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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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§. 293.

1

Diese vielgegliederte Bildung zieht sich zum trägen schleimigen Klumpen,
zur einschnittlosen Walze zusammen in den Weichthieren und Würmern,
von denen nur die ersteren das Auge durch Form und Farbe ihrer in's Mineral-
2reich zurückweisenden Gehäuse, der Muscheln, erfreuen. Die Zusammenziehung
tritt wieder auseinander in getheilte Gliederung und symmetrische Längsrichtung
durch die meist bepanzerten, vielfüßigen, unheimlich bewaffneten Krustenthiere,
welche den Uebergang zu den eigentlichen Insecten bilden.

1. Wir weichen hier von der gewöhnlichen, durch Cüvier begründeten
Eintheilung ab. Jener setzt die Mollusken über die Insecten oder Ringel-
thiere, zu denen man gewohnt ist mit ihm auch die Würmer zu stellen,
wogegen wir die Mollusken tiefer als die Insecten und mit den Würmern
zusammenstellen, wodurch wir drei Gruppen der wirbellosen Thiere erhalten:
Pflanzenthiere, Mollusken (nebst den Würmern), Ringelthiere oder Krusten-
thiere und eigentliche Insecten. Hiefür haben wir eine naturwissenschaft-
liche Autorität wenigstens in Oken, der aufsteigend nach den Pflanzen-
thieren (Darmthieren) die Mollusken (als Aderthiere) und nach diesen die
Insecten aufführt und diese Stellung dadurch begründet, daß bei diesen
zuerst Luftröhren hervortreten, weßwegen er sie Athemthiere nennt. Uns
scheint schon der Eine Umstand hinreichend, die Stellung der Insecten
über den Mollusken zu begründen, daß sie ungleich höher beseelt sind, als
diese, daß sie an mannigfaltiger Erregtheit des Lebens den Vögeln (wie
die Mollusken an Stumpfheit den Fischen) analog sind. Wie in der
Gruppe der Wirbelthiere das Luftthier höher steht, als das Wasserthier,
so auch in der Gruppe der wirbellosen. Zudem sind die meisten Mollusken
Zwitter, das Geschlecht der Gliederthiere ist getrennt. Nur darin weichen
wir auch von Oken ab, daß wir die Würmer nicht unter die letzteren,
die Gliederthiere oder die Insecten, aufnehmen, sondern auf tieferer Stufe
mit den Weichthieren zusammenstellen, was sich nach unserer Meinung
auch naturwissenschaftlich rechtfertigen ließe, der äußeren Anschauung aber
jedenfalls gewiß näher liegt. Beide erscheinen als einschnittlose, schleimige
Masse, nur daß im Wurme die Längsrichtung wieder eintritt und in seinen
weichen Ringeln das Gliederthier sich vorbereitet, während der Mollusk
"einen Klumpen, eine auf sich zurückgeschlagene Masse" (Lehrb. der Zool.
von Voigt §. 167) darstellt. Diese formlose Masse theilt sich nun aller-
dings zunächst noch einmal in der höchsten Klasse der Mollusken, den
Cephalopoden oder Sepien (Ruderschnecken oder Kracken nach Oken),
deren ausgebildeterer Kopf von acht bis zehn Armen umstellt ist und welche

§. 293.

1

Dieſe vielgegliederte Bildung zieht ſich zum trägen ſchleimigen Klumpen,
zur einſchnittloſen Walze zuſammen in den Weichthieren und Würmern,
von denen nur die erſteren das Auge durch Form und Farbe ihrer in’s Mineral-
2reich zurückweiſenden Gehäuſe, der Muſcheln, erfreuen. Die Zuſammenziehung
tritt wieder auseinander in getheilte Gliederung und ſymmetriſche Längsrichtung
durch die meiſt bepanzerten, vielfüßigen, unheimlich bewaffneten Kruſtenthiere,
welche den Uebergang zu den eigentlichen Inſecten bilden.

