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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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§. 229.

Diese Versöhnung ist aber selbst wieder mangelhaft, Unrecht gegen Un-
recht. Im Erhabenen war die reine Einheit des Schönen aufgehoben durch die
Negation des Bildes, im Komischen ist sie es durch die Negation der Idee,
welche im Schönen nicht unter der Bedingung eines Bruchs durch die Häßlich-
keit, sondern bruchlos ihr Bild erfüllen soll. Daher kann auch das Komische
nicht der Abschluß seyn, worin diese Bewegung sich beruhigt. Die Subjectivität,
die sich als allen Gehalt weiß, muß daher, um der Idee ihr Recht zurückzu-
geben, sie wieder als objective Macht aus sich entlassen; sobald sie aber wieder
als solche auftritt, wird sie erhaben und verfällt durch diese Negation abermals
dem Komischen. Dieses kann sich also nicht weiter bewegen, sondern nur zurück
in das, durch welches als seinen Gegensatz es ist, was es ist, um wieder bei
sich anzukommen.

Wie im Komischen das Subject sich selbst als allen Gehalt weiß,
zeigte sich zuletzt am Vollsten im Humor und zwar insbesondere in der
höchsten, totalsten Gestalt desselben. Dieser geht wesentlich vom tragi-
schen Bewußtseyn aus, um auch von diesem sich durch den reinsten
Scherz zu befreien. Diese ganze Form der Befreiung ist nun aber
selbst ebenfalls mangelhaft. Ist das komische Subject des Gehaltes voll,
so soll es ihm auch darin sein Recht geben, daß es ihn verwirklicht,
es soll zeigen, daß es die Idee als objective Macht nur darum auflöst,
weil es selbst ihr Gefäß ist, das sie auch wieder entläßt und in die
Wirklichkeit ausgießt. Wirklich kann ja auch die Sehnsucht des großen
Humoristen nur die seyn, daß sich das sittliche Leben in reiner Gestalt
aus seinem Verfall herstelle; er bereitet ihm den Boden durch sein Ni-
velliren, er macht das Höckerige eben. Sobald aber diese neue Gestalt
da seyn wird, wird sie, wie sehr sie Werk und Leben der Freiheit seyn
mag, als Macht, als Autorität und daher ebensosehr als Zwang, wie
als eigene That, gegen das endliche, einzelne Subject auftreten. Das
Erhabene ist also wieder da und das Komische, der Humor besonders,
beginnt sein Werk auf's Neue. Dies scheint Berufung auf einen rein
ethischen Prozeß; allein es ist ja so gemeint, daß der Humor das Er-
habene als objective Macht nicht aus stoffartigen Gründen anficht, son-
dern weil in ihm die Schönheit, die anschauliche Lebendigkeit der sub-
jectiven Kräfte beeinträchtigt ist, daß er es aber wiederherstellt, weil

§. 229.

Dieſe Verſöhnung iſt aber ſelbſt wieder mangelhaft, Unrecht gegen Un-
recht. Im Erhabenen war die reine Einheit des Schönen aufgehoben durch die
Negation des Bildes, im Komiſchen iſt ſie es durch die Negation der Idee,
welche im Schönen nicht unter der Bedingung eines Bruchs durch die Häßlich-
keit, ſondern bruchlos ihr Bild erfüllen ſoll. Daher kann auch das Komiſche
nicht der Abſchluß ſeyn, worin dieſe Bewegung ſich beruhigt. Die Subjectivität,
die ſich als allen Gehalt weiß, muß daher, um der Idee ihr Recht zurückzu-
geben, ſie wieder als objective Macht aus ſich entlaſſen; ſobald ſie aber wieder
als ſolche auftritt, wird ſie erhaben und verfällt durch dieſe Negation abermals
dem Komiſchen. Dieſes kann ſich alſo nicht weiter bewegen, ſondern nur zurück
in das, durch welches als ſeinen Gegenſatz es iſt, was es iſt, um wieder bei
ſich anzukommen.

