Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

fühlen, wie weit diese Nation fortgeschritten ist. -- Wenn das
Rousseau von seinen Landsleuten erlebt hätte! --

Man sollte sich wirklich alles von seinen Landsleuten ge-
fallen lassen! denn je mehr sie uns tadlen und verfolgen, je
mehr man in Disharmonie mit ihnen ist, je gewisser ist es,
daß man auf sie gewirkt hat.

Das Buch ist voller Thatsachen, voller gesunder Ansich-
ten; über das spanische Gränzland erhält man die größten
Aufschlüsse; der Artikel Marseille ist vortrefflich. Thiers hat
Anlage zu einem Staatsmann. Er sieht, was da ist, und
mit der Sache ihren Grund zugleich: und Dichter ist er nur
im Ausdruck; das heißt, er weiß, was er gesehen hat, nach-
zubilden in unendlichem Gebrauch seiner Sprache. --




Im Gespräch über das Buch: Des hommes celebres de
France au dix-huitieme siecle etc. par M. Goethe,
sagte

R. Franzosen und Deutsche gehören doch eigentlich zu-
sammen, wie zwei Hälften: Engländer kommen mir schon nicht
so vor: sie sind doch wie eine Abart Deutscher.

A. Schweden und Dänen auch. Wie anders und eigen
sind dagegen Spanier; eine herrliche Nation! so mäßig: ein
Volk, das mäßig ist, ist zu bewundern.

R. Ja, ihr großer Witz und ihre Sensibilität entzückt
mich: ich meine nicht, was man gewöhnlich Witz nennt: son-
dern den Witz in ihrer Poesie. Ihre Litteratur. Man kann
doch ein Volk nur nach seiner Litteratur beurtheilen. Wie
gebildet müssen sie gewesen sein und ihre Geselligkeit! Und

fühlen, wie weit dieſe Nation fortgeſchritten iſt. — Wenn das
Rouſſeau von ſeinen Landsleuten erlebt hätte! —

Man ſollte ſich wirklich alles von ſeinen Landsleuten ge-
fallen laſſen! denn je mehr ſie uns tadlen und verfolgen, je
mehr man in Disharmonie mit ihnen iſt, je gewiſſer iſt es,
daß man auf ſie gewirkt hat.

Das Buch iſt voller Thatſachen, voller geſunder Anſich-
ten; über das ſpaniſche Gränzland erhält man die größten
Aufſchlüſſe; der Artikel Marſeille iſt vortrefflich. Thiers hat
Anlage zu einem Staatsmann. Er ſieht, was da iſt, und
mit der Sache ihren Grund zugleich: und Dichter iſt er nur
im Ausdruck; das heißt, er weiß, was er geſehen hat, nach-
zubilden in unendlichem Gebrauch ſeiner Sprache. —




Im Geſpräch über das Buch: Des hommes célèbres de
France au dix-huitième siècle etc. par M. Goethe,
ſagte

R. Franzoſen und Deutſche gehören doch eigentlich zu-
ſammen, wie zwei Hälften: Engländer kommen mir ſchon nicht
ſo vor: ſie ſind doch wie eine Abart Deutſcher.

A. Schweden und Dänen auch. Wie anders und eigen
ſind dagegen Spanier; eine herrliche Nation! ſo mäßig: ein
Volk, das mäßig iſt, iſt zu bewundern.

