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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Histologische Classification.
zigen Ganzen (Organ) Statt findet. Wir sprechen also z. B.
von Knochengewebe, allein dieses Gewebe, die Tela ossea im
allgemein histologischen Sinne, bildet für sich keinen Knochen,
denn kein Knochen besteht durch und durch aus Tela ossea,
sondern es gehören dazu mit einer gewissen Nothwendigkeit
mindestens Periost und Gefässe. Ja, von dieser einfachen
Vorstellung eines Knochens differirt die jedes grösseren z. B.
eines Röhrenknochens; dies ist ein wirkliches Organ, in dem
wir wenigsten vier verschiedene Gewebe unterscheiden. Wir
haben da die eigentliche Tela ossea, die Knorpellage, die
Bindegewebschicht des Periosts, das eigenthümliche Markge-
webe. Innerhalb dieser einzelnen Theile findet sich wieder
eine innere Verschiedenartigkeit der Theile, indem z. B. Ge-
fässe und Nerven mit in die Zusammensetzung des Markes,
der Beinhaut u. s. f. eingehen. Alles dies zusammenge-
nommen, gibt erst den vollen Organismus eines Knochens.
Bevor man also zu den eigentlichen Systemen oder Appa-
raten
, dem speziellen Vorwurf der descriptiven Anatomie kommt,
hat man eine ganze Reihe von Gradationen zu durchlaufen,
und man muss sich bei Diskussionen immer erst klar werden,
was in Frage ist. Wenn man Knochen und Knochengewebe
zusammenwirft, so gibt dies die allergrösste Verwirrung, ebenso,
wenn man Nerven- und Gehirn-Masse identificiren will. Das
Gehirn enthält viele Dinge, die nicht nervös sind, und seine
physiologischen und pathologischen Zustände lassen sich nicht
begreifen, wenn man sie auf eine Zusammenordnung rein
nervöser Theile bezieht, und wenn man nicht auf die Häute, die
Zwischenmasse, die Gefässe neben den Nerven Rücksicht nimmt.

Betrachten wir nun die erste Reihe von allgemein-histologi-
schen Theilen etwas genauer, die einfachen Zellen-Gewebe, so
ist unzweifelhaft das Uebersichtlichste die Epithelialfor-
mation
, wie wir sie in der Epidermis und dem Rete Mal-
pighii an der äussern Oberfläche, im Cylinder- und Platten-
epithelium auf den Schleim- und serösen Häuten antreffen. Das
allgemeine Schema ist hier, dass Zelle an Zelle liegt, so dass
in dem günstigsten Falle auch hier, wie bei der Pflanze, vier-
oder sechseckige Zellen unmittelbar sich an einander schlies-

Histologische Classification.
zigen Ganzen (Organ) Statt findet. Wir sprechen also z. B.
von Knochengewebe, allein dieses Gewebe, die Tela ossea im
allgemein histologischen Sinne, bildet für sich keinen Knochen,
denn kein Knochen besteht durch und durch aus Tela ossea,
sondern es gehören dazu mit einer gewissen Nothwendigkeit
mindestens Periost und Gefässe. Ja, von dieser einfachen
Vorstellung eines Knochens differirt die jedes grösseren z. B.
eines Röhrenknochens; dies ist ein wirkliches Organ, in dem
wir wenigsten vier verschiedene Gewebe unterscheiden. Wir
haben da die eigentliche Tela ossea, die Knorpellage, die
Bindegewebschicht des Periosts, das eigenthümliche Markge-
webe. Innerhalb dieser einzelnen Theile findet sich wieder
eine innere Verschiedenartigkeit der Theile, indem z. B. Ge-
fässe und Nerven mit in die Zusammensetzung des Markes,
der Beinhaut u. s. f. eingehen. Alles dies zusammenge-
nommen, gibt erst den vollen Organismus eines Knochens.
Bevor man also zu den eigentlichen Systemen oder Appa-
raten
, dem speziellen Vorwurf der descriptiven Anatomie kommt,
hat man eine ganze Reihe von Gradationen zu durchlaufen,
und man muss sich bei Diskussionen immer erst klar werden,
was in Frage ist. Wenn man Knochen und Knochengewebe
zusammenwirft, so gibt dies die allergrösste Verwirrung, ebenso,
wenn man Nerven- und Gehirn-Masse identificiren will. Das
Gehirn enthält viele Dinge, die nicht nervös sind, und seine
physiologischen und pathologischen Zustände lassen sich nicht
begreifen, wenn man sie auf eine Zusammenordnung rein
nervöser Theile bezieht, und wenn man nicht auf die Häute, die
Zwischenmasse, die Gefässe neben den Nerven Rücksicht nimmt.

