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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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sophie auf. Zur Rechtfertigung dieser Ordnung beschränkt sich die Einleitung
auf die allgemeine Bemerkung, daß auch der absolute Geist die Theilung in
Subject und Object wiederholt, aber so, daß das Object das eigene, selbst-
erzeugte Gegenbild des vom absoluten Gehalte durchdrungenen Subjects ist.
Die Rangordnung der Stufen nun hängt davon ab, ob das Gegenbild dem
Subjecte und seinem absoluten Gehalte vollkommen adäquat ist und ob dieses
sich mit Freiheit als Urheber desselben in ihm wiedererkennt. In der Religion,
der stoffartigen Urform des absoluten Geistes, bleiben diese beiden Bedingungen
unerfüllt, indem sie mit ihrem sinnlichen bestimmten Gegenbilde in unfreier
Verwechslung sich zu einer dunkeln Einheit verschlingt; im Schönen ist das
Gegenbild ebenfalls noch sinnlich bestimmt, aber es genügt der zweiten Be-
dingung, indem das Subject ihm als dem seinigen frei gegenübertritt; die Phi-
losophie aber genügt beiden: das Gegenbild ist Geist, wie die Subjectivität,
die es durch die reine und freie Thätigkeit des Denkens erzeugt und in
ihm ganz bei sich bleibt.

Von Hegel weicht diese Eintheilung darin ab, daß er die Religion
als die zweite Form aufführt. Chr. H. Weiße (System der Aesthetik
als Wissenschaft von der Idee der Schönheit 1830) hat die Ordnung
Hegels ganz umgedreht und beginnt mit der Idee der Wahrheit (Philo-
sophie), setzt die Idee der Schönheit in die Mitte und die dritte,
höchste Stelle, weist er, -- nicht sowohl der Religion (denn er will
das blos Phänomenologische aus ihrer Auffassung verbannen), -- als
vielmehr der Theologie ("Idee der Güte") an. Dagegen stellt Wirth
in der Sphäre, worin er Religion, Kunst und Philosophie (Metaphysik,
wie er es nennt) vereinigt, die Religion ebenfalls als die erste und
unmittelbarste Gestalt auf, die Philosophie sonderbarer Weise in die
Mitte und die Kunst als die höchste Form. Daß er als die gemein-
same Sphäre derselben nicht den absoluten Geist, sondern den seines
absoluten Wesens sich zwar bewußten, aber dieß Selbstbewußtseyn noch
nicht verwirklichenden Geist annimmt, daher über diese ganze Sphäre
die Ethik stellt, davon kann hier abgesehen werden.

Zunächst scheint nichts einleuchtender, als der Grund, warum
Hegel die Kunst vor die Religion stellt. Die Kunst ist unmittelbar,
d. h. sowohl nach der Seite des Künstlers ein beziehungsweise unbe-
wußtes, mit Natur behaftetes Pathos, als nach der Seite des Kunst-
werks ein sinnliches Hinstellen des absoluten Gehalts in das äußerliche,

ſophie auf. Zur Rechtfertigung dieſer Ordnung beſchränkt ſich die Einleitung
auf die allgemeine Bemerkung, daß auch der abſolute Geiſt die Theilung in
Subject und Object wiederholt, aber ſo, daß das Object das eigene, ſelbſt-
erzeugte Gegenbild des vom abſoluten Gehalte durchdrungenen Subjects iſt.
Die Rangordnung der Stufen nun hängt davon ab, ob das Gegenbild dem
Subjecte und ſeinem abſoluten Gehalte vollkommen adäquat iſt und ob dieſes
ſich mit Freiheit als Urheber deſſelben in ihm wiedererkennt. In der Religion,
der ſtoffartigen Urform des abſoluten Geiſtes, bleiben dieſe beiden Bedingungen
unerfüllt, indem ſie mit ihrem ſinnlichen beſtimmten Gegenbilde in unfreier
Verwechslung ſich zu einer dunkeln Einheit verſchlingt; im Schönen iſt das
Gegenbild ebenfalls noch ſinnlich beſtimmt, aber es genügt der zweiten Be-
dingung, indem das Subject ihm als dem ſeinigen frei gegenübertritt; die Phi-
loſophie aber genügt beiden: das Gegenbild iſt Geiſt, wie die Subjectivität,
die es durch die reine und freie Thätigkeit des Denkens erzeugt und in
ihm ganz bei ſich bleibt.

