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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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mit der Idee, welche im Komischen dem Bilde zu Theil wird, durch
Gegensatz und Häßlichkeit bedingt, die Schranke und Zufälligkeit überall
in einem Grade freigelassen, der zwischen dem Komischen und Schönen
eine feste Scheidewand zieht, welche nur in dem Augenblicke fällt, wo
das Komische sammt dem Erhabenen, das es unmittelbar allein zu
seiner Ergänzung fordert, wieder erlischt. In der wirklichen Kunst
wird daher die bruchlose Schönheit Niemand schwerer werden, als dem
Komiker, sowie die Komik Niemand schwerer, als dem Künstler des ein-
fach Schönen. Was das Letztere betrifft, so erinnere man sich nur,
wie diejenige Kunst, welche am strengsten im Elemente der einfachen
Schönheit steht, die Plastik, auch das Komische am meisten meidet.
Natürlich, denn zwischen dem einfach Schönen und dem Komischen steht
trennend als breites Gebiet das Erhabene. Erhabenes aber zu bilden
wird dem Komiker ungleich näher liegen, denn hier ist Negation, Ueber-
maß und Unruhe, wie in seinem heimischen Elemente.

§. 230.

Da nun das Erhabene und Komische zwei Einseitigkeiten sind, welche
sich fordern und bedingen und deren keine sich anderswohin bewegen kann, als
in die andere, so entsteht die Forderung, daß beide vereinigt sich weiter be-
wegen. Diese Bewegung kann aber keine andere seyn, als zurück in das ein-
fach Schöne, oder richtiger: die Bewegung hat nun ihr Ende erreicht und es
tritt der Satz in seine Geltung, daß eine doppelte Verneinung bejaht. Jedes
der beiden Momente im Schönen ist durch Negation des andern zu seinem
Rechte gekommen und indem jedes sein Recht eben durch diese Negation des
andern zum Unrecht kehrte, wodurch es wieder in seinen Gegensatz hinüberge-
trieben wurde, so erlischt der Streit in der ursprünglichen Einheit, die nun
in der That als das Bewegende sich ergibt, welches, in jedem der Entgegen-
gesetzten thätig, es zu dem andern hinübernöthigte.

Diese Bewegung des Begriffs ist so klar, daß sie eher als eine
einleuchtende Bewährung des von Hegel entdeckten und im ganzen
bisherigen Verlaufe unseres Systems durchgeführten dialektischen Gesetzes
hingestellt werden, als eine Begründung des letztern zu ihrer Rechtfer-
tigung erfordern kann. Jede der widerstreitenden Formen führt auf die
andere, weil sie nicht das ganze Schöne ist; dieses ist also die Seele

mit der Idee, welche im Komiſchen dem Bilde zu Theil wird, durch
Gegenſatz und Häßlichkeit bedingt, die Schranke und Zufälligkeit überall
in einem Grade freigelaſſen, der zwiſchen dem Komiſchen und Schönen
eine feſte Scheidewand zieht, welche nur in dem Augenblicke fällt, wo
das Komiſche ſammt dem Erhabenen, das es unmittelbar allein zu
ſeiner Ergänzung fordert, wieder erliſcht. In der wirklichen Kunſt
wird daher die bruchloſe Schönheit Niemand ſchwerer werden, als dem
Komiker, ſowie die Komik Niemand ſchwerer, als dem Künſtler des ein-
fach Schönen. Was das Letztere betrifft, ſo erinnere man ſich nur,
wie diejenige Kunſt, welche am ſtrengſten im Elemente der einfachen
Schönheit ſteht, die Plaſtik, auch das Komiſche am meiſten meidet.
Natürlich, denn zwiſchen dem einfach Schönen und dem Komiſchen ſteht
trennend als breites Gebiet das Erhabene. Erhabenes aber zu bilden
wird dem Komiker ungleich näher liegen, denn hier iſt Negation, Ueber-
maß und Unruhe, wie in ſeinem heimiſchen Elemente.

§. 230.

