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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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Göthe (Farbenlehre §. 849) nimmt den Begriff des Helldunkels ganz
allgemein von der Wirkung des Lichts und Schattens; dieß geschieht auch
sonst. Es ist aber gewiß zweckmäßiger, mit dem Worte sogleich die
Bedeutung jenes Verschwebens zu verbinden, da es mit absichtlichem Scheine
des Widerspruchs ein Ineinander von Licht und Schatten bezeichnet. Göthe
hebt dann allerdings diesen Sinn als den engeren hervor: "eine Schatten-
partie, welche durch Reflexe beleuchtet wird."

b.
Die Farbe.
§. 246.

Das einfache Licht wird durch das spezifische Dunkel der Körper zur
Farbe gebrochen. Diese entsteht zunächst durch die Verhältnisse solcher all-
gemeiner Medien zum Lichte, welche selbst keine Farbe haben. Die Farben-
erscheinungen, welche durch sie hervorgerufen werden, können zwar im strengen
Sinn ästhetisch nur dann heißen, wenn sie im Zusammentreffen mit den gebundenen
Farben bestimmter Körper sich über ein Ganzes so herziehen oder doch so
in es eingreifen, daß sie eine eigenthümliche Stimmung über alles Einzelne
verbreiten, als wäre es Ein Gegenstand und die augenblicklich geliehene Farbe
seine eigene. Allein eben, weil demnach ein Ganzes durch Farben, welche
nicht an Individuen gebunden sind, einen eigenthümlichen und entscheidenden
ästhetischen Ton bekommen kann, so folgt, daß die Farben an sich schon eine
gewisse Stimmung ausdrücken und daher für sich zu erörtern sind.

Es ist hier zuerst von den physischen Farben (colores apparentes,
fluxi, fugitivi, phantastici, falsi, variantes
Göthe a. a. O. §. 137.)
die Rede. Sie gehören natürlich nur so weit in die Aesthetik, als sie
durch die Natur selbst und zwar in der Landschaft hervorgerufen
werden, denn das Schöne setzt überall Individuen voraus und hier ist
denn eine Gegend, welche durch den Farbenton der Beleuchtung einen
bestimmten Charakter erhält, das geforderte Individuum. Das Schwierige
ist aber dieß: die Farbe zeigt ihrem ganzen Begriffe nach, wie dieß der
folg. §. weiter berücksichtigen wird, ungleich inniger das Eigenthümliche
des Wesens der Individuen, als das einfache Licht, und dennoch gibt es
Farben, welche nicht an Individuen gebunden sind, sondern durch Medien,
welche an sich keine bestimmte Farbe haben, je nach ihrer Stellung zum
Lichte frei erzeugt werden. Diese, die nicht gebundenen Farben, sollte

Göthe (Farbenlehre §. 849) nimmt den Begriff des Helldunkels ganz
allgemein von der Wirkung des Lichts und Schattens; dieß geſchieht auch
ſonſt. Es iſt aber gewiß zweckmäßiger, mit dem Worte ſogleich die
Bedeutung jenes Verſchwebens zu verbinden, da es mit abſichtlichem Scheine
des Widerſpruchs ein Ineinander von Licht und Schatten bezeichnet. Göthe
hebt dann allerdings dieſen Sinn als den engeren hervor: „eine Schatten-
partie, welche durch Reflexe beleuchtet wird.“

b.
Die Farbe.
§. 246.

Das einfache Licht wird durch das ſpezifiſche Dunkel der Körper zur
Farbe gebrochen. Dieſe entſteht zunächſt durch die Verhältniſſe ſolcher all-
gemeiner Medien zum Lichte, welche ſelbſt keine Farbe haben. Die Farben-
erſcheinungen, welche durch ſie hervorgerufen werden, können zwar im ſtrengen
Sinn äſthetiſch nur dann heißen, wenn ſie im Zuſammentreffen mit den gebundenen
Farben beſtimmter Körper ſich über ein Ganzes ſo herziehen oder doch ſo
in es eingreifen, daß ſie eine eigenthümliche Stimmung über alles Einzelne
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ſeine eigene. Allein eben, weil demnach ein Ganzes durch Farben, welche
nicht an Individuen gebunden ſind, einen eigenthümlichen und entſcheidenden
äſthetiſchen Ton bekommen kann, ſo folgt, daß die Farben an ſich ſchon eine
gewiſſe Stimmung ausdrücken und daher für ſich zu erörtern ſind.

