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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Sechste Vorlesung.
haupt nicht kennen. Indess schliesst die Erkenntniss von der
Art der Blutveränderung nicht die Einsicht in die Bedingun-
gen der Dyskrasie in sich, und eben so wenig findet das Um-
gekehrte Statt. Auch in unserem Falle von der hämorrhagi-
schen Diathese werden Sie es immerhin als einen wesentlichen
Fortschritt betrachten müssen, dass wir in einer Reihe von
Fällen auf einen Ausgangspunkt in einem bestimmten Organe
hinweisen können, z. B. auf die Milz oder die Leber. Es han-
delt sich jetzt zunächst darum, zu ermitteln, welchen Einfluss
die Milz, die Leber auf die besondere Mischung des Blutes
ausüben. Wüssten wir, wie das Blut durch die Einwirkung dieser
Organe verändert wird, so wäre es vielleicht nicht schwer, aus
der Kenntniss des kranken Organs auch sofort abzuleiten, in welcher
Art das Blut verändert sein wird. Aber es ist doch schon wesent-
lich, dass wir über das Studium der Blutveränderungen hinaus-
gekommen und auf bestimmte Organe geführt worden sind, in
welchen die Dyscrasie wurzelt. So muss man consequent
schliessen, dass wenn es eine syphilitische Dyscrasie gibt, in
welcher das Blut eine virulente Substanz führt, diese nicht
dauerhaft in dem Blute enthalten sein kann, sondern dass ihre
Existenz im Blute gebunden sein muss an das Bestehen loka-
ler Heerde, von wo aus immer wieder neue Massen von schäd-
licher Substanz eingeführt werden in das Blut. Folgt man
dieser Bahn, so gelangt man zu dem schon erwähnten und
gerade für die praktische Medicin äusserst wichtigen Gesichts-
punkt, dass jede dauerhafte Veränderung, die in dem Zustande
der circulirenden Säfte besteht, von bestimmten Punkten des
Körpers, von einzelnen Organen oder Geweben abgeleitet wer-
den muss, und es ergibt sich weiter die Thatsache, dass ge-
wisse Gewebe und Organe eine grössere Bedeutung für die
Blutmischung haben, als andere; einzelne eine nothwendige
Beziehung zu dem Blute besitzen, andere nur eine zufällige.



Sechste Vorlesung.
haupt nicht kennen. Indess schliesst die Erkenntniss von der
Art der Blutveränderung nicht die Einsicht in die Bedingun-
gen der Dyskrasie in sich, und eben so wenig findet das Um-
gekehrte Statt. Auch in unserem Falle von der hämorrhagi-
schen Diathese werden Sie es immerhin als einen wesentlichen
Fortschritt betrachten müssen, dass wir in einer Reihe von
Fällen auf einen Ausgangspunkt in einem bestimmten Organe
hinweisen können, z. B. auf die Milz oder die Leber. Es han-
delt sich jetzt zunächst darum, zu ermitteln, welchen Einfluss
die Milz, die Leber auf die besondere Mischung des Blutes
ausüben. Wüssten wir, wie das Blut durch die Einwirkung dieser
Organe verändert wird, so wäre es vielleicht nicht schwer, aus
der Kenntniss des kranken Organs auch sofort abzuleiten, in welcher
Art das Blut verändert sein wird. Aber es ist doch schon wesent-
lich, dass wir über das Studium der Blutveränderungen hinaus-
gekommen und auf bestimmte Organe geführt worden sind, in
welchen die Dyscrasie wurzelt. So muss man consequent
schliessen, dass wenn es eine syphilitische Dyscrasie gibt, in
welcher das Blut eine virulente Substanz führt, diese nicht
dauerhaft in dem Blute enthalten sein kann, sondern dass ihre
Existenz im Blute gebunden sein muss an das Bestehen loka-
ler Heerde, von wo aus immer wieder neue Massen von schäd-
licher Substanz eingeführt werden in das Blut. Folgt man
dieser Bahn, so gelangt man zu dem schon erwähnten und
gerade für die praktische Medicin äusserst wichtigen Gesichts-
punkt, dass jede dauerhafte Veränderung, die in dem Zustande
der circulirenden Säfte besteht, von bestimmten Punkten des
Körpers, von einzelnen Organen oder Geweben abgeleitet wer-
den muss, und es ergibt sich weiter die Thatsache, dass ge-
wisse Gewebe und Organe eine grössere Bedeutung für die
Blutmischung haben, als andere; einzelne eine nothwendige
Beziehung zu dem Blute besitzen, andere nur eine zufällige.



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[120/0142] Sechste Vorlesung. haupt nicht kennen. Indess schliesst die Erkenntniss von der Art der Blutveränderung nicht die Einsicht in die Bedingun- gen der Dyskrasie in sich, und eben so wenig findet das Um- gekehrte Statt. Auch in unserem Falle von der hämorrhagi- schen Diathese werden Sie es immerhin als einen wesentlichen Fortschritt betrachten müssen, dass wir in einer Reihe von Fällen auf einen Ausgangspunkt in einem bestimmten Organe hinweisen können, z. B. auf die Milz oder die Leber. Es han- delt sich jetzt zunächst darum, zu ermitteln, welchen Einfluss die Milz, die Leber auf die besondere Mischung des Blutes ausüben. Wüssten wir, wie das Blut durch die Einwirkung dieser Organe verändert wird, so wäre es vielleicht nicht schwer, aus der Kenntniss des kranken Organs auch sofort abzuleiten, in welcher Art das Blut verändert sein wird. Aber es ist doch schon wesent- lich, dass wir über das Studium der Blutveränderungen hinaus- gekommen und auf bestimmte Organe geführt worden sind, in welchen die Dyscrasie wurzelt. So muss man consequent schliessen, dass wenn es eine syphilitische Dyscrasie gibt, in welcher das Blut eine virulente Substanz führt, diese nicht dauerhaft in dem Blute enthalten sein kann, sondern dass ihre Existenz im Blute gebunden sein muss an das Bestehen loka- ler Heerde, von wo aus immer wieder neue Massen von schäd- licher Substanz eingeführt werden in das Blut. Folgt man dieser Bahn, so gelangt man zu dem schon erwähnten und gerade für die praktische Medicin äusserst wichtigen Gesichts- punkt, dass jede dauerhafte Veränderung, die in dem Zustande der circulirenden Säfte besteht, von bestimmten Punkten des Körpers, von einzelnen Organen oder Geweben abgeleitet wer- den muss, und es ergibt sich weiter die Thatsache, dass ge- wisse Gewebe und Organe eine grössere Bedeutung für die Blutmischung haben, als andere; einzelne eine nothwendige Beziehung zu dem Blute besitzen, andere nur eine zufällige.

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/142>, abgerufen am 18.04.2024.