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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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B.
Das Bild.
§. 30.

Die Idee soll gemäß §. 13 erscheinen als vollkommen verwirklicht in
einem Einzelnen, das als solches ein räumlich und zeitlich begrenztes endliches
Wesen ist. Dies Wesen heißt Bild im Sinne eines Gebildes, das ein Indi-
viduum der je im vorliegenden Falle den Inhalt des Schönen abgebenden be-
stimmten Idee oder Gattung ist.

Wie sich die Gattung zu ihren Individuen verhalte, darüber hat
dieser §. noch nichts auszusprechen, vielmehr sind gerade die Momente
des Gegensatzes zwischen der Einzelnheit des Individuums und der
Allgemeinheit der Idee zunächst zu verfolgen. Es ist nur ausdrücklich
hervorzuheben, daß dies Bild ein Individuum der je im gegebenen Falle
den Inhalt des Schönen abgebenden bestimmten Idee seyn müsse. Der
Ausdruck Bild könnte sonst mißverstanden und an das äußerliche Ver-
hältniß gedacht werden, das in der blosen Vergleichung und im Symbole
zwischen dem Sinnlichen und dem Gedanken Statt findet. Bild hat aber
hier und im Folgenden durchaus seine ursprüngliche Bedeutung: Gebilde.
Daß nun unter diesem durchaus nur das Gebilde verstanden ist, worin
je die den Inhalt des Schönen ausmachende Gattung als ihrem eigenen
sich darstellt, dies scheint ganz von selbst einzuleuchten, aber diese Grund-
wahrheit wird von der Kunst so vielfach verkannt, daß der Inhalt des §.
von den gewichtigsten Folgen ist für die wahre Ansicht von dieser. Dies
wird sich namentlich in der Lehre von der Allegorie zeigen.


B.
Das Bild.
§. 30.

Die Idee ſoll gemäß §. 13 erſcheinen als vollkommen verwirklicht in
einem Einzelnen, das als ſolches ein räumlich und zeitlich begrenztes endliches
Weſen iſt. Dies Weſen heißt Bild im Sinne eines Gebildes, das ein Indi-
viduum der je im vorliegenden Falle den Inhalt des Schönen abgebenden be-
ſtimmten Idee oder Gattung iſt.

Wie ſich die Gattung zu ihren Individuen verhalte, darüber hat
dieſer §. noch nichts auszuſprechen, vielmehr ſind gerade die Momente
des Gegenſatzes zwiſchen der Einzelnheit des Individuums und der
Allgemeinheit der Idee zunächſt zu verfolgen. Es iſt nur ausdrücklich
hervorzuheben, daß dies Bild ein Individuum der je im gegebenen Falle
den Inhalt des Schönen abgebenden beſtimmten Idee ſeyn müſſe. Der
Ausdruck Bild könnte ſonſt mißverſtanden und an das äußerliche Ver-
hältniß gedacht werden, das in der bloſen Vergleichung und im Symbole
zwiſchen dem Sinnlichen und dem Gedanken Statt findet. Bild hat aber
hier und im Folgenden durchaus ſeine urſprüngliche Bedeutung: Gebilde.
Daß nun unter dieſem durchaus nur das Gebilde verſtanden iſt, worin
je die den Inhalt des Schönen ausmachende Gattung als ihrem eigenen
ſich darſtellt, dies ſcheint ganz von ſelbſt einzuleuchten, aber dieſe Grund-
wahrheit wird von der Kunſt ſo vielfach verkannt, daß der Inhalt des §.
von den gewichtigſten Folgen iſt für die wahre Anſicht von dieſer. Dies
wird ſich namentlich in der Lehre von der Allegorie zeigen.


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[[93]/0107] B. Das Bild. §. 30. Die Idee ſoll gemäß §. 13 erſcheinen als vollkommen verwirklicht in einem Einzelnen, das als ſolches ein räumlich und zeitlich begrenztes endliches Weſen iſt. Dies Weſen heißt Bild im Sinne eines Gebildes, das ein Indi- viduum der je im vorliegenden Falle den Inhalt des Schönen abgebenden be- ſtimmten Idee oder Gattung iſt. Wie ſich die Gattung zu ihren Individuen verhalte, darüber hat dieſer §. noch nichts auszuſprechen, vielmehr ſind gerade die Momente des Gegenſatzes zwiſchen der Einzelnheit des Individuums und der Allgemeinheit der Idee zunächſt zu verfolgen. Es iſt nur ausdrücklich hervorzuheben, daß dies Bild ein Individuum der je im gegebenen Falle den Inhalt des Schönen abgebenden beſtimmten Idee ſeyn müſſe. Der Ausdruck Bild könnte ſonſt mißverſtanden und an das äußerliche Ver- hältniß gedacht werden, das in der bloſen Vergleichung und im Symbole zwiſchen dem Sinnlichen und dem Gedanken Statt findet. Bild hat aber hier und im Folgenden durchaus ſeine urſprüngliche Bedeutung: Gebilde. Daß nun unter dieſem durchaus nur das Gebilde verſtanden iſt, worin je die den Inhalt des Schönen ausmachende Gattung als ihrem eigenen ſich darſtellt, dies ſcheint ganz von ſelbſt einzuleuchten, aber dieſe Grund- wahrheit wird von der Kunſt ſo vielfach verkannt, daß der Inhalt des §. von den gewichtigſten Folgen iſt für die wahre Anſicht von dieſer. Dies wird ſich namentlich in der Lehre von der Allegorie zeigen.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. [93]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/107>, abgerufen am 19.03.2024.