Von Hegel weicht dieſe Eintheilung darin ab, daß er die Religion
als die zweite Form aufführt. Chr. H. Weiße (Syſtem der Aeſthetik
als Wiſſenſchaft von der Idee der Schönheit 1830) hat die Ordnung
Hegels ganz umgedreht und beginnt mit der Idee der Wahrheit (Philo-
ſophie), ſetzt die Idee der Schönheit in die Mitte und die dritte,
höchſte Stelle, weist er, — nicht ſowohl der Religion (denn er will
das blos Phänomenologiſche aus ihrer Auffaſſung verbannen), — als
vielmehr der Theologie („Idee der Güte“) an. Dagegen ſtellt Wirth
in der Sphäre, worin er Religion, Kunſt und Philoſophie (Metaphyſik,
wie er es nennt) vereinigt, die Religion ebenfalls als die erſte und
unmittelbarſte Geſtalt auf, die Philoſophie ſonderbarer Weiſe in die
Mitte und die Kunſt als die höchſte Form. Daß er als die gemein-
ſame Sphäre derſelben nicht den abſoluten Geiſt, ſondern den ſeines
abſoluten Weſens ſich zwar bewußten, aber dieß Selbſtbewußtſeyn noch
nicht verwirklichenden Geiſt annimmt, daher über dieſe ganze Sphäre
die Ethik ſtellt, davon kann hier abgeſehen werden.

Zunächſt ſcheint nichts einleuchtender, als der Grund, warum
Hegel die Kunſt vor die Religion ſtellt. Die Kunſt iſt unmittelbar,
d. h. ſowohl nach der Seite des Künſtlers ein beziehungsweiſe unbe-
wußtes, mit Natur behaftetes Pathos, als nach der Seite des Kunſt-
werks ein ſinnliches Hinſtellen des abſoluten Gehalts in das äußerliche,

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[22/0036] ſophie auf. Zur Rechtfertigung dieſer Ordnung beſchränkt ſich die Einleitung auf die allgemeine Bemerkung, daß auch der abſolute Geiſt die Theilung in Subject und Object wiederholt, aber ſo, daß das Object das eigene, ſelbſt- erzeugte Gegenbild des vom abſoluten Gehalte durchdrungenen Subjects iſt. Die Rangordnung der Stufen nun hängt davon ab, ob das Gegenbild dem Subjecte und ſeinem abſoluten Gehalte vollkommen adäquat iſt und ob dieſes ſich mit Freiheit als Urheber deſſelben in ihm wiedererkennt. In der Religion, der ſtoffartigen Urform des abſoluten Geiſtes, bleiben dieſe beiden Bedingungen unerfüllt, indem ſie mit ihrem ſinnlichen beſtimmten Gegenbilde in unfreier Verwechslung ſich zu einer dunkeln Einheit verſchlingt; im Schönen iſt das Gegenbild ebenfalls noch ſinnlich beſtimmt, aber es genügt der zweiten Be- dingung, indem das Subject ihm als dem ſeinigen frei gegenübertritt; die Phi- loſophie aber genügt beiden: das Gegenbild iſt Geiſt, wie die Subjectivität, die es durch die reine und freie Thätigkeit des Denkens erzeugt und in ihm ganz bei ſich bleibt. Von Hegel weicht dieſe Eintheilung darin ab, daß er die Religion als die zweite Form aufführt. Chr. H. Weiße (Syſtem der Aeſthetik als Wiſſenſchaft von der Idee der Schönheit 1830) hat die Ordnung Hegels ganz umgedreht und beginnt mit der Idee der Wahrheit (Philo- ſophie), ſetzt die Idee der Schönheit in die Mitte und die dritte, höchſte Stelle, weist er, — nicht ſowohl der Religion (denn er will das blos Phänomenologiſche aus ihrer Auffaſſung verbannen), — als vielmehr der Theologie („Idee der Güte“) an. Dagegen ſtellt Wirth in der Sphäre, worin er Religion, Kunſt und Philoſophie (Metaphyſik, wie er es nennt) vereinigt, die Religion ebenfalls als die erſte und unmittelbarſte Geſtalt auf, die Philoſophie ſonderbarer Weiſe in die Mitte und die Kunſt als die höchſte Form. Daß er als die gemein- ſame Sphäre derſelben nicht den abſoluten Geiſt, ſondern den ſeines abſoluten Weſens ſich zwar bewußten, aber dieß Selbſtbewußtſeyn noch nicht verwirklichenden Geiſt annimmt, daher über dieſe ganze Sphäre die Ethik ſtellt, davon kann hier abgeſehen werden. Zunächſt ſcheint nichts einleuchtender, als der Grund, warum Hegel die Kunſt vor die Religion ſtellt. Die Kunſt iſt unmittelbar, d. h. ſowohl nach der Seite des Künſtlers ein beziehungsweiſe unbe- wußtes, mit Natur behaftetes Pathos, als nach der Seite des Kunſt- werks ein ſinnliches Hinſtellen des abſoluten Gehalts in das äußerliche,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/36>, abgerufen am 18.04.2024.