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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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diese in ihrer Entfeßlung die Idee in ihrer reinen Erscheinung entstellten,
und so fort. Wir befinden uns also durchaus im Schönen, aber noch in
dem allgemeinen Gebiete, wo die Belege aus dem Leben oder aus der
Kunst mit gleichem Rechte aufgenommen werden können, daher berufen
wir uns noch insbesondere auf einen Satz, der von einer bestimmten
Kunstform ausgesprochen ist. Am Schluße des Platonischen Symposion
wird die Behauptung aufgestellt, der wahre Komödiendichter müsse auch
der Tragödiendichter seyn. Der Wink wird hingeworfen und nicht ver-
folgt. Unsere ganze Entwickelung aber zeigt, wie im Erhabenen nicht
nur durch den besondern Theil der tragischen Bewegung, welcher ironisch
zu nennen ist (§. 123. 124), sondern durch die Einseitigkeit der ganzen
Negation nothwendig die Forderung des Uebergangs zum Komischen liegt,
und ebenso in diesem nicht nur wegen des durchgängigen Ausgangs von
einem Erhabenen, das negirt wird, und wegen des bestimmteren tragi-
schen Bewußtseyns im Humor ein Nachklang des Erhabenen, sondern
ebenfalls wegen der Einseitigkeit der ganzen Negation die Forderung
eines Rückgangs zum Erhabenen. Allein ebendeßwegen, weil im Tragi-
schen das Komische schon vorbereitet liegt und dieses auf das Tragische
zurückweist und zurückführt, kann sich der wirkliche Dichter auch auf das
Eine oder Andere beschränken. Es ist der einzige Shakespeare, der
beides umfaßt hat, aber nicht mit gleicher Ausdehnung, denn im Komi-
schen beschränkt er sich auf die Sphäre der Privatleidenschaft, wo-
gegen Aristophanes das große politische Leben mit jenem totalen
Humor umschließt, der freilich das Tragische nicht als besondere Gestalt
ausbildet, sondern nur so, wie es in den Humor als Moment einge-
schlossen ist. Jedenfalls könnte man aber leichter vom tragischen Dichter
fordern, er solle auch Komödiendichter seyn, als umgekehrt, denn er
hat das Komische vor sich, der komische Dichter aber das Tragische,
zwar mit dem Gesetze, daß es sich aus dem Komischen neu erzeuge,
hinter sich, und es liegt näher, daß jener Uebergang von Einem Sub-
jecte vollzogen werde, als dieser Rückgang. In der Lehre von der
Kunst wird sich zeigen, daß die Komödie eine Reife des Geistes ver-
langt, welche von ihrer überschwebenden Heiterkeit schwer in die Härte
der ersten Negation sich zurückwendet, wiewohl die ganze Kunst immer
verlangt, daß auf Komödiendichter wieder Tragödiendichter folgen. In
der neueren Zeit ist es mit der Komödie so schlecht bestellt, als möglich,
weil, als der weiche Humor blühte, der politische Sinn fehlte, seit die-
ser sich ausgebildet, die Freiheit fehlt. Göthe bildete zwar eine Form

dieſe in ihrer Entfeßlung die Idee in ihrer reinen Erſcheinung entſtellten,
und ſo fort. Wir befinden uns alſo durchaus im Schönen, aber noch in
dem allgemeinen Gebiete, wo die Belege aus dem Leben oder aus der
Kunſt mit gleichem Rechte aufgenommen werden können, daher berufen
wir uns noch insbeſondere auf einen Satz, der von einer beſtimmten
Kunſtform ausgeſprochen iſt. Am Schluße des Platoniſchen Sympoſion
wird die Behauptung aufgeſtellt, der wahre Komödiendichter müſſe auch
der Tragödiendichter ſeyn. Der Wink wird hingeworfen und nicht ver-
folgt. Unſere ganze Entwickelung aber zeigt, wie im Erhabenen nicht
nur durch den beſondern Theil der tragiſchen Bewegung, welcher ironiſch
zu nennen iſt (§. 123. 124), ſondern durch die Einſeitigkeit der ganzen
Negation nothwendig die Forderung des Uebergangs zum Komiſchen liegt,
und ebenſo in dieſem nicht nur wegen des durchgängigen Ausgangs von
einem Erhabenen, das negirt wird, und wegen des beſtimmteren tragi-
ſchen Bewußtſeyns im Humor ein Nachklang des Erhabenen, ſondern
ebenfalls wegen der Einſeitigkeit der ganzen Negation die Forderung
eines Rückgangs zum Erhabenen. Allein ebendeßwegen, weil im Tragi-
ſchen das Komiſche ſchon vorbereitet liegt und dieſes auf das Tragiſche
zurückweist und zurückführt, kann ſich der wirkliche Dichter auch auf das
Eine oder Andere beſchränken. Es iſt der einzige Shakespeare, der
beides umfaßt hat, aber nicht mit gleicher Ausdehnung, denn im Komi-
ſchen beſchränkt er ſich auf die Sphäre der Privatleidenſchaft, wo-
gegen Ariſtophanes das große politiſche Leben mit jenem totalen
Humor umſchließt, der freilich das Tragiſche nicht als beſondere Geſtalt
ausbildet, ſondern nur ſo, wie es in den Humor als Moment einge-
ſchloſſen iſt. Jedenfalls könnte man aber leichter vom tragiſchen Dichter
fordern, er ſolle auch Komödiendichter ſeyn, als umgekehrt, denn er
hat das Komiſche vor ſich, der komiſche Dichter aber das Tragiſche,
zwar mit dem Geſetze, daß es ſich aus dem Komiſchen neu erzeuge,
hinter ſich, und es liegt näher, daß jener Uebergang von Einem Sub-
jecte vollzogen werde, als dieſer Rückgang. In der Lehre von der
Kunſt wird ſich zeigen, daß die Komödie eine Reife des Geiſtes ver-
langt, welche von ihrer überſchwebenden Heiterkeit ſchwer in die Härte
der erſten Negation ſich zurückwendet, wiewohl die ganze Kunſt immer
verlangt, daß auf Komödiendichter wieder Tragödiendichter folgen. In
der neueren Zeit iſt es mit der Komödie ſo ſchlecht beſtellt, als möglich,
weil, als der weiche Humor blühte, der politiſche Sinn fehlte, ſeit die-
ſer ſich ausgebildet, die Freiheit fehlt. Göthe bildete zwar eine Form