Wie im Komiſchen das Subject ſich ſelbſt als allen Gehalt weiß,
zeigte ſich zuletzt am Vollſten im Humor und zwar insbeſondere in der
höchſten, totalſten Geſtalt deſſelben. Dieſer geht weſentlich vom tragi-
ſchen Bewußtſeyn aus, um auch von dieſem ſich durch den reinſten
Scherz zu befreien. Dieſe ganze Form der Befreiung iſt nun aber
ſelbſt ebenfalls mangelhaft. Iſt das komiſche Subject des Gehaltes voll,
ſo ſoll es ihm auch darin ſein Recht geben, daß es ihn verwirklicht,
es ſoll zeigen, daß es die Idee als objective Macht nur darum auflöst,
weil es ſelbſt ihr Gefäß iſt, das ſie auch wieder entläßt und in die
Wirklichkeit ausgießt. Wirklich kann ja auch die Sehnſucht des großen
Humoriſten nur die ſeyn, daß ſich das ſittliche Leben in reiner Geſtalt
aus ſeinem Verfall herſtelle; er bereitet ihm den Boden durch ſein Ni-
velliren, er macht das Höckerige eben. Sobald aber dieſe neue Geſtalt
da ſeyn wird, wird ſie, wie ſehr ſie Werk und Leben der Freiheit ſeyn
mag, als Macht, als Autorität und daher ebenſoſehr als Zwang, wie
als eigene That, gegen das endliche, einzelne Subject auftreten. Das
Erhabene iſt alſo wieder da und das Komiſche, der Humor beſonders,
beginnt ſein Werk auf’s Neue. Dies ſcheint Berufung auf einen rein
ethiſchen Prozeß; allein es iſt ja ſo gemeint, daß der Humor das Er-
habene als objective Macht nicht aus ſtoffartigen Gründen anficht, ſon-
dern weil in ihm die Schönheit, die anſchauliche Lebendigkeit der ſub-
jectiven Kräfte beeinträchtigt iſt, daß er es aber wiederherſtellt, weil

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[482/0496] §. 229. Dieſe Verſöhnung iſt aber ſelbſt wieder mangelhaft, Unrecht gegen Un- recht. Im Erhabenen war die reine Einheit des Schönen aufgehoben durch die Negation des Bildes, im Komiſchen iſt ſie es durch die Negation der Idee, welche im Schönen nicht unter der Bedingung eines Bruchs durch die Häßlich- keit, ſondern bruchlos ihr Bild erfüllen ſoll. Daher kann auch das Komiſche nicht der Abſchluß ſeyn, worin dieſe Bewegung ſich beruhigt. Die Subjectivität, die ſich als allen Gehalt weiß, muß daher, um der Idee ihr Recht zurückzu- geben, ſie wieder als objective Macht aus ſich entlaſſen; ſobald ſie aber wieder als ſolche auftritt, wird ſie erhaben und verfällt durch dieſe Negation abermals dem Komiſchen. Dieſes kann ſich alſo nicht weiter bewegen, ſondern nur zurück in das, durch welches als ſeinen Gegenſatz es iſt, was es iſt, um wieder bei ſich anzukommen. Wie im Komiſchen das Subject ſich ſelbſt als allen Gehalt weiß, zeigte ſich zuletzt am Vollſten im Humor und zwar insbeſondere in der höchſten, totalſten Geſtalt deſſelben. Dieſer geht weſentlich vom tragi- ſchen Bewußtſeyn aus, um auch von dieſem ſich durch den reinſten Scherz zu befreien. Dieſe ganze Form der Befreiung iſt nun aber ſelbſt ebenfalls mangelhaft. Iſt das komiſche Subject des Gehaltes voll, ſo ſoll es ihm auch darin ſein Recht geben, daß es ihn verwirklicht, es ſoll zeigen, daß es die Idee als objective Macht nur darum auflöst, weil es ſelbſt ihr Gefäß iſt, das ſie auch wieder entläßt und in die Wirklichkeit ausgießt. Wirklich kann ja auch die Sehnſucht des großen Humoriſten nur die ſeyn, daß ſich das ſittliche Leben in reiner Geſtalt aus ſeinem Verfall herſtelle; er bereitet ihm den Boden durch ſein Ni- velliren, er macht das Höckerige eben. Sobald aber dieſe neue Geſtalt da ſeyn wird, wird ſie, wie ſehr ſie Werk und Leben der Freiheit ſeyn mag, als Macht, als Autorität und daher ebenſoſehr als Zwang, wie als eigene That, gegen das endliche, einzelne Subject auftreten. Das Erhabene iſt alſo wieder da und das Komiſche, der Humor beſonders, beginnt ſein Werk auf’s Neue. Dies ſcheint Berufung auf einen rein ethiſchen Prozeß; allein es iſt ja ſo gemeint, daß der Humor das Er- habene als objective Macht nicht aus ſtoffartigen Gründen anficht, ſon- dern weil in ihm die Schönheit, die anſchauliche Lebendigkeit der ſub- jectiven Kräfte beeinträchtigt iſt, daß er es aber wiederherſtellt, weil

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/496>, abgerufen am 19.03.2024.