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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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zum objektiven, der objective zum absoluten weiter, die Uebergänge an
diesen Hauptpunkten darzustellen ist die Aesthetik als besondere Wissenschaft
nicht verpflichtet; nur auf den letztern hat sie zurückzusehen und wird,
indem sie das Verhältniß des Schönen zum Guten erörtert, ein bestätigen-
des Licht auf ihn werfen. Gründlicher aber hat sie sich mit den Sphären
auseinander zu setzen, welche mit ihr in das Gebiet des absoluten Geistes
fallen.

3 Die Nothwendigkeit der dialektischen Bewegung des allgemeinen
Gedankens durch die drei Momente, welche Hegel durch Ansich, Für-
sich und An und Fürsich bezeichnet hat, und die daraus folgende drei-
gliedrige Eintheilung des ganzen Systems kann die Aesthetik als ein in
der jetzigen Philosophie anerkanntes Grundgesetz einfach hinstellen. Selbst
die Mehrzahl derjenigen, welche über das Hegel'sche System in den
metaphysischen Grundlagen hinausstreben, meint, den Inhalt zwar be-
streiten, die Form aber, nämlich eben die Dialektik und ihre Momente,
gelten lassen zu können. Es hat sich zwar neuerdings überhaupt ein
Kampf entwickelt gegen das, was man Speculation nennt. Fordert
dieser, selbst wissenschaftlich, nur freiere Auflösung aller Transcendenz
und Durchführung des Begriffs durch die Wirklichkeit, so ist damit gegen
die Gültigkeit der dialektischen Grundgesetze noch gar nichts gesagt; dringt
er auf reine Empirie, so wäre diese durch eine einfache Aufweisung nicht
schwer zu überführen, daß sie überall auf das Gesetz der Bewegung
durch drei Momente stößt. Für den Zweck der Aesthetik aber genügt es
zunächst, die Nothwendigkeit der dreifachen Theilung des geistigen Gebiets
mit Obigem im Umriß angezeigt zu haben; dieselbe Theilung für das
ganze System der Philosophie zu begründen, überläßt sie diesem selbst.
Daß nun der absolute Geist sich wieder in drei Sphären theilt, hat sie
nur so weit zu beweisen, als die oben geforderte Auseinandersetzung mit
ihren Nachbarsphären es mit sich bringt. Warum die Ethik nicht in dieses
Gebiet gehöre, ist oben, §. 2, 2 besprochen. Anders aber verhält es
sich mit der Durchführung ihres eigenen Inhalts. Kehrt hier überall
die dreigliedrige Theilung wieder, so kann nur jene selbst den Beweis
führen, daß dieß kein Zwang, sondern ein Gesetz der Sache selbst ist;
wo nicht, so ist jeder Vorwurf transcendenter Speculation ein gerechter.

§. 5.

Nach dem Gesetze dieser Bewegung tritt als erste Stufe im Gebiete des
absoluten Geistes die Religion, als zweite das Schöne, als dritte die Philo-

zum objektiven, der objective zum abſoluten weiter, die Uebergänge an
dieſen Hauptpunkten darzuſtellen iſt die Aeſthetik als beſondere Wiſſenſchaft
nicht verpflichtet; nur auf den letztern hat ſie zurückzuſehen und wird,
indem ſie das Verhältniß des Schönen zum Guten erörtert, ein beſtätigen-
des Licht auf ihn werfen. Gründlicher aber hat ſie ſich mit den Sphären
auseinander zu ſetzen, welche mit ihr in das Gebiet des abſoluten Geiſtes
fallen.