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[483/0497] dieſe in ihrer Entfeßlung die Idee in ihrer reinen Erſcheinung entſtellten, und ſo fort. Wir befinden uns alſo durchaus im Schönen, aber noch in dem allgemeinen Gebiete, wo die Belege aus dem Leben oder aus der Kunſt mit gleichem Rechte aufgenommen werden können, daher berufen wir uns noch insbeſondere auf einen Satz, der von einer beſtimmten Kunſtform ausgeſprochen iſt. Am Schluße des Platoniſchen Sympoſion wird die Behauptung aufgeſtellt, der wahre Komödiendichter müſſe auch der Tragödiendichter ſeyn. Der Wink wird hingeworfen und nicht ver- folgt. Unſere ganze Entwickelung aber zeigt, wie im Erhabenen nicht nur durch den beſondern Theil der tragiſchen Bewegung, welcher ironiſch zu nennen iſt (§. 123. 124), ſondern durch die Einſeitigkeit der ganzen Negation nothwendig die Forderung des Uebergangs zum Komiſchen liegt, und ebenſo in dieſem nicht nur wegen des durchgängigen Ausgangs von einem Erhabenen, das negirt wird, und wegen des beſtimmteren tragi- ſchen Bewußtſeyns im Humor ein Nachklang des Erhabenen, ſondern ebenfalls wegen der Einſeitigkeit der ganzen Negation die Forderung eines Rückgangs zum Erhabenen. Allein ebendeßwegen, weil im Tragi- ſchen das Komiſche ſchon vorbereitet liegt und dieſes auf das Tragiſche zurückweist und zurückführt, kann ſich der wirkliche Dichter auch auf das Eine oder Andere beſchränken. Es iſt der einzige Shakespeare, der beides umfaßt hat, aber nicht mit gleicher Ausdehnung, denn im Komi- ſchen beſchränkt er ſich auf die Sphäre der Privatleidenſchaft, wo- gegen Ariſtophanes das große politiſche Leben mit jenem totalen Humor umſchließt, der freilich das Tragiſche nicht als beſondere Geſtalt ausbildet, ſondern nur ſo, wie es in den Humor als Moment einge- ſchloſſen iſt. Jedenfalls könnte man aber leichter vom tragiſchen Dichter fordern, er ſolle auch Komödiendichter ſeyn, als umgekehrt, denn er hat das Komiſche vor ſich, der komiſche Dichter aber das Tragiſche, zwar mit dem Geſetze, daß es ſich aus dem Komiſchen neu erzeuge, hinter ſich, und es liegt näher, daß jener Uebergang von Einem Sub- jecte vollzogen werde, als dieſer Rückgang. In der Lehre von der Kunſt wird ſich zeigen, daß die Komödie eine Reife des Geiſtes ver- langt, welche von ihrer überſchwebenden Heiterkeit ſchwer in die Härte der erſten Negation ſich zurückwendet, wiewohl die ganze Kunſt immer verlangt, daß auf Komödiendichter wieder Tragödiendichter folgen. In der neueren Zeit iſt es mit der Komödie ſo ſchlecht beſtellt, als möglich, weil, als der weiche Humor blühte, der politiſche Sinn fehlte, ſeit die- ſer ſich ausgebildet, die Freiheit fehlt. Göthe bildete zwar eine Form

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/497>, abgerufen am 19.04.2024.