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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Bedeutung der Zellentheorie.
dass eine so verhältnissmässig lange Zeit vergangen ist, seit-
dem Schwann seine grossen Entdeckungen machte, ohne dass
man die eigentliche Breite der neuen Thatsachen würdigte.
Es hat dies allerdings sehr wesentlich an der immer noch un-
vollständigen Kenntniss der feineren Einrichtung unserer Gewebe
gelegen, welche bis in die neueste Zeit bestanden hat, und
welche, wie wir leider zugestehen müssen, in manchen Theilen
der Histologie selbst jetzt noch in solchem Maasse herrscht,
dass man kaum weiss, für welche Ansicht man sich ent-
scheiden soll.

Besondere Schwierigkeiten hat die Beantwortung der
Frage gemacht, von welchen Theilen des Körpers eigentlich
die Action ausgeht, welcher Theil thätig, welcher leidend ist;
doch ist ein Abschluss darüber schon jetzt in der That voll-
ständig möglich, selbst bei solchen Theilen, über deren Struk-
tur noch gestritten wird. Es handelt sich bei dieser Anwen-
dung der Histologie auf Physiologie und Pathologie zunächst
um die Anerkennung, dass die Zelle wirklich das letzte eigent-
liche Form-Element aller lebendigen Erscheinung sei, und
dass wir die eigentliche Action nicht über die Zelle hinaus-
verlegen dürfen. Ihnen gegenüber werde ich mich nicht beson-
ders zu rechtfertigen haben, wenn ich in dieser Beziehung
etwas ganz Besonderes dem Leben vorbehalte. In der Folge
dieser Vorträge werden Sie sich überzeugen, dass man für
das Einzelne kaum mechanischer denken kann, als ich es zu
thun pflege, wo es sich darum handelt, Vorgänge, deren Er-
klärung wir suchen, zu deuten. Aber ich glaube, dass man
das festhalten muss, dass, wie viel auch von dem feineren Stoff-
Verkehr, der innerhalb der Zelle geschieht, jenseits des mate-
riellen Gebildes als Ganzen liegen mag, doch die eigentliche
Action von diesem Gebilde als solchem ausgehe, und dass das
lebende Element nur so lange wirksam ist, als es uns wirklich
als Ganzes, für sich bestehend, entgegentritt.

In dieser Frage kommt es zunächst darauf an, und Sie
werden mir verzeihen, wenn ich dabei etwas verweile, weil dies
ein Punkt ist, welcher noch jetzt streitig ist, dass wir feststel-
len, was man eigentlich unter einer Zelle zu verstehen habe.
Gleich im Anfang, als die neueste Phase der histologischen Ent-

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Bedeutung der Zellentheorie.
dass eine so verhältnissmässig lange Zeit vergangen ist, seit-
dem Schwann seine grossen Entdeckungen machte, ohne dass
man die eigentliche Breite der neuen Thatsachen würdigte.
Es hat dies allerdings sehr wesentlich an der immer noch un-
vollständigen Kenntniss der feineren Einrichtung unserer Gewebe
gelegen, welche bis in die neueste Zeit bestanden hat, und
welche, wie wir leider zugestehen müssen, in manchen Theilen
der Histologie selbst jetzt noch in solchem Maasse herrscht,
dass man kaum weiss, für welche Ansicht man sich ent-
scheiden soll.

