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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Fünfzehnte Vorlesung.
einstimmung in beiden Reihen, dass die endlichen Veränderungen,
welche wir nach einer gewissen Zeitdauer des Prozesses antreffen,
nahezu dieselben sein können. Gerade hier ist es eine Zeitlang sehr
schwer gewesen, Grenzen zu ziehen, und ein grosser Theil
der Verwirrung, welcher im Anfange der mikroskopischen Be-
obachtungen zu Stande kam, ist bedingt gewesen durch die
ausserordentliche Schwierigkeit, die activen und passiven Stö-
rungen auseinander zu bringen.

Passive Störungen nenne ich diejenigen Veränderungen der
Elemente, wobei sie sofort entweder bloss an Wirkungsfähigkeit
einbüssen oder so vollständig zu Grunde gehen, dass zuletzt
irgend ein Substanzverlust, eine Verminderung der Summe der
Körperbestandtheile gegeben ist. Beide Reihen von passiven
Vorgängen zusammengenommen, diejenigen, welche sich zu-
nächst durch eine wesentliche Schwächung zu erkennen geben,
und diejenigen, welche mit einem vollständigen Untergang der
Theile endigen, bilden im Grossen das Gebiet der sogenann-
ten Degeneration, obwohl, wie wir späterhin noch genauer
betrachten müssen, auch in der Reihe der activen Prozesse ein
grosser Theil desjenigen untergebracht werden muss, was man
degenerativ nennt.

Es ist natürlich ein ausserordentlich grosser Unterschied,
ob das Element überhaupt als solches bestehen bleibt oder ob es
ganz und gar untergeht, ob es am Ende des Prozesses, wenn
auch in einem Zustande sehr verminderter Leistungsfähigkeit,
so doch vorhanden ist oder ob es überhaupt ganz zerstört ist.
Darin liegt für die praktische Auffassung die grosse Scheidung,
dass für die eine Reihe von Prozessen eine Möglichkeit der
Reparation der Zellen besteht, während in dem anderen Falle
eine directe Reparation unmöglich ist, und eine Regeneration
nur geschehen kann durch einen Ersatz vermittelst neuer Ele-
mente von der Nachbarschaft her. Denn wenn ein Element zu
Grunde gegangen ist, so ist natürlich von ihm aus keine wei-
tere Entwickelung möglich.

Diese letztere Categorie, wo die Elemente unter dem Ab-
laufe des Prozesses zu Grunde gehen, habe ich vor einigen
Jahren vorgeschlagen mit einem Ausdruck zu bezeichnen, wel-
cher von K. H. Schultz für die Krankheit überhaupt ge-

Fünfzehnte Vorlesung.
einstimmung in beiden Reihen, dass die endlichen Veränderungen,
welche wir nach einer gewissen Zeitdauer des Prozesses antreffen,
nahezu dieselben sein können. Gerade hier ist es eine Zeitlang sehr
schwer gewesen, Grenzen zu ziehen, und ein grosser Theil
der Verwirrung, welcher im Anfange der mikroskopischen Be-
obachtungen zu Stande kam, ist bedingt gewesen durch die
ausserordentliche Schwierigkeit, die activen und passiven Stö-
rungen auseinander zu bringen.

Passive Störungen nenne ich diejenigen Veränderungen der
Elemente, wobei sie sofort entweder bloss an Wirkungsfähigkeit
einbüssen oder so vollständig zu Grunde gehen, dass zuletzt
irgend ein Substanzverlust, eine Verminderung der Summe der
Körperbestandtheile gegeben ist. Beide Reihen von passiven
Vorgängen zusammengenommen, diejenigen, welche sich zu-
nächst durch eine wesentliche Schwächung zu erkennen geben,
und diejenigen, welche mit einem vollständigen Untergang der
Theile endigen, bilden im Grossen das Gebiet der sogenann-
ten Degeneration, obwohl, wie wir späterhin noch genauer
betrachten müssen, auch in der Reihe der activen Prozesse ein
grosser Theil desjenigen untergebracht werden muss, was man
degenerativ nennt.

