schreiben) vergnügt leben kann: so wird
es gewiß mit dem Tod selbst sein. Wichtigste Hälfte hiesigen
Lebens. Verstände man nur alles: nur das Unverstandene
thut weh; jemehr Ergebung, durch Eindringen des Verständ-
nisses: desto mehr Glimpf, desto mehr Erleuchtung, und neue
Thätigkeit. So wird es sich steigren: faule Ruhe nie!
Aber auch keine Verzweiflung, kein bodenloses Zweiflen. Be-
dürfniß
zu Vernünftigem, ist Bürge für Vernünftiges. Nicht
wahr? -- Wir sehn die üppigsten höchsten Rosenstämme, häu-
fig
; Georginen, schönste Bäume und Laub: in und nach Schöne-
berg: da nenne ich Sie und die Kinder laut. Adieu! Ihre R.



An den Fürsten von Pückler-Muskau, in Muskau.


Morgenwolkiges Wetter; bald mit Sonne beschienene
Wolken, bald nicht. Frischer Südwest?!

Auf der Stelle will ich schreiben, nachsichtiger, vielerfahr-
ner, in Freundschaft standhaftester Fürst; so trifft Ihr so

34 *

Brief las, wollte ich Ihnen und Aſſing einen ſchreiben; deſſen
Anſicht, Meinung und Ausdruck mir überaus wohlgefällt. Ich
werde ihm noch ſchreiben: und das über die große Krankheit:
wie lange ich die roch, ſpürte, kommen fühlte. Immer ſagte
ich: könnte ich einem wiſſenſchaftlichen Manne meine Empfin-
dungen, mein Krankheitsgefühl eingeben! Siehe da; Aſſing
iſt der Mann. Nun, künftig. Schade, daß einer in Ham-
burg, der andre in Berlin lebt. Alle Tage, liebe Roſa, lebe
ich unter mehr, unter neuen Wundern. Jetzt erlebe ich unter
mehr andren, daß man mitten in der großen Krankheit (ich
haſſe ihren Namen zu ſchreiben) vergnügt leben kann: ſo wird
es gewiß mit dem Tod ſelbſt ſein. Wichtigſte Hälfte hieſigen
Lebens. Verſtände man nur alles: nur das Unverſtandene
thut weh; jemehr Ergebung, durch Eindringen des Verſtänd-
niſſes: deſto mehr Glimpf, deſto mehr Erleuchtung, und neue
Thätigkeit. So wird es ſich ſteigren: faule Ruhe nie!
Aber auch keine Verzweiflung, kein bodenloſes Zweiflen. Be-
dürfniß
zu Vernünftigem, iſt Bürge für Vernünftiges. Nicht
wahr? — Wir ſehn die üppigſten höchſten Roſenſtämme, häu-
fig
; Georginen, ſchönſte Bäume und Laub: in und nach Schöne-
berg: da nenne ich Sie und die Kinder laut. Adieu! Ihre R.



An den Fürſten von Pückler-Muskau, in Muskau.


Morgenwolkiges Wetter; bald mit Sonne beſchienene
Wolken, bald nicht. Friſcher Südweſt?!

Auf der Stelle will ich ſchreiben, nachſichtiger, vielerfahr-
ner, in Freundſchaft ſtandhafteſter Fürſt; ſo trifft Ihr ſo