1. Wir weichen hier von der gewöhnlichen, durch Cüvier begründeten
Eintheilung ab. Jener ſetzt die Mollusken über die Inſecten oder Ringel-
thiere, zu denen man gewohnt iſt mit ihm auch die Würmer zu ſtellen,
wogegen wir die Mollusken tiefer als die Inſecten und mit den Würmern
zuſammenſtellen, wodurch wir drei Gruppen der wirbelloſen Thiere erhalten:
Pflanzenthiere, Mollusken (nebſt den Würmern), Ringelthiere oder Kruſten-
thiere und eigentliche Inſecten. Hiefür haben wir eine naturwiſſenſchaft-
liche Autorität wenigſtens in Oken, der aufſteigend nach den Pflanzen-
thieren (Darmthieren) die Mollusken (als Aderthiere) und nach dieſen die
Inſecten aufführt und dieſe Stellung dadurch begründet, daß bei dieſen
zuerſt Luftröhren hervortreten, weßwegen er ſie Athemthiere nennt. Uns
ſcheint ſchon der Eine Umſtand hinreichend, die Stellung der Inſecten
über den Mollusken zu begründen, daß ſie ungleich höher beſeelt ſind, als
dieſe, daß ſie an mannigfaltiger Erregtheit des Lebens den Vögeln (wie
die Mollusken an Stumpfheit den Fiſchen) analog ſind. Wie in der
Gruppe der Wirbelthiere das Luftthier höher ſteht, als das Waſſerthier,
ſo auch in der Gruppe der wirbelloſen. Zudem ſind die meiſten Mollusken
Zwitter, das Geſchlecht der Gliederthiere iſt getrennt. Nur darin weichen
wir auch von Oken ab, daß wir die Würmer nicht unter die letzteren,
die Gliederthiere oder die Inſecten, aufnehmen, ſondern auf tieferer Stufe
mit den Weichthieren zuſammenſtellen, was ſich nach unſerer Meinung
auch naturwiſſenſchaftlich rechtfertigen ließe, der äußeren Anſchauung aber
jedenfalls gewiß näher liegt. Beide erſcheinen als einſchnittloſe, ſchleimige
Maſſe, nur daß im Wurme die Längsrichtung wieder eintritt und in ſeinen
weichen Ringeln das Gliederthier ſich vorbereitet, während der Mollusk
„einen Klumpen, eine auf ſich zurückgeſchlagene Maſſe“ (Lehrb. der Zool.
von Voigt §. 167) darſtellt. Dieſe formloſe Maſſe theilt ſich nun aller-
dings zunächſt noch einmal in der höchſten Klaſſe der Mollusken, den
Cephalopoden oder Sepien (Ruderſchnecken oder Kracken nach Oken),
deren ausgebildeterer Kopf von acht bis zehn Armen umſtellt iſt und welche

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[120/0132] §. 293. Dieſe vielgegliederte Bildung zieht ſich zum trägen ſchleimigen Klumpen, zur einſchnittloſen Walze zuſammen in den Weichthieren und Würmern, von denen nur die erſteren das Auge durch Form und Farbe ihrer in’s Mineral- reich zurückweiſenden Gehäuſe, der Muſcheln, erfreuen. Die Zuſammenziehung tritt wieder auseinander in getheilte Gliederung und ſymmetriſche Längsrichtung durch die meiſt bepanzerten, vielfüßigen, unheimlich bewaffneten Kruſtenthiere, welche den Uebergang zu den eigentlichen Inſecten bilden. 1. Wir weichen hier von der gewöhnlichen, durch Cüvier begründeten Eintheilung ab. Jener ſetzt die Mollusken über die Inſecten oder Ringel- thiere, zu denen man gewohnt iſt mit ihm auch die Würmer zu ſtellen, wogegen wir die Mollusken tiefer als die Inſecten und mit den Würmern zuſammenſtellen, wodurch wir drei Gruppen der wirbelloſen Thiere erhalten: Pflanzenthiere, Mollusken (nebſt den Würmern), Ringelthiere oder Kruſten- thiere und eigentliche Inſecten. Hiefür haben wir eine naturwiſſenſchaft- liche Autorität wenigſtens in Oken, der aufſteigend nach den Pflanzen- thieren (Darmthieren) die Mollusken (als Aderthiere) und nach dieſen die Inſecten aufführt und dieſe Stellung dadurch begründet, daß bei dieſen zuerſt Luftröhren hervortreten, weßwegen er ſie Athemthiere nennt. Uns ſcheint ſchon der Eine Umſtand hinreichend, die Stellung der Inſecten über den Mollusken zu begründen, daß ſie ungleich höher beſeelt ſind, als dieſe, daß ſie an mannigfaltiger Erregtheit des Lebens den Vögeln (wie die Mollusken an Stumpfheit den Fiſchen) analog ſind. Wie in der Gruppe der Wirbelthiere das Luftthier höher ſteht, als das Waſſerthier, ſo auch in der Gruppe der wirbelloſen. Zudem ſind die meiſten Mollusken Zwitter, das Geſchlecht der Gliederthiere iſt getrennt. Nur darin weichen wir auch von Oken ab, daß wir die Würmer nicht unter die letzteren, die Gliederthiere oder die Inſecten, aufnehmen, ſondern auf tieferer Stufe mit den Weichthieren zuſammenſtellen, was ſich nach unſerer Meinung auch naturwiſſenſchaftlich rechtfertigen ließe, der äußeren Anſchauung aber jedenfalls gewiß näher liegt. Beide erſcheinen als einſchnittloſe, ſchleimige Maſſe, nur daß im Wurme die Längsrichtung wieder eintritt und in ſeinen weichen Ringeln das Gliederthier ſich vorbereitet, während der Mollusk „einen Klumpen, eine auf ſich zurückgeſchlagene Maſſe“ (Lehrb. der Zool. von Voigt §. 167) darſtellt. Dieſe formloſe Maſſe theilt ſich nun aller- dings zunächſt noch einmal in der höchſten Klaſſe der Mollusken, den Cephalopoden oder Sepien (Ruderſchnecken oder Kracken nach Oken), deren ausgebildeterer Kopf von acht bis zehn Armen umſtellt iſt und welche

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/132>, abgerufen am 29.03.2024.