3 Die Nothwendigkeit der dialektiſchen Bewegung des allgemeinen
Gedankens durch die drei Momente, welche Hegel durch Anſich, Für-
ſich und An und Fürſich bezeichnet hat, und die daraus folgende drei-
gliedrige Eintheilung des ganzen Syſtems kann die Aeſthetik als ein in
der jetzigen Philoſophie anerkanntes Grundgeſetz einfach hinſtellen. Selbſt
die Mehrzahl derjenigen, welche über das Hegel’ſche Syſtem in den
metaphyſiſchen Grundlagen hinausſtreben, meint, den Inhalt zwar be-
ſtreiten, die Form aber, nämlich eben die Dialektik und ihre Momente,
gelten laſſen zu können. Es hat ſich zwar neuerdings überhaupt ein
Kampf entwickelt gegen das, was man Speculation nennt. Fordert
dieſer, ſelbſt wiſſenſchaftlich, nur freiere Auflöſung aller Tranſcendenz
und Durchführung des Begriffs durch die Wirklichkeit, ſo iſt damit gegen
die Gültigkeit der dialektiſchen Grundgeſetze noch gar nichts geſagt; dringt
er auf reine Empirie, ſo wäre dieſe durch eine einfache Aufweiſung nicht
ſchwer zu überführen, daß ſie überall auf das Geſetz der Bewegung
durch drei Momente ſtößt. Für den Zweck der Aeſthetik aber genügt es
zunächſt, die Nothwendigkeit der dreifachen Theilung des geiſtigen Gebiets
mit Obigem im Umriß angezeigt zu haben; dieſelbe Theilung für das
ganze Syſtem der Philoſophie zu begründen, überläßt ſie dieſem ſelbſt.
Daß nun der abſolute Geiſt ſich wieder in drei Sphären theilt, hat ſie
nur ſo weit zu beweiſen, als die oben geforderte Auseinanderſetzung mit
ihren Nachbarſphären es mit ſich bringt. Warum die Ethik nicht in dieſes
Gebiet gehöre, iſt oben, §. 2, 2 beſprochen. Anders aber verhält es
ſich mit der Durchführung ihres eigenen Inhalts. Kehrt hier überall
die dreigliedrige Theilung wieder, ſo kann nur jene ſelbſt den Beweis
führen, daß dieß kein Zwang, ſondern ein Geſetz der Sache ſelbſt iſt;
wo nicht, ſo iſt jeder Vorwurf tranſcendenter Speculation ein gerechter.

§. 5.

Nach dem Geſetze dieſer Bewegung tritt als erſte Stufe im Gebiete des
abſoluten Geiſtes die Religion, als zweite das Schöne, als dritte die Philo-

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[21/0035] zum objektiven, der objective zum abſoluten weiter, die Uebergänge an dieſen Hauptpunkten darzuſtellen iſt die Aeſthetik als beſondere Wiſſenſchaft nicht verpflichtet; nur auf den letztern hat ſie zurückzuſehen und wird, indem ſie das Verhältniß des Schönen zum Guten erörtert, ein beſtätigen- des Licht auf ihn werfen. Gründlicher aber hat ſie ſich mit den Sphären auseinander zu ſetzen, welche mit ihr in das Gebiet des abſoluten Geiſtes fallen. 3 Die Nothwendigkeit der dialektiſchen Bewegung des allgemeinen Gedankens durch die drei Momente, welche Hegel durch Anſich, Für- ſich und An und Fürſich bezeichnet hat, und die daraus folgende drei- gliedrige Eintheilung des ganzen Syſtems kann die Aeſthetik als ein in der jetzigen Philoſophie anerkanntes Grundgeſetz einfach hinſtellen. Selbſt die Mehrzahl derjenigen, welche über das Hegel’ſche Syſtem in den metaphyſiſchen Grundlagen hinausſtreben, meint, den Inhalt zwar be- ſtreiten, die Form aber, nämlich eben die Dialektik und ihre Momente, gelten laſſen zu können. Es hat ſich zwar neuerdings überhaupt ein Kampf entwickelt gegen das, was man Speculation nennt. Fordert dieſer, ſelbſt wiſſenſchaftlich, nur freiere Auflöſung aller Tranſcendenz und Durchführung des Begriffs durch die Wirklichkeit, ſo iſt damit gegen die Gültigkeit der dialektiſchen Grundgeſetze noch gar nichts geſagt; dringt er auf reine Empirie, ſo wäre dieſe durch eine einfache Aufweiſung nicht ſchwer zu überführen, daß ſie überall auf das Geſetz der Bewegung durch drei Momente ſtößt. Für den Zweck der Aeſthetik aber genügt es zunächſt, die Nothwendigkeit der dreifachen Theilung des geiſtigen Gebiets mit Obigem im Umriß angezeigt zu haben; dieſelbe Theilung für das ganze Syſtem der Philoſophie zu begründen, überläßt ſie dieſem ſelbſt. Daß nun der abſolute Geiſt ſich wieder in drei Sphären theilt, hat ſie nur ſo weit zu beweiſen, als die oben geforderte Auseinanderſetzung mit ihren Nachbarſphären es mit ſich bringt. Warum die Ethik nicht in dieſes Gebiet gehöre, iſt oben, §. 2, 2 beſprochen. Anders aber verhält es ſich mit der Durchführung ihres eigenen Inhalts. Kehrt hier überall die dreigliedrige Theilung wieder, ſo kann nur jene ſelbſt den Beweis führen, daß dieß kein Zwang, ſondern ein Geſetz der Sache ſelbſt iſt; wo nicht, ſo iſt jeder Vorwurf tranſcendenter Speculation ein gerechter. §. 5. Nach dem Geſetze dieſer Bewegung tritt als erſte Stufe im Gebiete des abſoluten Geiſtes die Religion, als zweite das Schöne, als dritte die Philo-

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/35>, abgerufen am 19.03.2024.