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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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Handlung in ihrem Mißlingen darzustellen, sondern er verfolgt die Un-
klugheit tiefer, zeigt das falsche Berechnen und Rechnen u. s. w. auf;
die Intelligenz belauscht er in ihren geheimen, feinen Täuschungen, in
der moralischen Welt geht er der Leidenschaft in ihre inneren Widersprüche
nach, die Liebe z. B. läßt zwar auch er in Trübung übergehen durch
störende Sinnlichkeit, diese selbst aber behandelt er wieder wie einen Irr-
thum der Reflexion und noch lieber deutet er nur ein Mitunterspielen
der sinnlichen Regungen im Innern an; dem Geizigen läßt er nicht unter
Prügeln sein Geld nehmen, sondern er zeigt den reinen Widerspruch im
Geize selbst auf und in das Gebiet der Laster führt er überhaupt das der Klug-
heit so herein, daß es als eine Welt der verwickelten, dem Genusse dienenden,
aber sich selbst aufhebenden Intrike erscheint. Spitzt sich die Intrike zum
Bösen zu, so lauert er diesem auf, wo sich in der Verschmitztheit seine Dumm-
heit zeige; dem guten Willen weiß er alle kleinen Eigenheiten, Liebhabereien,
Neben-Motive aufzuweisen, durch die er sich heimlich untreu wird; die
Religion verfolgt er nicht nur in die groben Mißbräuche der Kirche,
sondern die Verstandes-Widersprüche der Dogmen, die feine Heuchelei
und Herrschsucht der Priester, aber auch alles Kleine deckt er auf, was
sich in die wahre Andacht mischt. Das öffentliche Leben öffnet ihm seine
Weite, aber auch hier tritt er hinter die Coulissen, spürt den Heimlich-
keiten nach, welche die Posse mit ihren schweren Fingern nicht findet:
dem Spiel der Einflüsse, der Hofränke, der Weiber, der verborgenen
Liebschaften u. s. w. hinter den großen und objectiven Kräften, die die
Welt bewegen. -- Nachdem dies gezeigt ist, so ist es nicht mehr nöthig,
von dem Gegengliede ausdrücklich zu sprechen, wie in der Darstellung
des objectiv Komischen; die Art, wie es sich bestimmt durch die Ver-
folgung der Dinge in ihr Inneres, ist mit dieser bereits ausgesprochen.
Es kommt jetzt Alles darauf an, erst das Verfahren des Witzes kennen
zu lernen, wo sich über das Gegenglied, das er in Thätigkeit setzt,
etwas ganz Neues entdecken wird.

§. 193.

1

Da nun der Widerspruch im Gegenstand aus dem Gebiete der Anschauung
in's Innere verlegt ist, so muß die das Komische erzeugende Subjectivität
ihren Stoff überhaupt in ein innerlich Vorgestelltes und Gedachtes verwandeln
und daher kann sie ihn nicht einfach als objectiven Vorgang zeigen, sondern
muß ihn auch in der Form des für das Innere Ermittelten aussprechen. Sie

Handlung in ihrem Mißlingen darzuſtellen, ſondern er verfolgt die Un-
klugheit tiefer, zeigt das falſche Berechnen und Rechnen u. ſ. w. auf;
die Intelligenz belauſcht er in ihren geheimen, feinen Täuſchungen, in
der moraliſchen Welt geht er der Leidenſchaft in ihre inneren Widerſprüche
nach, die Liebe z. B. läßt zwar auch er in Trübung übergehen durch
ſtörende Sinnlichkeit, dieſe ſelbſt aber behandelt er wieder wie einen Irr-
thum der Reflexion und noch lieber deutet er nur ein Mitunterſpielen
der ſinnlichen Regungen im Innern an; dem Geizigen läßt er nicht unter
Prügeln ſein Geld nehmen, ſondern er zeigt den reinen Widerſpruch im
Geize ſelbſt auf und in das Gebiet der Laſter führt er überhaupt das der Klug-
heit ſo herein, daß es als eine Welt der verwickelten, dem Genuſſe dienenden,
aber ſich ſelbſt aufhebenden Intrike erſcheint. Spitzt ſich die Intrike zum
Böſen zu, ſo lauert er dieſem auf, wo ſich in der Verſchmitztheit ſeine Dumm-
heit zeige; dem guten Willen weiß er alle kleinen Eigenheiten, Liebhabereien,
Neben-Motive aufzuweiſen, durch die er ſich heimlich untreu wird; die
Religion verfolgt er nicht nur in die groben Mißbräuche der Kirche,
ſondern die Verſtandes-Widerſprüche der Dogmen, die feine Heuchelei
und Herrſchſucht der Prieſter, aber auch alles Kleine deckt er auf, was
ſich in die wahre Andacht miſcht. Das öffentliche Leben öffnet ihm ſeine
Weite, aber auch hier tritt er hinter die Couliſſen, ſpürt den Heimlich-
keiten nach, welche die Poſſe mit ihren ſchweren Fingern nicht findet:
dem Spiel der Einflüſſe, der Hofränke, der Weiber, der verborgenen
Liebſchaften u. ſ. w. hinter den großen und objectiven Kräften, die die
Welt bewegen. — Nachdem dies gezeigt iſt, ſo iſt es nicht mehr nöthig,
von dem Gegengliede ausdrücklich zu ſprechen, wie in der Darſtellung
des objectiv Komiſchen; die Art, wie es ſich beſtimmt durch die Ver-
folgung der Dinge in ihr Inneres, iſt mit dieſer bereits ausgeſprochen.
Es kommt jetzt Alles darauf an, erſt das Verfahren des Witzes kennen
zu lernen, wo ſich über das Gegenglied, das er in Thätigkeit ſetzt,
etwas ganz Neues entdecken wird.