34 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0539" n="531"/>
Brief las, wollte ich Ihnen und A&#x017F;&#x017F;ing einen &#x017F;chreiben; de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
An&#x017F;icht, Meinung und Ausdruck mir überaus wohlgefällt. Ich<lb/><hi rendition="#g">werde</hi> ihm noch &#x017F;chreiben: und das über die große Krankheit:<lb/>
wie lange ich die <hi rendition="#g">roch</hi>, &#x017F;pürte, kommen fühlte. Immer &#x017F;agte<lb/>
ich: könnte ich einem wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Manne meine Empfin-<lb/>
dungen, mein Krankheitsgefühl eingeben! Siehe da; A&#x017F;&#x017F;ing<lb/><hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi> der Mann. Nun, künftig. <hi rendition="#g">Schade</hi>, daß einer in Ham-<lb/>
burg, der andre in Berlin lebt. Alle Tage, liebe Ro&#x017F;a, lebe<lb/>
ich unter mehr, unter neuen Wundern. Jetzt erlebe ich unter<lb/>
mehr andren, daß man mitten in der großen Krankheit (ich<lb/>
ha&#x017F;&#x017F;e ihren Namen zu &#x017F;chreiben) vergnügt leben kann: &#x017F;o wird<lb/>
es gewiß mit dem Tod &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ein. Wichtig&#x017F;te Hälfte hie&#x017F;igen<lb/>
Lebens. Ver&#x017F;tände man nur alles: nur das Unver&#x017F;tandene<lb/>
thut weh; jemehr Ergebung, durch Eindringen des Ver&#x017F;tänd-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;es: de&#x017F;to mehr Glimpf, de&#x017F;to mehr Erleuchtung, und <hi rendition="#g">neue</hi><lb/>
Thätigkeit. So wird es &#x017F;ich <hi rendition="#g">&#x017F;teigren: faule</hi> Ruhe nie!<lb/>
Aber auch keine Verzweiflung, kein bodenlo&#x017F;es Zweiflen. <hi rendition="#g">Be-<lb/>
dürfniß</hi> zu Vernünftigem, i&#x017F;t Bürge für Vernünftiges. Nicht<lb/>
wahr? &#x2014; Wir &#x017F;ehn die üppig&#x017F;ten höch&#x017F;ten Ro&#x017F;en&#x017F;tämme, <hi rendition="#g">häu-<lb/>
fig</hi>; Georginen, &#x017F;chön&#x017F;te Bäume und Laub: in und nach Schöne-<lb/>
berg: da nenne ich Sie und die Kinder <hi rendition="#g">laut</hi>. Adieu! Ihre R.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An den Für&#x017F;ten von Pückler-Muskau, in Muskau.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Sonntag, den 9. Oktober 1831. halb 12 Uhr.</hi> </dateline><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Morgenwolkiges Wetter; bald mit Sonne be&#x017F;chienene<lb/>
Wolken, bald nicht. Fri&#x017F;cher <hi rendition="#g">Südwe&#x017F;t</hi>?!</hi> </p><lb/>
          <p>Auf der Stelle will ich &#x017F;chreiben, nach&#x017F;ichtiger, vielerfahr-<lb/>
ner, in Freund&#x017F;chaft &#x017F;tandhafte&#x017F;ter Für&#x017F;t; &#x017F;o trifft Ihr &#x017F;o<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">34 *</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[531/0539] Brief las, wollte ich Ihnen und Aſſing einen ſchreiben; deſſen Anſicht, Meinung und Ausdruck mir überaus wohlgefällt. Ich werde ihm noch ſchreiben: und das über die große Krankheit: wie lange ich die roch, ſpürte, kommen fühlte. Immer ſagte ich: könnte ich einem wiſſenſchaftlichen Manne meine Empfin- dungen, mein Krankheitsgefühl eingeben! Siehe da; Aſſing iſt der Mann. Nun, künftig. Schade, daß einer in Ham- burg, der andre in Berlin lebt. Alle Tage, liebe Roſa, lebe ich unter mehr, unter neuen Wundern. Jetzt erlebe ich unter mehr andren, daß man mitten in der großen Krankheit (ich haſſe ihren Namen zu ſchreiben) vergnügt leben kann: ſo wird es gewiß mit dem Tod ſelbſt ſein. Wichtigſte Hälfte hieſigen Lebens. Verſtände man nur alles: nur das Unverſtandene thut weh; jemehr Ergebung, durch Eindringen des Verſtänd- niſſes: deſto mehr Glimpf, deſto mehr Erleuchtung, und neue Thätigkeit. So wird es ſich ſteigren: faule Ruhe nie! Aber auch keine Verzweiflung, kein bodenloſes Zweiflen. Be- dürfniß zu Vernünftigem, iſt Bürge für Vernünftiges. Nicht wahr? — Wir ſehn die üppigſten höchſten Roſenſtämme, häu- fig; Georginen, ſchönſte Bäume und Laub: in und nach Schöne- berg: da nenne ich Sie und die Kinder laut. Adieu! Ihre R. An den Fürſten von Pückler-Muskau, in Muskau. Sonntag, den 9. Oktober 1831. halb 12 Uhr. Morgenwolkiges Wetter; bald mit Sonne beſchienene Wolken, bald nicht. Friſcher Südweſt?! Auf der Stelle will ich ſchreiben, nachſichtiger, vielerfahr- ner, in Freundſchaft ſtandhafteſter Fürſt; ſo trifft Ihr ſo 34 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/539
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/539>, abgerufen am 25.04.2024.