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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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gesprochen. "Die Aehnlichkeit der Fische mit den Polypen oder Quallen,
überhaupt mit der Gestalt und Consistenz des Darmkanals, ist nicht zu
verkennen in ihrer schleimigen Haut, in ihrem meist ovalen Leibe, an
welchem Kopf, Rumpf und Schwanz gleichförmig ineinander verfloßen sind
und in welchem der Bauch auffallend vorherrscht; ebensowenig in ihren
Floßen und in den vielen Bartfasern, die oft um den Mund stehen."
(Allg. Naturg. B. 4, S. 581). Hier ist nur die Hauptsache nicht aus-
gesprochen, daß nämlich beide schlechtweg Wasserthiere sind. Von den
Amphibien sogleich. "Die Aehnlichkeit der Vögel mit den Insecten ist
schon seit den ältesten Zeiten aufgefallen und bedarf kaum bemerkt zu werden."

§. 298.

Zwischen diese Hauptgegensätze sind Uebergänge gestellt. Die Natur thut
einen Schritt, das Wasserthier an das Land zu setzen, und erzeugt das Weichthier
und Wurmähnliche Amphibium; sie gibt ihn wie einen unglücklichen wieder
auf und schickt den Vogel in die Luft, um hierauf erst im Säugthiere des
Landes jene Absicht wahrhaft zu verwirklichen. Dieses weist aber selbst wieder
Gestalten auf, welche theils dem Fisch und Amphibium, theils dem Vogel
ähnlich sind. Alle diese Uebergänge offenbaren auf höchst merkwürdige Weise
die innere Einheit der ganzen Thierwelt, für den Standpunkt des Schönen aber
sind sie, weil sie Momente niedrigerer Stufen mit dem Typus der eigenen zu
einem Widerspruche verwickeln, durchgängig häßlich.

"Zwischen den Amphibien und den Schnecken besteht eine gleiche
Aehnlichkeit sowohl in den mannigfaltigen Gestalten des Leibes als in
den harten schaalen- und schildartigen Bedeckungen, in ihrer kriechenden
Bewegung und in ihrem ganzen Betragen" (Oken a. a. O.). Faßt man
mit den Schnecken (Mollusken) die Würmer zusammen, so fällt die Aehn-
lichkeit noch mehr an den Schlangen auf. Die Säugthiere des Landes
stehen nach dem vorh. §. allein und sich selbst gleich; dadurch sind
Analogieen mit wirbellosen Thieren ausgeschlossen, aber nicht ebenso mit
niedrigeren Klassen der Wirbelthiere, wie solche ebenfalls Oken aufsucht.
Wir werden die wesentlichsten dieser zurückgreifenden Analogieen nur
nennen dürfen, um ihre Häßlichkeit vor die Erinnerung zu führen.

§. 299.

Auf der niedrigsten Stufe der Wirbelthiere, in dem Fische, beginnt die
Natur ihre Bildung wieder mit der einfachsten Form, indem sie den gespaltenen
Leib des Insects zu der einschnittlosen Einheit eines Ovals zusammenzieht, in

Vischer's Aesthetik. 2. Band. 9

geſprochen. „Die Aehnlichkeit der Fiſche mit den Polypen oder Quallen,
überhaupt mit der Geſtalt und Conſiſtenz des Darmkanals, iſt nicht zu
verkennen in ihrer ſchleimigen Haut, in ihrem meiſt ovalen Leibe, an
welchem Kopf, Rumpf und Schwanz gleichförmig ineinander verfloßen ſind
und in welchem der Bauch auffallend vorherrſcht; ebenſowenig in ihren
Floßen und in den vielen Bartfaſern, die oft um den Mund ſtehen.“
(Allg. Naturg. B. 4, S. 581). Hier iſt nur die Hauptſache nicht aus-
geſprochen, daß nämlich beide ſchlechtweg Waſſerthiere ſind. Von den
Amphibien ſogleich. „Die Aehnlichkeit der Vögel mit den Inſecten iſt
ſchon ſeit den älteſten Zeiten aufgefallen und bedarf kaum bemerkt zu werden.“

§. 298.

Zwiſchen dieſe Hauptgegenſätze ſind Uebergänge geſtellt. Die Natur thut
einen Schritt, das Waſſerthier an das Land zu ſetzen, und erzeugt das Weichthier
und Wurmähnliche Amphibium; ſie gibt ihn wie einen unglücklichen wieder
auf und ſchickt den Vogel in die Luft, um hierauf erſt im Säugthiere des
Landes jene Abſicht wahrhaft zu verwirklichen. Dieſes weist aber ſelbſt wieder
Geſtalten auf, welche theils dem Fiſch und Amphibium, theils dem Vogel
ähnlich ſind. Alle dieſe Uebergänge offenbaren auf höchſt merkwürdige Weiſe
die innere Einheit der ganzen Thierwelt, für den Standpunkt des Schönen aber
ſind ſie, weil ſie Momente niedrigerer Stufen mit dem Typus der eigenen zu
einem Widerſpruche verwickeln, durchgängig häßlich.