§. 193.

1

Da nun der Widerſpruch im Gegenſtand aus dem Gebiete der Anſchauung
in’s Innere verlegt iſt, ſo muß die das Komiſche erzeugende Subjectivität
ihren Stoff überhaupt in ein innerlich Vorgeſtelltes und Gedachtes verwandeln
und daher kann ſie ihn nicht einfach als objectiven Vorgang zeigen, ſondern
muß ihn auch in der Form des für das Innere Ermittelten ausſprechen. Sie

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[418/0432] Handlung in ihrem Mißlingen darzuſtellen, ſondern er verfolgt die Un- klugheit tiefer, zeigt das falſche Berechnen und Rechnen u. ſ. w. auf; die Intelligenz belauſcht er in ihren geheimen, feinen Täuſchungen, in der moraliſchen Welt geht er der Leidenſchaft in ihre inneren Widerſprüche nach, die Liebe z. B. läßt zwar auch er in Trübung übergehen durch ſtörende Sinnlichkeit, dieſe ſelbſt aber behandelt er wieder wie einen Irr- thum der Reflexion und noch lieber deutet er nur ein Mitunterſpielen der ſinnlichen Regungen im Innern an; dem Geizigen läßt er nicht unter Prügeln ſein Geld nehmen, ſondern er zeigt den reinen Widerſpruch im Geize ſelbſt auf und in das Gebiet der Laſter führt er überhaupt das der Klug- heit ſo herein, daß es als eine Welt der verwickelten, dem Genuſſe dienenden, aber ſich ſelbſt aufhebenden Intrike erſcheint. Spitzt ſich die Intrike zum Böſen zu, ſo lauert er dieſem auf, wo ſich in der Verſchmitztheit ſeine Dumm- heit zeige; dem guten Willen weiß er alle kleinen Eigenheiten, Liebhabereien, Neben-Motive aufzuweiſen, durch die er ſich heimlich untreu wird; die Religion verfolgt er nicht nur in die groben Mißbräuche der Kirche, ſondern die Verſtandes-Widerſprüche der Dogmen, die feine Heuchelei und Herrſchſucht der Prieſter, aber auch alles Kleine deckt er auf, was ſich in die wahre Andacht miſcht. Das öffentliche Leben öffnet ihm ſeine Weite, aber auch hier tritt er hinter die Couliſſen, ſpürt den Heimlich- keiten nach, welche die Poſſe mit ihren ſchweren Fingern nicht findet: dem Spiel der Einflüſſe, der Hofränke, der Weiber, der verborgenen Liebſchaften u. ſ. w. hinter den großen und objectiven Kräften, die die Welt bewegen. — Nachdem dies gezeigt iſt, ſo iſt es nicht mehr nöthig, von dem Gegengliede ausdrücklich zu ſprechen, wie in der Darſtellung des objectiv Komiſchen; die Art, wie es ſich beſtimmt durch die Ver- folgung der Dinge in ihr Inneres, iſt mit dieſer bereits ausgeſprochen. Es kommt jetzt Alles darauf an, erſt das Verfahren des Witzes kennen zu lernen, wo ſich über das Gegenglied, das er in Thätigkeit ſetzt, etwas ganz Neues entdecken wird. §. 193. Da nun der Widerſpruch im Gegenſtand aus dem Gebiete der Anſchauung in’s Innere verlegt iſt, ſo muß die das Komiſche erzeugende Subjectivität ihren Stoff überhaupt in ein innerlich Vorgeſtelltes und Gedachtes verwandeln und daher kann ſie ihn nicht einfach als objectiven Vorgang zeigen, ſondern muß ihn auch in der Form des für das Innere Ermittelten ausſprechen. Sie

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/432>, abgerufen am 19.03.2024.