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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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gelegt, daß nämlich aus diesen Formen das Ideal sich erzeuge, geht er,
statt in das Ideal überhaupt, auf einmal in eine besondere Form desselben,
in das komische über (S. 218). Dies ist neue Confusion; die Con-
fusion in dieser ganzen Anlage ist aber, wie schon in dem so eben gegen
Weiße Bemerkten ausgesprochen ist, die, daß ja offenbar sowohl das
einfach Schöne, als das Erhabene und Komische in der Wirklichkeit auf-
treten zuerst als ein scheinbar nur vorgefundenes, von selbst daseyendes
Schauspiel, dann aber als Phantasie, d. h. als erst noch innerliches Ideal,
dann als Kunst-Ideal. Meint Weiße, es werde dann, da das Erhabene
und Komische als Mittel schon ausgegeben sind, um zum Ideal zu gelangen,
in diesem keine erhabene und komische Form mehr geben? Und meint
Ruge ebendies, aber zugleich auch ebensosehr, es werde dann nur ein
komisches Ideal geben? Oder meint er, das Komische vor dem Ideal
nehme seinen eigenen Weg, um Ideal zu werden, und das einfach Schöne
und Erhabene solle zusehen, wie sie auch ihren eigenen Weg dahin finden?
Wir werden einen andern Gang gehen: das ganze Schöne soll sich nun
zu einem wirklichen Daseyn erschließen, aber nicht sogleich zum Ideale.
Der Uebergang soll sich uns aus dem Satze bilden, daß der ganz erfüllte
Begriff zur Unmittelbarkeit des Seyns sich erschließt. Wenn ich ein
Allgemeines in allen seinen Momenten begriffen habe, bin ich bei seinem
Daseyn angekommen, es kann nicht nur seyn, es muß seyn, es ist. Von
diesem Satze, zu dessen Begründung die Aesthetik nur auf das in der
Philosophie überhaupt schon Ermittelte sich zu berufen hat, wird der
zweite Theil ausgehen.




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gelegt, daß nämlich aus dieſen Formen das Ideal ſich erzeuge, geht er,
ſtatt in das Ideal überhaupt, auf einmal in eine beſondere Form deſſelben,
in das komiſche über (S. 218). Dies iſt neue Confuſion; die Con-
fuſion in dieſer ganzen Anlage iſt aber, wie ſchon in dem ſo eben gegen
Weiße Bemerkten ausgeſprochen iſt, die, daß ja offenbar ſowohl das
einfach Schöne, als das Erhabene und Komiſche in der Wirklichkeit auf-
treten zuerſt als ein ſcheinbar nur vorgefundenes, von ſelbſt daſeyendes
Schauſpiel, dann aber als Phantaſie, d. h. als erſt noch innerliches Ideal,
dann als Kunſt-Ideal. Meint Weiße, es werde dann, da das Erhabene
und Komiſche als Mittel ſchon ausgegeben ſind, um zum Ideal zu gelangen,
in dieſem keine erhabene und komiſche Form mehr geben? Und meint
Ruge ebendies, aber zugleich auch ebenſoſehr, es werde dann nur ein
komiſches Ideal geben? Oder meint er, das Komiſche vor dem Ideal
nehme ſeinen eigenen Weg, um Ideal zu werden, und das einfach Schöne
und Erhabene ſolle zuſehen, wie ſie auch ihren eigenen Weg dahin finden?
Wir werden einen andern Gang gehen: das ganze Schöne ſoll ſich nun
zu einem wirklichen Daſeyn erſchließen, aber nicht ſogleich zum Ideale.
Der Uebergang ſoll ſich uns aus dem Satze bilden, daß der ganz erfüllte
Begriff zur Unmittelbarkeit des Seyns ſich erſchließt. Wenn ich ein
Allgemeines in allen ſeinen Momenten begriffen habe, bin ich bei ſeinem
Daſeyn angekommen, es kann nicht nur ſeyn, es muß ſeyn, es iſt. Von
dieſem Satze, zu deſſen Begründung die Aeſthetik nur auf das in der
Philoſophie überhaupt ſchon Ermittelte ſich zu berufen hat, wird der
zweite Theil ausgehen.




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[489/0503] gelegt, daß nämlich aus dieſen Formen das Ideal ſich erzeuge, geht er, ſtatt in das Ideal überhaupt, auf einmal in eine beſondere Form deſſelben, in das komiſche über (S. 218). Dies iſt neue Confuſion; die Con- fuſion in dieſer ganzen Anlage iſt aber, wie ſchon in dem ſo eben gegen Weiße Bemerkten ausgeſprochen iſt, die, daß ja offenbar ſowohl das einfach Schöne, als das Erhabene und Komiſche in der Wirklichkeit auf- treten zuerſt als ein ſcheinbar nur vorgefundenes, von ſelbſt daſeyendes Schauſpiel, dann aber als Phantaſie, d. h. als erſt noch innerliches Ideal, dann als Kunſt-Ideal. Meint Weiße, es werde dann, da das Erhabene und Komiſche als Mittel ſchon ausgegeben ſind, um zum Ideal zu gelangen, in dieſem keine erhabene und komiſche Form mehr geben? Und meint Ruge ebendies, aber zugleich auch ebenſoſehr, es werde dann nur ein komiſches Ideal geben? Oder meint er, das Komiſche vor dem Ideal nehme ſeinen eigenen Weg, um Ideal zu werden, und das einfach Schöne und Erhabene ſolle zuſehen, wie ſie auch ihren eigenen Weg dahin finden? Wir werden einen andern Gang gehen: das ganze Schöne ſoll ſich nun zu einem wirklichen Daſeyn erſchließen, aber nicht ſogleich zum Ideale. Der Uebergang ſoll ſich uns aus dem Satze bilden, daß der ganz erfüllte Begriff zur Unmittelbarkeit des Seyns ſich erſchließt. Wenn ich ein Allgemeines in allen ſeinen Momenten begriffen habe, bin ich bei ſeinem Daſeyn angekommen, es kann nicht nur ſeyn, es muß ſeyn, es iſt. Von dieſem Satze, zu deſſen Begründung die Aeſthetik nur auf das in der Philoſophie überhaupt ſchon Ermittelte ſich zu berufen hat, wird der zweite Theil ausgehen. 31*

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/503>, abgerufen am 29.03.2024.