Besondere Schwierigkeiten hat die Beantwortung der
Frage gemacht, von welchen Theilen des Körpers eigentlich
die Action ausgeht, welcher Theil thätig, welcher leidend ist;
doch ist ein Abschluss darüber schon jetzt in der That voll-
ständig möglich, selbst bei solchen Theilen, über deren Struk-
tur noch gestritten wird. Es handelt sich bei dieser Anwen-
dung der Histologie auf Physiologie und Pathologie zunächst
um die Anerkennung, dass die Zelle wirklich das letzte eigent-
liche Form-Element aller lebendigen Erscheinung sei, und
dass wir die eigentliche Action nicht über die Zelle hinaus-
verlegen dürfen. Ihnen gegenüber werde ich mich nicht beson-
ders zu rechtfertigen haben, wenn ich in dieser Beziehung
etwas ganz Besonderes dem Leben vorbehalte. In der Folge
dieser Vorträge werden Sie sich überzeugen, dass man für
das Einzelne kaum mechanischer denken kann, als ich es zu
thun pflege, wo es sich darum handelt, Vorgänge, deren Er-
klärung wir suchen, zu deuten. Aber ich glaube, dass man
das festhalten muss, dass, wie viel auch von dem feineren Stoff-
Verkehr, der innerhalb der Zelle geschieht, jenseits des mate-
riellen Gebildes als Ganzen liegen mag, doch die eigentliche
Action von diesem Gebilde als solchem ausgehe, und dass das
lebende Element nur so lange wirksam ist, als es uns wirklich
als Ganzes, für sich bestehend, entgegentritt.

In dieser Frage kommt es zunächst darauf an, und Sie
werden mir verzeihen, wenn ich dabei etwas verweile, weil dies
ein Punkt ist, welcher noch jetzt streitig ist, dass wir feststel-
len, was man eigentlich unter einer Zelle zu verstehen habe.
Gleich im Anfang, als die neueste Phase der histologischen Ent-

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[3/0025] Bedeutung der Zellentheorie. dass eine so verhältnissmässig lange Zeit vergangen ist, seit- dem Schwann seine grossen Entdeckungen machte, ohne dass man die eigentliche Breite der neuen Thatsachen würdigte. Es hat dies allerdings sehr wesentlich an der immer noch un- vollständigen Kenntniss der feineren Einrichtung unserer Gewebe gelegen, welche bis in die neueste Zeit bestanden hat, und welche, wie wir leider zugestehen müssen, in manchen Theilen der Histologie selbst jetzt noch in solchem Maasse herrscht, dass man kaum weiss, für welche Ansicht man sich ent- scheiden soll. Besondere Schwierigkeiten hat die Beantwortung der Frage gemacht, von welchen Theilen des Körpers eigentlich die Action ausgeht, welcher Theil thätig, welcher leidend ist; doch ist ein Abschluss darüber schon jetzt in der That voll- ständig möglich, selbst bei solchen Theilen, über deren Struk- tur noch gestritten wird. Es handelt sich bei dieser Anwen- dung der Histologie auf Physiologie und Pathologie zunächst um die Anerkennung, dass die Zelle wirklich das letzte eigent- liche Form-Element aller lebendigen Erscheinung sei, und dass wir die eigentliche Action nicht über die Zelle hinaus- verlegen dürfen. Ihnen gegenüber werde ich mich nicht beson- ders zu rechtfertigen haben, wenn ich in dieser Beziehung etwas ganz Besonderes dem Leben vorbehalte. In der Folge dieser Vorträge werden Sie sich überzeugen, dass man für das Einzelne kaum mechanischer denken kann, als ich es zu thun pflege, wo es sich darum handelt, Vorgänge, deren Er- klärung wir suchen, zu deuten. Aber ich glaube, dass man das festhalten muss, dass, wie viel auch von dem feineren Stoff- Verkehr, der innerhalb der Zelle geschieht, jenseits des mate- riellen Gebildes als Ganzen liegen mag, doch die eigentliche Action von diesem Gebilde als solchem ausgehe, und dass das lebende Element nur so lange wirksam ist, als es uns wirklich als Ganzes, für sich bestehend, entgegentritt. In dieser Frage kommt es zunächst darauf an, und Sie werden mir verzeihen, wenn ich dabei etwas verweile, weil dies ein Punkt ist, welcher noch jetzt streitig ist, dass wir feststel- len, was man eigentlich unter einer Zelle zu verstehen habe. Gleich im Anfang, als die neueste Phase der histologischen Ent- 1*

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/25>, abgerufen am 24.04.2024.