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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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mithin die Thätigkeit, die ihren Gegenstand ganz durchdringt und gegen-
theils ganz von ihm durchdrungen ist." Und so wird das Komische bestimmt
als "die Besinnung des Geistes in seiner unwahren Gestalt auf seine
wahre, welche Wiedergewinn der Persönlichkeit ist." Wir haben (zu
§. 176 und 177 Anm. 2) schon ausgesprochen, daß wir mit diesem
Ergebniß nicht ganz und schließlich übereinstimmen: davon noch mehr; aber
das Aufblitzen der Einen Subjectivität aus zweien ist jedenfalls tief und
geistreich aufgewiesen. Uebrigens war schon St. Schütze auf der Spur
der Entdeckung, nur verfolgte er sie nicht. Er sagt (a. a. O. S. 101),
daß der Mensch in dem Grade, als er einer Reflexion über sich fähig
sey, sehr wohl dem Kampfe in sich zusehen und über sich selbst lachen
könne; dann fährt er fort: "der Klügere lacht freilich über den minder
Klugen, aber beides ist der Mensch selbst."

§. 182.

Da aber das Komische ein Verhältnißbegriff ist wie das Erhabene, so
bildet sich, wie bei allen Formen des Letzteren bis zu der des Tragischen, eine
aufsteigende Reihe, worin über dem Subjecte, welches unbewußt komisch ist,
ein höheres steht, welchem das erstere und welches sich selbst komisch erscheint,
das aber sammt diesem freien Bewußtseyn einem geistig noch freieren durch einen
nicht überwundenen Rest von Besinnungslosigkeit selbst wieder Gegenstand des
Lachens ist. Dasjenige Subject, das einer solchen Reihe zusieht, muß sich
selbst als das freieste an der Spitze jener Subjecte vorkommen; aber da ihrem
Begriffe nach die Reihe mit stets verdoppelter Tiefe der Komik weiter steigt,
so tritt dieses Subject, nämlich der Zuschauer, selbst auf die Seite der Zu-
schauer, denen er vorher zuschaute, und wird Gegenstand einer möglichen noch
reineren Freiheit der Subjectivität in einem andern Subjecte.

Der Hanswurst benützt Straßenjungen als Gegenstände des Lachens
für das Publikum. Unter diesen mag selbst schon einer oder der andere
seyn, der mitlachend in die Komik, durch die er leidet, frei eingeht.
Bauern lachen über das Spiel, das der Hanswurst mit den Jungen
treibt. Ein Pedant lacht über das Lachen der Bauern. Ein wirklich
Gebildeter lacht über dies Lachen über das Lachen. Alle diese lachen
zusammen und über dem Letzten ist noch ein Gebildeterer denkbar, der
über dessen Vergnügen lacht, da es doch höhere Stoffe des Lachens
gebe u. s. w. u. s. w. Eine herrliche Skala ist in Heinrich IV: über

mithin die Thätigkeit, die ihren Gegenſtand ganz durchdringt und gegen-
theils ganz von ihm durchdrungen iſt.“ Und ſo wird das Komiſche beſtimmt
als „die Beſinnung des Geiſtes in ſeiner unwahren Geſtalt auf ſeine
wahre, welche Wiedergewinn der Perſönlichkeit iſt.“ Wir haben (zu
§. 176 und 177 Anm. 2) ſchon ausgeſprochen, daß wir mit dieſem
Ergebniß nicht ganz und ſchließlich übereinſtimmen: davon noch mehr; aber
das Aufblitzen der Einen Subjectivität aus zweien iſt jedenfalls tief und
geiſtreich aufgewieſen. Uebrigens war ſchon St. Schütze auf der Spur
der Entdeckung, nur verfolgte er ſie nicht. Er ſagt (a. a. O. S. 101),
daß der Menſch in dem Grade, als er einer Reflexion über ſich fähig
ſey, ſehr wohl dem Kampfe in ſich zuſehen und über ſich ſelbſt lachen
könne; dann fährt er fort: „der Klügere lacht freilich über den minder
Klugen, aber beides iſt der Menſch ſelbſt.“

§. 182.

