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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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C.
Die Einheit der Idee und des Bildes.
§. 41.

Was sich zwischen die Idee und das Einzelwesen als ihr Bild stellt, ist1
also die Zufälligkeit. Es ist die Aufgabe, diese Zufälligkeit wie in der Noth-2
wendigkeit ihres Daseyns, ebenso in der Nothwendigkeit ihrer Aufhebung zu
begreifen. Dies gilt zunächst noch abgesehen von der besondern Aufgabe des
Schönen ganz allgemein von der Idee überhaupt im Verhältniß zu ihrer Ver-
wirklichung; das ganze Leben als das unendliche Zugleichwirken der in der
absoluten Idee enthaltenen bestimmten Ideen ist beständige Setzung und Auf-
hebung des Zufalls und die Wissenschaft des Schönen wird durch die Anerken-
nung des Zufalls so wenig aus der Gesetzmäßigkeit des Begriffs in ein Gebiet
des Unbegreiflichen getrieben, als die übrigen Wissenschaften von den verschie-
denen Sphären der wirklichen Idee.

1. "Das Einzelwesen als ihr Bild". Das absolute Zusammenge-
hören von Idee und Bild wird alsbald näher aufgefaßt werden; hier
liegt nur erst so viel vor, daß das Bild ein Einzelwesen eben der
Gattung ist, welche je im vorliegenden Falle den Inhalt des Schönen
bildet, wie dies schon oben aufgestellt wurde.

2. Der Mangel des Hegel'schen Systems ist nicht, daß es für
den Zufall keine Stelle hätte, sondern daß es ihn nur als Betrachtungs-
weise, als eine Ansicht der Dinge unter dem Standpunkte der "schlechten
Endlichkeit" momentan aufnimmt, um ihn als Vorstellung sofort in die
denkende Betrachtung aufzulösen. So verhält es sich mit der Zufälligkeit
in diesem Systeme überhaupt und namentlich mit der besonderen Form

C.
Die Einheit der Idee und des Bildes.
§. 41.

Was ſich zwiſchen die Idee und das Einzelweſen als ihr Bild ſtellt, iſt1
alſo die Zufälligkeit. Es iſt die Aufgabe, dieſe Zufälligkeit wie in der Noth-2
wendigkeit ihres Daſeyns, ebenſo in der Nothwendigkeit ihrer Aufhebung zu
begreifen. Dies gilt zunächſt noch abgeſehen von der beſondern Aufgabe des
Schönen ganz allgemein von der Idee überhaupt im Verhältniß zu ihrer Ver-
wirklichung; das ganze Leben als das unendliche Zugleichwirken der in der
abſoluten Idee enthaltenen beſtimmten Ideen iſt beſtändige Setzung und Auf-
hebung des Zufalls und die Wiſſenſchaft des Schönen wird durch die Anerken-
nung des Zufalls ſo wenig aus der Geſetzmäßigkeit des Begriffs in ein Gebiet
des Unbegreiflichen getrieben, als die übrigen Wiſſenſchaften von den verſchie-
denen Sphären der wirklichen Idee.

1. „Das Einzelweſen als ihr Bild“. Das abſolute Zuſammenge-
hören von Idee und Bild wird alsbald näher aufgefaßt werden; hier
liegt nur erſt ſo viel vor, daß das Bild ein Einzelweſen eben der
Gattung iſt, welche je im vorliegenden Falle den Inhalt des Schönen
bildet, wie dies ſchon oben aufgeſtellt wurde.

2. Der Mangel des Hegel’ſchen Syſtems iſt nicht, daß es für
den Zufall keine Stelle hätte, ſondern daß es ihn nur als Betrachtungs-
weiſe, als eine Anſicht der Dinge unter dem Standpunkte der „ſchlechten
Endlichkeit“ momentan aufnimmt, um ihn als Vorſtellung ſofort in die
denkende Betrachtung aufzulöſen. So verhält es ſich mit der Zufälligkeit
in dieſem Syſteme überhaupt und namentlich mit der beſonderen Form

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[[117]/0131] C. Die Einheit der Idee und des Bildes. §. 41. Was ſich zwiſchen die Idee und das Einzelweſen als ihr Bild ſtellt, iſt alſo die Zufälligkeit. Es iſt die Aufgabe, dieſe Zufälligkeit wie in der Noth- wendigkeit ihres Daſeyns, ebenſo in der Nothwendigkeit ihrer Aufhebung zu begreifen. Dies gilt zunächſt noch abgeſehen von der beſondern Aufgabe des Schönen ganz allgemein von der Idee überhaupt im Verhältniß zu ihrer Ver- wirklichung; das ganze Leben als das unendliche Zugleichwirken der in der abſoluten Idee enthaltenen beſtimmten Ideen iſt beſtändige Setzung und Auf- hebung des Zufalls und die Wiſſenſchaft des Schönen wird durch die Anerken- nung des Zufalls ſo wenig aus der Geſetzmäßigkeit des Begriffs in ein Gebiet des Unbegreiflichen getrieben, als die übrigen Wiſſenſchaften von den verſchie- denen Sphären der wirklichen Idee. 1. „Das Einzelweſen als ihr Bild“. Das abſolute Zuſammenge- hören von Idee und Bild wird alsbald näher aufgefaßt werden; hier liegt nur erſt ſo viel vor, daß das Bild ein Einzelweſen eben der Gattung iſt, welche je im vorliegenden Falle den Inhalt des Schönen bildet, wie dies ſchon oben aufgeſtellt wurde. 2. Der Mangel des Hegel’ſchen Syſtems iſt nicht, daß es für den Zufall keine Stelle hätte, ſondern daß es ihn nur als Betrachtungs- weiſe, als eine Anſicht der Dinge unter dem Standpunkte der „ſchlechten Endlichkeit“ momentan aufnimmt, um ihn als Vorſtellung ſofort in die denkende Betrachtung aufzulöſen. So verhält es ſich mit der Zufälligkeit in dieſem Syſteme überhaupt und namentlich mit der beſonderen Form

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. [117]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/131>, abgerufen am 19.03.2024.