Da nun das Erhabene und Komiſche zwei Einſeitigkeiten ſind, welche
ſich fordern und bedingen und deren keine ſich anderswohin bewegen kann, als
in die andere, ſo entſteht die Forderung, daß beide vereinigt ſich weiter be-
wegen. Dieſe Bewegung kann aber keine andere ſeyn, als zurück in das ein-
fach Schöne, oder richtiger: die Bewegung hat nun ihr Ende erreicht und es
tritt der Satz in ſeine Geltung, daß eine doppelte Verneinung bejaht. Jedes
der beiden Momente im Schönen iſt durch Negation des andern zu ſeinem
Rechte gekommen und indem jedes ſein Recht eben durch dieſe Negation des
andern zum Unrecht kehrte, wodurch es wieder in ſeinen Gegenſatz hinüberge-
trieben wurde, ſo erliſcht der Streit in der urſprünglichen Einheit, die nun
in der That als das Bewegende ſich ergibt, welches, in jedem der Entgegen-
geſetzten thätig, es zu dem andern hinübernöthigte.

Dieſe Bewegung des Begriffs iſt ſo klar, daß ſie eher als eine
einleuchtende Bewährung des von Hegel entdeckten und im ganzen
bisherigen Verlaufe unſeres Syſtems durchgeführten dialektiſchen Geſetzes
hingeſtellt werden, als eine Begründung des letztern zu ihrer Rechtfer-
tigung erfordern kann. Jede der widerſtreitenden Formen führt auf die
andere, weil ſie nicht das ganze Schöne iſt; dieſes iſt alſo die Seele

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[485/0499] mit der Idee, welche im Komiſchen dem Bilde zu Theil wird, durch Gegenſatz und Häßlichkeit bedingt, die Schranke und Zufälligkeit überall in einem Grade freigelaſſen, der zwiſchen dem Komiſchen und Schönen eine feſte Scheidewand zieht, welche nur in dem Augenblicke fällt, wo das Komiſche ſammt dem Erhabenen, das es unmittelbar allein zu ſeiner Ergänzung fordert, wieder erliſcht. In der wirklichen Kunſt wird daher die bruchloſe Schönheit Niemand ſchwerer werden, als dem Komiker, ſowie die Komik Niemand ſchwerer, als dem Künſtler des ein- fach Schönen. Was das Letztere betrifft, ſo erinnere man ſich nur, wie diejenige Kunſt, welche am ſtrengſten im Elemente der einfachen Schönheit ſteht, die Plaſtik, auch das Komiſche am meiſten meidet. Natürlich, denn zwiſchen dem einfach Schönen und dem Komiſchen ſteht trennend als breites Gebiet das Erhabene. Erhabenes aber zu bilden wird dem Komiker ungleich näher liegen, denn hier iſt Negation, Ueber- maß und Unruhe, wie in ſeinem heimiſchen Elemente. §. 230. Da nun das Erhabene und Komiſche zwei Einſeitigkeiten ſind, welche ſich fordern und bedingen und deren keine ſich anderswohin bewegen kann, als in die andere, ſo entſteht die Forderung, daß beide vereinigt ſich weiter be- wegen. Dieſe Bewegung kann aber keine andere ſeyn, als zurück in das ein- fach Schöne, oder richtiger: die Bewegung hat nun ihr Ende erreicht und es tritt der Satz in ſeine Geltung, daß eine doppelte Verneinung bejaht. Jedes der beiden Momente im Schönen iſt durch Negation des andern zu ſeinem Rechte gekommen und indem jedes ſein Recht eben durch dieſe Negation des andern zum Unrecht kehrte, wodurch es wieder in ſeinen Gegenſatz hinüberge- trieben wurde, ſo erliſcht der Streit in der urſprünglichen Einheit, die nun in der That als das Bewegende ſich ergibt, welches, in jedem der Entgegen- geſetzten thätig, es zu dem andern hinübernöthigte. Dieſe Bewegung des Begriffs iſt ſo klar, daß ſie eher als eine einleuchtende Bewährung des von Hegel entdeckten und im ganzen bisherigen Verlaufe unſeres Syſtems durchgeführten dialektiſchen Geſetzes hingeſtellt werden, als eine Begründung des letztern zu ihrer Rechtfer- tigung erfordern kann. Jede der widerſtreitenden Formen führt auf die andere, weil ſie nicht das ganze Schöne iſt; dieſes iſt alſo die Seele

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/499>, abgerufen am 28.03.2024.