Es ist natürlich ein ausserordentlich grosser Unterschied,
ob das Element überhaupt als solches bestehen bleibt oder ob es
ganz und gar untergeht, ob es am Ende des Prozesses, wenn
auch in einem Zustande sehr verminderter Leistungsfähigkeit,
so doch vorhanden ist oder ob es überhaupt ganz zerstört ist.
Darin liegt für die praktische Auffassung die grosse Scheidung,
dass für die eine Reihe von Prozessen eine Möglichkeit der
Reparation der Zellen besteht, während in dem anderen Falle
eine directe Reparation unmöglich ist, und eine Regeneration
nur geschehen kann durch einen Ersatz vermittelst neuer Ele-
mente von der Nachbarschaft her. Denn wenn ein Element zu
Grunde gegangen ist, so ist natürlich von ihm aus keine wei-
tere Entwickelung möglich.

Diese letztere Categorie, wo die Elemente unter dem Ab-
laufe des Prozesses zu Grunde gehen, habe ich vor einigen
Jahren vorgeschlagen mit einem Ausdruck zu bezeichnen, wel-
cher von K. H. Schultz für die Krankheit überhaupt ge-

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[286/0308] Fünfzehnte Vorlesung. einstimmung in beiden Reihen, dass die endlichen Veränderungen, welche wir nach einer gewissen Zeitdauer des Prozesses antreffen, nahezu dieselben sein können. Gerade hier ist es eine Zeitlang sehr schwer gewesen, Grenzen zu ziehen, und ein grosser Theil der Verwirrung, welcher im Anfange der mikroskopischen Be- obachtungen zu Stande kam, ist bedingt gewesen durch die ausserordentliche Schwierigkeit, die activen und passiven Stö- rungen auseinander zu bringen. Passive Störungen nenne ich diejenigen Veränderungen der Elemente, wobei sie sofort entweder bloss an Wirkungsfähigkeit einbüssen oder so vollständig zu Grunde gehen, dass zuletzt irgend ein Substanzverlust, eine Verminderung der Summe der Körperbestandtheile gegeben ist. Beide Reihen von passiven Vorgängen zusammengenommen, diejenigen, welche sich zu- nächst durch eine wesentliche Schwächung zu erkennen geben, und diejenigen, welche mit einem vollständigen Untergang der Theile endigen, bilden im Grossen das Gebiet der sogenann- ten Degeneration, obwohl, wie wir späterhin noch genauer betrachten müssen, auch in der Reihe der activen Prozesse ein grosser Theil desjenigen untergebracht werden muss, was man degenerativ nennt. Es ist natürlich ein ausserordentlich grosser Unterschied, ob das Element überhaupt als solches bestehen bleibt oder ob es ganz und gar untergeht, ob es am Ende des Prozesses, wenn auch in einem Zustande sehr verminderter Leistungsfähigkeit, so doch vorhanden ist oder ob es überhaupt ganz zerstört ist. Darin liegt für die praktische Auffassung die grosse Scheidung, dass für die eine Reihe von Prozessen eine Möglichkeit der Reparation der Zellen besteht, während in dem anderen Falle eine directe Reparation unmöglich ist, und eine Regeneration nur geschehen kann durch einen Ersatz vermittelst neuer Ele- mente von der Nachbarschaft her. Denn wenn ein Element zu Grunde gegangen ist, so ist natürlich von ihm aus keine wei- tere Entwickelung möglich. Diese letztere Categorie, wo die Elemente unter dem Ab- laufe des Prozesses zu Grunde gehen, habe ich vor einigen Jahren vorgeschlagen mit einem Ausdruck zu bezeichnen, wel- cher von K. H. Schultz für die Krankheit überhaupt ge-

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/308>, abgerufen am 23.04.2024.