Es iſt hier zuerſt von den phyſiſchen Farben (colores apparentes,
fluxi, fugitivi, phantastici, falsi, variantes
Göthe a. a. O. §. 137.)
die Rede. Sie gehören natürlich nur ſo weit in die Aeſthetik, als ſie
durch die Natur ſelbſt und zwar in der Landſchaft hervorgerufen
werden, denn das Schöne ſetzt überall Individuen voraus und hier iſt
denn eine Gegend, welche durch den Farbenton der Beleuchtung einen
beſtimmten Charakter erhält, das geforderte Individuum. Das Schwierige
iſt aber dieß: die Farbe zeigt ihrem ganzen Begriffe nach, wie dieß der
folg. §. weiter berückſichtigen wird, ungleich inniger das Eigenthümliche
des Weſens der Individuen, als das einfache Licht, und dennoch gibt es
Farben, welche nicht an Individuen gebunden ſind, ſondern durch Medien,
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[37/0049] Göthe (Farbenlehre §. 849) nimmt den Begriff des Helldunkels ganz allgemein von der Wirkung des Lichts und Schattens; dieß geſchieht auch ſonſt. Es iſt aber gewiß zweckmäßiger, mit dem Worte ſogleich die Bedeutung jenes Verſchwebens zu verbinden, da es mit abſichtlichem Scheine des Widerſpruchs ein Ineinander von Licht und Schatten bezeichnet. Göthe hebt dann allerdings dieſen Sinn als den engeren hervor: „eine Schatten- partie, welche durch Reflexe beleuchtet wird.“ b. Die Farbe. §. 246. Das einfache Licht wird durch das ſpezifiſche Dunkel der Körper zur Farbe gebrochen. Dieſe entſteht zunächſt durch die Verhältniſſe ſolcher all- gemeiner Medien zum Lichte, welche ſelbſt keine Farbe haben. Die Farben- erſcheinungen, welche durch ſie hervorgerufen werden, können zwar im ſtrengen Sinn äſthetiſch nur dann heißen, wenn ſie im Zuſammentreffen mit den gebundenen Farben beſtimmter Körper ſich über ein Ganzes ſo herziehen oder doch ſo in es eingreifen, daß ſie eine eigenthümliche Stimmung über alles Einzelne verbreiten, als wäre es Ein Gegenſtand und die augenblicklich geliehene Farbe ſeine eigene. Allein eben, weil demnach ein Ganzes durch Farben, welche nicht an Individuen gebunden ſind, einen eigenthümlichen und entſcheidenden äſthetiſchen Ton bekommen kann, ſo folgt, daß die Farben an ſich ſchon eine gewiſſe Stimmung ausdrücken und daher für ſich zu erörtern ſind. Es iſt hier zuerſt von den phyſiſchen Farben (colores apparentes, fluxi, fugitivi, phantastici, falsi, variantes Göthe a. a. O. §. 137.) die Rede. Sie gehören natürlich nur ſo weit in die Aeſthetik, als ſie durch die Natur ſelbſt und zwar in der Landſchaft hervorgerufen werden, denn das Schöne ſetzt überall Individuen voraus und hier iſt denn eine Gegend, welche durch den Farbenton der Beleuchtung einen beſtimmten Charakter erhält, das geforderte Individuum. Das Schwierige iſt aber dieß: die Farbe zeigt ihrem ganzen Begriffe nach, wie dieß der folg. §. weiter berückſichtigen wird, ungleich inniger das Eigenthümliche des Weſens der Individuen, als das einfache Licht, und dennoch gibt es Farben, welche nicht an Individuen gebunden ſind, ſondern durch Medien, welche an ſich keine beſtimmte Farbe haben, je nach ihrer Stellung zum Lichte frei erzeugt werden. Dieſe, die nicht gebundenen Farben, ſollte

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/49>, abgerufen am 29.03.2024.