R. Ja, ihr großer Witz und ihre Senſibilität entzückt
mich: ich meine nicht, was man gewöhnlich Witz nennt: ſon-
dern den Witz in ihrer Poeſie. Ihre Litteratur. Man kann
doch ein Volk nur nach ſeiner Litteratur beurtheilen. Wie
gebildet müſſen ſie geweſen ſein und ihre Geſelligkeit! Und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0098" n="90"/>
fühlen, wie weit die&#x017F;e Nation fortge&#x017F;chritten i&#x017F;t. &#x2014; Wenn das<lb/>
Rou&#x017F;&#x017F;eau von &#x017F;einen Landsleuten erlebt hätte! &#x2014;</p><lb/>
            <p>Man &#x017F;ollte &#x017F;ich wirklich alles von &#x017F;einen Landsleuten ge-<lb/>
fallen la&#x017F;&#x017F;en! denn je mehr &#x017F;ie uns tadlen und verfolgen, je<lb/>
mehr man in Disharmonie mit ihnen i&#x017F;t, je gewi&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t es,<lb/>
daß man auf &#x017F;ie gewirkt hat.</p><lb/>
            <p>Das Buch i&#x017F;t voller That&#x017F;achen, voller ge&#x017F;under An&#x017F;ich-<lb/>
ten; über das &#x017F;pani&#x017F;che Gränzland erhält man die größten<lb/>
Auf&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e; der Artikel Mar&#x017F;eille i&#x017F;t vortrefflich. Thiers hat<lb/>
Anlage zu einem Staatsmann. Er &#x017F;ieht, was da i&#x017F;t, und<lb/>
mit der Sache ihren Grund zugleich: und Dichter i&#x017F;t er nur<lb/>
im Ausdruck; das heißt, er weiß, was er ge&#x017F;ehen hat, nach-<lb/>
zubilden in unendlichem Gebrauch &#x017F;einer Sprache. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Sonntag, den 23. März 1823.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Im Ge&#x017F;präch über das Buch: <hi rendition="#aq">Des hommes célèbres de<lb/>
France au dix-huitième siècle etc. par M. Goethe,</hi> &#x017F;agte</p><lb/>
            <p>R. Franzo&#x017F;en und Deut&#x017F;che gehören doch eigentlich zu-<lb/>
&#x017F;ammen, wie zwei Hälften: Engländer kommen mir &#x017F;chon nicht<lb/>
&#x017F;o vor: &#x017F;ie &#x017F;ind doch wie eine Abart Deut&#x017F;cher.</p><lb/>
            <p>A. Schweden und Dänen auch. Wie anders und eigen<lb/>
&#x017F;ind dagegen Spanier; eine herrliche Nation! &#x017F;o mäßig: ein<lb/>
Volk, das mäßig i&#x017F;t, i&#x017F;t zu bewundern.</p><lb/>
            <p>R. Ja, ihr großer Witz und ihre Sen&#x017F;ibilität entzückt<lb/>
mich: ich meine nicht, was man gewöhnlich Witz nennt: &#x017F;on-<lb/>
dern den Witz in ihrer Poe&#x017F;ie. Ihre Litteratur. Man kann<lb/>
doch ein Volk nur nach &#x017F;einer Litteratur beurtheilen. Wie<lb/>
gebildet mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie gewe&#x017F;en &#x017F;ein und ihre Ge&#x017F;elligkeit! Und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0098] fühlen, wie weit dieſe Nation fortgeſchritten iſt. — Wenn das Rouſſeau von ſeinen Landsleuten erlebt hätte! — Man ſollte ſich wirklich alles von ſeinen Landsleuten ge- fallen laſſen! denn je mehr ſie uns tadlen und verfolgen, je mehr man in Disharmonie mit ihnen iſt, je gewiſſer iſt es, daß man auf ſie gewirkt hat. Das Buch iſt voller Thatſachen, voller geſunder Anſich- ten; über das ſpaniſche Gränzland erhält man die größten Aufſchlüſſe; der Artikel Marſeille iſt vortrefflich. Thiers hat Anlage zu einem Staatsmann. Er ſieht, was da iſt, und mit der Sache ihren Grund zugleich: und Dichter iſt er nur im Ausdruck; das heißt, er weiß, was er geſehen hat, nach- zubilden in unendlichem Gebrauch ſeiner Sprache. — Sonntag, den 23. März 1823. Im Geſpräch über das Buch: Des hommes célèbres de France au dix-huitième siècle etc. par M. Goethe, ſagte R. Franzoſen und Deutſche gehören doch eigentlich zu- ſammen, wie zwei Hälften: Engländer kommen mir ſchon nicht ſo vor: ſie ſind doch wie eine Abart Deutſcher. A. Schweden und Dänen auch. Wie anders und eigen ſind dagegen Spanier; eine herrliche Nation! ſo mäßig: ein Volk, das mäßig iſt, iſt zu bewundern. R. Ja, ihr großer Witz und ihre Senſibilität entzückt mich: ich meine nicht, was man gewöhnlich Witz nennt: ſon- dern den Witz in ihrer Poeſie. Ihre Litteratur. Man kann doch ein Volk nur nach ſeiner Litteratur beurtheilen. Wie gebildet müſſen ſie geweſen ſein und ihre Geſelligkeit! Und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/98
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/98>, abgerufen am 19.04.2024.