Da aber das Komiſche ein Verhältnißbegriff iſt wie das Erhabene, ſo
bildet ſich, wie bei allen Formen des Letzteren bis zu der des Tragiſchen, eine
aufſteigende Reihe, worin über dem Subjecte, welches unbewußt komiſch iſt,
ein höheres ſteht, welchem das erſtere und welches ſich ſelbſt komiſch erſcheint,
das aber ſammt dieſem freien Bewußtſeyn einem geiſtig noch freieren durch einen
nicht überwundenen Reſt von Beſinnungsloſigkeit ſelbſt wieder Gegenſtand des
Lachens iſt. Dasjenige Subject, das einer ſolchen Reihe zuſieht, muß ſich
ſelbſt als das freieſte an der Spitze jener Subjecte vorkommen; aber da ihrem
Begriffe nach die Reihe mit ſtets verdoppelter Tiefe der Komik weiter ſteigt,
ſo tritt dieſes Subject, nämlich der Zuſchauer, ſelbſt auf die Seite der Zu-
ſchauer, denen er vorher zuſchaute, und wird Gegenſtand einer möglichen noch
reineren Freiheit der Subjectivität in einem andern Subjecte.

Der Hanswurſt benützt Straßenjungen als Gegenſtände des Lachens
für das Publikum. Unter dieſen mag ſelbſt ſchon einer oder der andere
ſeyn, der mitlachend in die Komik, durch die er leidet, frei eingeht.
Bauern lachen über das Spiel, das der Hanswurſt mit den Jungen
treibt. Ein Pedant lacht über das Lachen der Bauern. Ein wirklich
Gebildeter lacht über dies Lachen über das Lachen. Alle dieſe lachen
zuſammen und über dem Letzten iſt noch ein Gebildeterer denkbar, der
über deſſen Vergnügen lacht, da es doch höhere Stoffe des Lachens
gebe u. ſ. w. u. ſ. w. Eine herrliche Skala iſt in Heinrich IV: über

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[398/0412] mithin die Thätigkeit, die ihren Gegenſtand ganz durchdringt und gegen- theils ganz von ihm durchdrungen iſt.“ Und ſo wird das Komiſche beſtimmt als „die Beſinnung des Geiſtes in ſeiner unwahren Geſtalt auf ſeine wahre, welche Wiedergewinn der Perſönlichkeit iſt.“ Wir haben (zu §. 176 und 177 Anm. 2) ſchon ausgeſprochen, daß wir mit dieſem Ergebniß nicht ganz und ſchließlich übereinſtimmen: davon noch mehr; aber das Aufblitzen der Einen Subjectivität aus zweien iſt jedenfalls tief und geiſtreich aufgewieſen. Uebrigens war ſchon St. Schütze auf der Spur der Entdeckung, nur verfolgte er ſie nicht. Er ſagt (a. a. O. S. 101), daß der Menſch in dem Grade, als er einer Reflexion über ſich fähig ſey, ſehr wohl dem Kampfe in ſich zuſehen und über ſich ſelbſt lachen könne; dann fährt er fort: „der Klügere lacht freilich über den minder Klugen, aber beides iſt der Menſch ſelbſt.“ §. 182. Da aber das Komiſche ein Verhältnißbegriff iſt wie das Erhabene, ſo bildet ſich, wie bei allen Formen des Letzteren bis zu der des Tragiſchen, eine aufſteigende Reihe, worin über dem Subjecte, welches unbewußt komiſch iſt, ein höheres ſteht, welchem das erſtere und welches ſich ſelbſt komiſch erſcheint, das aber ſammt dieſem freien Bewußtſeyn einem geiſtig noch freieren durch einen nicht überwundenen Reſt von Beſinnungsloſigkeit ſelbſt wieder Gegenſtand des Lachens iſt. Dasjenige Subject, das einer ſolchen Reihe zuſieht, muß ſich ſelbſt als das freieſte an der Spitze jener Subjecte vorkommen; aber da ihrem Begriffe nach die Reihe mit ſtets verdoppelter Tiefe der Komik weiter ſteigt, ſo tritt dieſes Subject, nämlich der Zuſchauer, ſelbſt auf die Seite der Zu- ſchauer, denen er vorher zuſchaute, und wird Gegenſtand einer möglichen noch reineren Freiheit der Subjectivität in einem andern Subjecte. Der Hanswurſt benützt Straßenjungen als Gegenſtände des Lachens für das Publikum. Unter dieſen mag ſelbſt ſchon einer oder der andere ſeyn, der mitlachend in die Komik, durch die er leidet, frei eingeht. Bauern lachen über das Spiel, das der Hanswurſt mit den Jungen treibt. Ein Pedant lacht über das Lachen der Bauern. Ein wirklich Gebildeter lacht über dies Lachen über das Lachen. Alle dieſe lachen zuſammen und über dem Letzten iſt noch ein Gebildeterer denkbar, der über deſſen Vergnügen lacht, da es doch höhere Stoffe des Lachens gebe u. ſ. w. u. ſ. w. Eine herrliche Skala iſt in Heinrich IV: über

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/412>, abgerufen am 19.03.2024.