Betrachten wir nun die erste Reihe von allgemein-histologi-
schen Theilen etwas genauer, die einfachen Zellen-Gewebe, so
ist unzweifelhaft das Uebersichtlichste die Epithelialfor-
mation
, wie wir sie in der Epidermis und dem Rete Mal-
pighii an der äussern Oberfläche, im Cylinder- und Platten-
epithelium auf den Schleim- und serösen Häuten antreffen. Das
allgemeine Schema ist hier, dass Zelle an Zelle liegt, so dass
in dem günstigsten Falle auch hier, wie bei der Pflanze, vier-
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[27/0049] Histologische Classification. zigen Ganzen (Organ) Statt findet. Wir sprechen also z. B. von Knochengewebe, allein dieses Gewebe, die Tela ossea im allgemein histologischen Sinne, bildet für sich keinen Knochen, denn kein Knochen besteht durch und durch aus Tela ossea, sondern es gehören dazu mit einer gewissen Nothwendigkeit mindestens Periost und Gefässe. Ja, von dieser einfachen Vorstellung eines Knochens differirt die jedes grösseren z. B. eines Röhrenknochens; dies ist ein wirkliches Organ, in dem wir wenigsten vier verschiedene Gewebe unterscheiden. Wir haben da die eigentliche Tela ossea, die Knorpellage, die Bindegewebschicht des Periosts, das eigenthümliche Markge- webe. Innerhalb dieser einzelnen Theile findet sich wieder eine innere Verschiedenartigkeit der Theile, indem z. B. Ge- fässe und Nerven mit in die Zusammensetzung des Markes, der Beinhaut u. s. f. eingehen. Alles dies zusammenge- nommen, gibt erst den vollen Organismus eines Knochens. Bevor man also zu den eigentlichen Systemen oder Appa- raten, dem speziellen Vorwurf der descriptiven Anatomie kommt, hat man eine ganze Reihe von Gradationen zu durchlaufen, und man muss sich bei Diskussionen immer erst klar werden, was in Frage ist. Wenn man Knochen und Knochengewebe zusammenwirft, so gibt dies die allergrösste Verwirrung, ebenso, wenn man Nerven- und Gehirn-Masse identificiren will. Das Gehirn enthält viele Dinge, die nicht nervös sind, und seine physiologischen und pathologischen Zustände lassen sich nicht begreifen, wenn man sie auf eine Zusammenordnung rein nervöser Theile bezieht, und wenn man nicht auf die Häute, die Zwischenmasse, die Gefässe neben den Nerven Rücksicht nimmt. Betrachten wir nun die erste Reihe von allgemein-histologi- schen Theilen etwas genauer, die einfachen Zellen-Gewebe, so ist unzweifelhaft das Uebersichtlichste die Epithelialfor- mation, wie wir sie in der Epidermis und dem Rete Mal- pighii an der äussern Oberfläche, im Cylinder- und Platten- epithelium auf den Schleim- und serösen Häuten antreffen. Das allgemeine Schema ist hier, dass Zelle an Zelle liegt, so dass in dem günstigsten Falle auch hier, wie bei der Pflanze, vier- oder sechseckige Zellen unmittelbar sich an einander schlies-

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/49>, abgerufen am 19.04.2024.