„Zwiſchen den Amphibien und den Schnecken beſteht eine gleiche
Aehnlichkeit ſowohl in den mannigfaltigen Geſtalten des Leibes als in
den harten ſchaalen- und ſchildartigen Bedeckungen, in ihrer kriechenden
Bewegung und in ihrem ganzen Betragen“ (Oken a. a. O.). Faßt man
mit den Schnecken (Mollusken) die Würmer zuſammen, ſo fällt die Aehn-
lichkeit noch mehr an den Schlangen auf. Die Säugthiere des Landes
ſtehen nach dem vorh. §. allein und ſich ſelbſt gleich; dadurch ſind
Analogieen mit wirbelloſen Thieren ausgeſchloſſen, aber nicht ebenſo mit
niedrigeren Klaſſen der Wirbelthiere, wie ſolche ebenfalls Oken aufſucht.
Wir werden die weſentlichſten dieſer zurückgreifenden Analogieen nur
nennen dürfen, um ihre Häßlichkeit vor die Erinnerung zu führen.

§. 299.

Auf der niedrigſten Stufe der Wirbelthiere, in dem Fiſche, beginnt die
Natur ihre Bildung wieder mit der einfachſten Form, indem ſie den geſpaltenen
Leib des Inſects zu der einſchnittloſen Einheit eines Ovals zuſammenzieht, in

Viſcher’s Aeſthetik. 2. Band. 9
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[129/0141] geſprochen. „Die Aehnlichkeit der Fiſche mit den Polypen oder Quallen, überhaupt mit der Geſtalt und Conſiſtenz des Darmkanals, iſt nicht zu verkennen in ihrer ſchleimigen Haut, in ihrem meiſt ovalen Leibe, an welchem Kopf, Rumpf und Schwanz gleichförmig ineinander verfloßen ſind und in welchem der Bauch auffallend vorherrſcht; ebenſowenig in ihren Floßen und in den vielen Bartfaſern, die oft um den Mund ſtehen.“ (Allg. Naturg. B. 4, S. 581). Hier iſt nur die Hauptſache nicht aus- geſprochen, daß nämlich beide ſchlechtweg Waſſerthiere ſind. Von den Amphibien ſogleich. „Die Aehnlichkeit der Vögel mit den Inſecten iſt ſchon ſeit den älteſten Zeiten aufgefallen und bedarf kaum bemerkt zu werden.“ §. 298. Zwiſchen dieſe Hauptgegenſätze ſind Uebergänge geſtellt. Die Natur thut einen Schritt, das Waſſerthier an das Land zu ſetzen, und erzeugt das Weichthier und Wurmähnliche Amphibium; ſie gibt ihn wie einen unglücklichen wieder auf und ſchickt den Vogel in die Luft, um hierauf erſt im Säugthiere des Landes jene Abſicht wahrhaft zu verwirklichen. Dieſes weist aber ſelbſt wieder Geſtalten auf, welche theils dem Fiſch und Amphibium, theils dem Vogel ähnlich ſind. Alle dieſe Uebergänge offenbaren auf höchſt merkwürdige Weiſe die innere Einheit der ganzen Thierwelt, für den Standpunkt des Schönen aber ſind ſie, weil ſie Momente niedrigerer Stufen mit dem Typus der eigenen zu einem Widerſpruche verwickeln, durchgängig häßlich. „Zwiſchen den Amphibien und den Schnecken beſteht eine gleiche Aehnlichkeit ſowohl in den mannigfaltigen Geſtalten des Leibes als in den harten ſchaalen- und ſchildartigen Bedeckungen, in ihrer kriechenden Bewegung und in ihrem ganzen Betragen“ (Oken a. a. O.). Faßt man mit den Schnecken (Mollusken) die Würmer zuſammen, ſo fällt die Aehn- lichkeit noch mehr an den Schlangen auf. Die Säugthiere des Landes ſtehen nach dem vorh. §. allein und ſich ſelbſt gleich; dadurch ſind Analogieen mit wirbelloſen Thieren ausgeſchloſſen, aber nicht ebenſo mit niedrigeren Klaſſen der Wirbelthiere, wie ſolche ebenfalls Oken aufſucht. Wir werden die weſentlichſten dieſer zurückgreifenden Analogieen nur nennen dürfen, um ihre Häßlichkeit vor die Erinnerung zu führen. §. 299. Auf der niedrigſten Stufe der Wirbelthiere, in dem Fiſche, beginnt die Natur ihre Bildung wieder mit der einfachſten Form, indem ſie den geſpaltenen Leib des Inſects zu der einſchnittloſen Einheit eines Ovals zuſammenzieht, in Viſcher’s Aeſthetik. 2. Band. 9

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/141>, abgerufen am 28.03.2024.