Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

selbe ab, daß sie nur irgend etwas sei oder schaffe; sind aber
sehr von ihrer mindesten Gunst affizirt, und glauben von ihr
zu empfangen, was sie nie leistet und giebt; erkennen und
würdigen die Leute darin durchaus nicht; und lassen sich,
wenn nicht jedesmal komplet, doch jedesmal von neuem, durch
deren Aussprüche leiten und regieren, erschrecken, ängstigen,
bestimmen, wider ihres Herzens Überzeugung. Unter all mei-
nen Bekannten war nur Prinz Louis Ferdinand, und L. R.,
welche die große Welt geliebt hatten, und wirklich von ihr
unabhängig waren, denen sie nicht mehr schmeichelte, sondern
sie ennuyirte. -- Louis Ferdinand, weil er sie als ein Erster
darin kannte: L. R., weil er klar wußte, was sie einem ihrer
Letzten bietet.




Es ist ein Glück, daß die rechtschaffensten Leute oft im
Umgang unausstehlich sind; sonst müßte man sich die größten
Vorwürfe machen, minder bewährte Menschen so sehr liebens-
würdig zu finden.



Eigenthum? eigenthümlich? Unser Eigenthum ist nur
das, was uns keiner nachmachen kann. Dazu gehört noch
unser Sein.



Alles andere Wissen, außer das, was in unserm innersten
Wesen konstruirt ist, sind Materialien. Alle Wissenschaften
eben so: sie sind ja nur eine zusammengefaßte Lehre, noch un-
bezogener Wissensfähigkeiten im Menschen.




Es

ſelbe ab, daß ſie nur irgend etwas ſei oder ſchaffe; ſind aber
ſehr von ihrer mindeſten Gunſt affizirt, und glauben von ihr
zu empfangen, was ſie nie leiſtet und giebt; erkennen und
würdigen die Leute darin durchaus nicht; und laſſen ſich,
wenn nicht jedesmal komplet, doch jedesmal von neuem, durch
deren Ausſprüche leiten und regieren, erſchrecken, ängſtigen,
beſtimmen, wider ihres Herzens Überzeugung. Unter all mei-
nen Bekannten war nur Prinz Louis Ferdinand, und L. R.,
welche die große Welt geliebt hatten, und wirklich von ihr
unabhängig waren, denen ſie nicht mehr ſchmeichelte, ſondern
ſie ennuyirte. — Louis Ferdinand, weil er ſie als ein Erſter
darin kannte: L. R., weil er klar wußte, was ſie einem ihrer
Letzten bietet.




Es iſt ein Glück, daß die rechtſchaffenſten Leute oft im
Umgang unausſtehlich ſind; ſonſt müßte man ſich die größten
Vorwürfe machen, minder bewährte Menſchen ſo ſehr liebens-
würdig zu finden.



Eigenthum? eigenthümlich? Unſer Eigenthum iſt nur
das, was uns keiner nachmachen kann. Dazu gehört noch
unſer Sein.



Alles andere Wiſſen, außer das, was in unſerm innerſten
Weſen konſtruirt iſt, ſind Materialien. Alle Wiſſenſchaften
eben ſo: ſie ſind ja nur eine zuſammengefaßte Lehre, noch un-
bezogener Wiſſensfähigkeiten im Menſchen.




Es
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0072" n="64"/>
&#x017F;elbe ab, daß &#x017F;ie nur irgend etwas &#x017F;ei oder &#x017F;chaffe; &#x017F;ind aber<lb/>
&#x017F;ehr von ihrer minde&#x017F;ten Gun&#x017F;t affizirt, und glauben von ihr<lb/>
zu empfangen, was &#x017F;ie nie lei&#x017F;tet und giebt; erkennen und<lb/>
würdigen die Leute darin durchaus nicht; und la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich,<lb/>
wenn nicht jedesmal komplet, doch jedesmal von neuem, durch<lb/>
deren Aus&#x017F;prüche leiten und regieren, er&#x017F;chrecken, äng&#x017F;tigen,<lb/>
be&#x017F;timmen, wider ihres Herzens Überzeugung. Unter all mei-<lb/>
nen Bekannten war nur Prinz Louis Ferdinand, und L. R.,<lb/>
welche die große Welt geliebt hatten, und wirklich von ihr<lb/>
unabhängig waren, denen &#x017F;ie nicht mehr &#x017F;chmeichelte, &#x017F;ondern<lb/>
&#x017F;ie ennuyirte. &#x2014; Louis Ferdinand, weil er &#x017F;ie als ein Er&#x017F;ter<lb/>
darin kannte: L. R., weil er klar wußte, was &#x017F;ie einem ihrer<lb/>
Letzten bietet.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Gründonnerstag 1822.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t ein Glück, daß die recht&#x017F;chaffen&#x017F;ten Leute oft im<lb/>
Umgang unaus&#x017F;tehlich &#x017F;ind; &#x017F;on&#x017F;t müßte man &#x017F;ich die größten<lb/>
Vorwürfe machen, minder bewährte Men&#x017F;chen &#x017F;o &#x017F;ehr liebens-<lb/>
würdig zu finden.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <p>Eigenthum? eigenthümlich? Un&#x017F;er Eigenthum i&#x017F;t nur<lb/>
das, was uns keiner nachmachen kann. Dazu gehört noch<lb/>
un&#x017F;er Sein.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <p>Alles andere Wi&#x017F;&#x017F;en, außer das, was in un&#x017F;erm inner&#x017F;ten<lb/>
We&#x017F;en kon&#x017F;truirt i&#x017F;t, &#x017F;ind Materialien. Alle Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften<lb/>
eben &#x017F;o: &#x017F;ie &#x017F;ind ja nur eine zu&#x017F;ammengefaßte Lehre, noch un-<lb/>
bezogener Wi&#x017F;&#x017F;ensfähigkeiten im Men&#x017F;chen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <fw place="bottom" type="catch">Es</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0072] ſelbe ab, daß ſie nur irgend etwas ſei oder ſchaffe; ſind aber ſehr von ihrer mindeſten Gunſt affizirt, und glauben von ihr zu empfangen, was ſie nie leiſtet und giebt; erkennen und würdigen die Leute darin durchaus nicht; und laſſen ſich, wenn nicht jedesmal komplet, doch jedesmal von neuem, durch deren Ausſprüche leiten und regieren, erſchrecken, ängſtigen, beſtimmen, wider ihres Herzens Überzeugung. Unter all mei- nen Bekannten war nur Prinz Louis Ferdinand, und L. R., welche die große Welt geliebt hatten, und wirklich von ihr unabhängig waren, denen ſie nicht mehr ſchmeichelte, ſondern ſie ennuyirte. — Louis Ferdinand, weil er ſie als ein Erſter darin kannte: L. R., weil er klar wußte, was ſie einem ihrer Letzten bietet. Gründonnerstag 1822. Es iſt ein Glück, daß die rechtſchaffenſten Leute oft im Umgang unausſtehlich ſind; ſonſt müßte man ſich die größten Vorwürfe machen, minder bewährte Menſchen ſo ſehr liebens- würdig zu finden. Eigenthum? eigenthümlich? Unſer Eigenthum iſt nur das, was uns keiner nachmachen kann. Dazu gehört noch unſer Sein. Alles andere Wiſſen, außer das, was in unſerm innerſten Weſen konſtruirt iſt, ſind Materialien. Alle Wiſſenſchaften eben ſo: ſie ſind ja nur eine zuſammengefaßte Lehre, noch un- bezogener Wiſſensfähigkeiten im Menſchen. Es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/72
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/72>, abgerufen am 24.04.2024.