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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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Pinchers, mürrischer Ernst des Mopses, der Bulldogge, des Bullenbeißers,
Feuer und Gelehrigkeit des Pudels, Zuchtmeistercharakter des Schäferhunds,
Eigensinn des Dachshunds, Kläfferei und doch zähe Charakterfestigkeit des
Spitzhunds, Jägernatur des Hühnerhunds u. s. w.

§. 314.

Keiner dieser Stufen gehört der Affe an. Was ihn von allen Thieren
unterscheidet, nähert ihn dem Menschen; was ihm aber zu diesem fehlt, wirft
ihn über eine unendliche Kluft zu dem Thiere zurück. Diese sucht er durch
beständige Nachahmung zu überwinden, bleibt aber mitten im Versuche stecken
und scheint von einem verbissenen Grimme über dieß immerwährende Wollen und
nicht Können durchdrungen und die höhere Begabung dient nur, das rein Thie-
rische in seinem Seelenleben um so zäher und gespannter auszubilden. Daher
ist dieser unreife Mensch, dieß greisenhafte Thier ein widerliches, gespenstisches,
kaum in's Komische auflösbares Zerrbild des Menschen.

Die Urform des Thiers, der Maus-Typus, näher die Bildung der
hochbeinigen Springmaus, erfährt im Affen ihre letzte thierisch mögliche
Fortbildung. Viele Affen sind sehr mausähnlich; alle Mäuse haben schon
die Neigung, die Vorderpfote als Hand zu gebrauchen. Die nähere
Bestimmtheit der Affengestalt, ihr Unterschied von der thierischen auf der
einen, der menschlichen auf der andern Seite muß in der Darstellung des
Menschen kurz zur Sprache kommen. Ueber das Wesen des Affen mögen
hier die Worte Herders stehen (Ideen z. Philos. d. Gesch. der Menschh.
B. 4, I.): "Der Affe hat keinen determinirten Instinct mehr, seine Denkungs-
art steht dicht am Rande der Vernunft. Er ahmt Alles nach, er will sich
vervollkommnen. Aber er kann nicht: die Thür ist zugeschlossen; die Ver-
knüpfung fremder Ideen zu den seinen und gleichsam die Besitznehmung
des Nachgeahmten ist seinem Gehirn unmöglich. -- Sie greifen die Neger
an und setzen sich um ihr Feuer, haben aber nicht den Verstand, es zu
unterhalten" u. s. w. Der Instinct ist nur nicht im Sinn einer besondern
Gattung determinirt, die allgemein thierischen Triebe sind um so stärker
und der Affe ist daher dem Menschen ähnlich in allen Unsitten und garstigen
Manieren, ja vom Mandrill scheint es eigentlich, die Natur habe in ihm
ein Bild des Lasters aufstellen wollen mit aller seiner Häßlichkeit (Oken
a. a. O. B. 7, 3. S. 1704. 1791). Beobachtet man den Affen, so meint
man jeden Augenblick: jetzt, jetzt wird Vernunft und Sprache kommen; sie
kommt aber nicht, er bleibt auf der Schwelle stecken, die Thüre ist ihm,
so muß man Herders Wort erweitern, ganz eigentlich vor der Nase
zugeschlagen. So bleibt er denn auch in dem, was er nachzuahmen wirklich

Pinchers, mürriſcher Ernſt des Mopſes, der Bulldogge, des Bullenbeißers,
Feuer und Gelehrigkeit des Pudels, Zuchtmeiſtercharakter des Schäferhunds,
Eigenſinn des Dachshunds, Kläfferei und doch zähe Charakterfeſtigkeit des
Spitzhunds, Jägernatur des Hühnerhunds u. ſ. w.

§. 314.

Keiner dieſer Stufen gehört der Affe an. Was ihn von allen Thieren
unterſcheidet, nähert ihn dem Menſchen; was ihm aber zu dieſem fehlt, wirft
ihn über eine unendliche Kluft zu dem Thiere zurück. Dieſe ſucht er durch
beſtändige Nachahmung zu überwinden, bleibt aber mitten im Verſuche ſtecken
und ſcheint von einem verbiſſenen Grimme über dieß immerwährende Wollen und
nicht Können durchdrungen und die höhere Begabung dient nur, das rein Thie-
riſche in ſeinem Seelenleben um ſo zäher und geſpannter auszubilden. Daher
iſt dieſer unreife Menſch, dieß greiſenhafte Thier ein widerliches, geſpenſtiſches,
kaum in’s Komiſche auflösbares Zerrbild des Menſchen.

Die Urform des Thiers, der Maus-Typus, näher die Bildung der
hochbeinigen Springmaus, erfährt im Affen ihre letzte thieriſch mögliche
Fortbildung. Viele Affen ſind ſehr mausähnlich; alle Mäuſe haben ſchon
die Neigung, die Vorderpfote als Hand zu gebrauchen. Die nähere
Beſtimmtheit der Affengeſtalt, ihr Unterſchied von der thieriſchen auf der
einen, der menſchlichen auf der andern Seite muß in der Darſtellung des
Menſchen kurz zur Sprache kommen. Ueber das Weſen des Affen mögen
hier die Worte Herders ſtehen (Ideen z. Philoſ. d. Geſch. der Menſchh.
B. 4, I.): „Der Affe hat keinen determinirten Inſtinct mehr, ſeine Denkungs-
art ſteht dicht am Rande der Vernunft. Er ahmt Alles nach, er will ſich
vervollkommnen. Aber er kann nicht: die Thür iſt zugeſchloſſen; die Ver-
knüpfung fremder Ideen zu den ſeinen und gleichſam die Beſitznehmung
des Nachgeahmten iſt ſeinem Gehirn unmöglich. — Sie greifen die Neger
an und ſetzen ſich um ihr Feuer, haben aber nicht den Verſtand, es zu
unterhalten“ u. ſ. w. Der Inſtinct iſt nur nicht im Sinn einer beſondern
Gattung determinirt, die allgemein thieriſchen Triebe ſind um ſo ſtärker
und der Affe iſt daher dem Menſchen ähnlich in allen Unſitten und garſtigen
Manieren, ja vom Mandrill ſcheint es eigentlich, die Natur habe in ihm
ein Bild des Laſters aufſtellen wollen mit aller ſeiner Häßlichkeit (Oken
a. a. O. B. 7, 3. S. 1704. 1791). Beobachtet man den Affen, ſo meint
man jeden Augenblick: jetzt, jetzt wird Vernunft und Sprache kommen; ſie
kommt aber nicht, er bleibt auf der Schwelle ſtecken, die Thüre iſt ihm,
ſo muß man Herders Wort erweitern, ganz eigentlich vor der Naſe
zugeſchlagen. So bleibt er denn auch in dem, was er nachzuahmen wirklich

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[155/0167] Pinchers, mürriſcher Ernſt des Mopſes, der Bulldogge, des Bullenbeißers, Feuer und Gelehrigkeit des Pudels, Zuchtmeiſtercharakter des Schäferhunds, Eigenſinn des Dachshunds, Kläfferei und doch zähe Charakterfeſtigkeit des Spitzhunds, Jägernatur des Hühnerhunds u. ſ. w. §. 314. Keiner dieſer Stufen gehört der Affe an. Was ihn von allen Thieren unterſcheidet, nähert ihn dem Menſchen; was ihm aber zu dieſem fehlt, wirft ihn über eine unendliche Kluft zu dem Thiere zurück. Dieſe ſucht er durch beſtändige Nachahmung zu überwinden, bleibt aber mitten im Verſuche ſtecken und ſcheint von einem verbiſſenen Grimme über dieß immerwährende Wollen und nicht Können durchdrungen und die höhere Begabung dient nur, das rein Thie- riſche in ſeinem Seelenleben um ſo zäher und geſpannter auszubilden. Daher iſt dieſer unreife Menſch, dieß greiſenhafte Thier ein widerliches, geſpenſtiſches, kaum in’s Komiſche auflösbares Zerrbild des Menſchen. Die Urform des Thiers, der Maus-Typus, näher die Bildung der hochbeinigen Springmaus, erfährt im Affen ihre letzte thieriſch mögliche Fortbildung. Viele Affen ſind ſehr mausähnlich; alle Mäuſe haben ſchon die Neigung, die Vorderpfote als Hand zu gebrauchen. Die nähere Beſtimmtheit der Affengeſtalt, ihr Unterſchied von der thieriſchen auf der einen, der menſchlichen auf der andern Seite muß in der Darſtellung des Menſchen kurz zur Sprache kommen. Ueber das Weſen des Affen mögen hier die Worte Herders ſtehen (Ideen z. Philoſ. d. Geſch. der Menſchh. B. 4, I.): „Der Affe hat keinen determinirten Inſtinct mehr, ſeine Denkungs- art ſteht dicht am Rande der Vernunft. Er ahmt Alles nach, er will ſich vervollkommnen. Aber er kann nicht: die Thür iſt zugeſchloſſen; die Ver- knüpfung fremder Ideen zu den ſeinen und gleichſam die Beſitznehmung des Nachgeahmten iſt ſeinem Gehirn unmöglich. — Sie greifen die Neger an und ſetzen ſich um ihr Feuer, haben aber nicht den Verſtand, es zu unterhalten“ u. ſ. w. Der Inſtinct iſt nur nicht im Sinn einer beſondern Gattung determinirt, die allgemein thieriſchen Triebe ſind um ſo ſtärker und der Affe iſt daher dem Menſchen ähnlich in allen Unſitten und garſtigen Manieren, ja vom Mandrill ſcheint es eigentlich, die Natur habe in ihm ein Bild des Laſters aufſtellen wollen mit aller ſeiner Häßlichkeit (Oken a. a. O. B. 7, 3. S. 1704. 1791). Beobachtet man den Affen, ſo meint man jeden Augenblick: jetzt, jetzt wird Vernunft und Sprache kommen; ſie kommt aber nicht, er bleibt auf der Schwelle ſtecken, die Thüre iſt ihm, ſo muß man Herders Wort erweitern, ganz eigentlich vor der Naſe zugeſchlagen. So bleibt er denn auch in dem, was er nachzuahmen wirklich

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/167>, abgerufen am 28.03.2024.