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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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Wir legen bestimmteren Sinn in die Blumen, aber nur für die Spiele
des engeren Empfindungskreises und nur in allegorischer Weise. Blumen
sind, doch auch mehr, als man glaubt, sinnlich reizend und ebendaher ist
Vorliebe für sie individuell zufällig, Geschmacksache. Sieht man von dieser
Beziehung auf den Zuschauer ab, so bleibt mehr die Bewunderung des
sinnreichen, aber durch seine Regelmäßigkeit auch wieder an das blos
Krystallische erinnernden Baus, des Schöpfers, wie bei Brockes, als eigentlich
ästhetische Betrachtung übrig. Daß der Zweig der Malerei, der die so-
genannten eigentlichen Blumen zum Gegenstande hat, untergeordnet ist,
liegt im Stoffe; will die Kunst mehr damit anfangen, so muß sie dieselben
als nur mitwirkende Motive in einen höheren Zusammenhang stellen und
das liegt (um nur gelegentlich auch hier den Idealisten zu zeigen, daß es
zuerst auf diesen ankommt) auch im Stoffe; daß der Maler einen Baum
nicht wohl in Blüthen malen kann, hat ebenso seinen einfachen Grund
darin, daß diese kleinen Kinder gegen den Vater nichts heißen wollen,
daß diese Ueberkleidung gegen das große, ernst und gewaltig gegliederte
Ganze ein Momentanes ist, das man mit Vergnügen sieht, das aber nicht
als Bleibendes gefesselt werden soll: es sieht im Gemälde kindisch aus.
Zu Ornamenten, Arabesken werden Blumen reichlich verwandt, aber da
sind sie nur anhängender Schmuck und ebendarum nach dem Gesetze der
Architectur umgebildet.

Aehnlich verhält es sich mit der Frucht; durch ihren gefüllten Charakter
ist sie Vollendung der Blüthe; die Mannigfaltigkeit symmetrischer Zeich-
nungen verschwindet, um der Kugel der Beere, dem Oval der Pflaume,
der Form des Zapfens u. s. w. Platz zu machen; der Reichthum der Farben-
pracht zieht sich zusammen theils in farbloses Braun, theils aber in seine
Farben-Uebergänge, reizvolle Durchsichtigkeit, wie sie die Blume nicht auf-
zuweisen hat; im Einzelnen erscheinen freilich auch herrliche einfache, undurch-
sichtige Farben, wie das Rothgelb der Orange. Dazu kommt der feine
Geruch so vieler Früchte. An Gestalt sind besonders Sammelfrüchte schön,
Zusammenstellungen von Gruppen einzelner Früchtchen zu Einer Frucht,
wie der Beeren in der Traube, bei welcher zugleich die durchsichtige Farbe
so reizvoll ist. Früchte sind nun aber vereinzelte Schönheit, wie Blumen.
Sie erscheinen reicher voller, satter, wirken aber auch bestimmter stoffartig,
laden zum Genusse ein. Man bewundert die strotzende Natur, man möchte
aber auch hineinbeißen. Dieß wird in der Kunst weiter zu berücksichtigen
sein; hier aber ist noch von einem Widerspruche zwischen der ästhetischen
und botanischen Rangordnung zu reden. Die Frucht ist nicht nur an sich
das Höchste an der Pflanze, sondern die Gewächse, welche vorzugsweise
nützliche und wohlschmeckende Früchte tragen, die Obstpflanzen, nehmen
auch die höchste Stufe im Systeme der Botanik ein. Da nun die Aesthetik

Wir legen beſtimmteren Sinn in die Blumen, aber nur für die Spiele
des engeren Empfindungskreiſes und nur in allegoriſcher Weiſe. Blumen
ſind, doch auch mehr, als man glaubt, ſinnlich reizend und ebendaher iſt
Vorliebe für ſie individuell zufällig, Geſchmackſache. Sieht man von dieſer
Beziehung auf den Zuſchauer ab, ſo bleibt mehr die Bewunderung des
ſinnreichen, aber durch ſeine Regelmäßigkeit auch wieder an das blos
Kryſtalliſche erinnernden Baus, des Schöpfers, wie bei Brockes, als eigentlich
äſthetiſche Betrachtung übrig. Daß der Zweig der Malerei, der die ſo-
genannten eigentlichen Blumen zum Gegenſtande hat, untergeordnet iſt,
liegt im Stoffe; will die Kunſt mehr damit anfangen, ſo muß ſie dieſelben
als nur mitwirkende Motive in einen höheren Zuſammenhang ſtellen und
das liegt (um nur gelegentlich auch hier den Idealiſten zu zeigen, daß es
zuerſt auf dieſen ankommt) auch im Stoffe; daß der Maler einen Baum
nicht wohl in Blüthen malen kann, hat ebenſo ſeinen einfachen Grund
darin, daß dieſe kleinen Kinder gegen den Vater nichts heißen wollen,
daß dieſe Ueberkleidung gegen das große, ernſt und gewaltig gegliederte
Ganze ein Momentanes iſt, das man mit Vergnügen ſieht, das aber nicht
als Bleibendes gefeſſelt werden ſoll: es ſieht im Gemälde kindiſch aus.
Zu Ornamenten, Arabesken werden Blumen reichlich verwandt, aber da
ſind ſie nur anhängender Schmuck und ebendarum nach dem Geſetze der
Architectur umgebildet.

Aehnlich verhält es ſich mit der Frucht; durch ihren gefüllten Charakter
iſt ſie Vollendung der Blüthe; die Mannigfaltigkeit ſymmetriſcher Zeich-
nungen verſchwindet, um der Kugel der Beere, dem Oval der Pflaume,
der Form des Zapfens u. ſ. w. Platz zu machen; der Reichthum der Farben-
pracht zieht ſich zuſammen theils in farbloſes Braun, theils aber in ſeine
Farben-Uebergänge, reizvolle Durchſichtigkeit, wie ſie die Blume nicht auf-
zuweiſen hat; im Einzelnen erſcheinen freilich auch herrliche einfache, undurch-
ſichtige Farben, wie das Rothgelb der Orange. Dazu kommt der feine
Geruch ſo vieler Früchte. An Geſtalt ſind beſonders Sammelfrüchte ſchön,
Zuſammenſtellungen von Gruppen einzelner Früchtchen zu Einer Frucht,
wie der Beeren in der Traube, bei welcher zugleich die durchſichtige Farbe
ſo reizvoll iſt. Früchte ſind nun aber vereinzelte Schönheit, wie Blumen.
Sie erſcheinen reicher voller, ſatter, wirken aber auch beſtimmter ſtoffartig,
laden zum Genuſſe ein. Man bewundert die ſtrotzende Natur, man möchte
aber auch hineinbeißen. Dieß wird in der Kunſt weiter zu berückſichtigen
ſein; hier aber iſt noch von einem Widerſpruche zwiſchen der äſthetiſchen
und botaniſchen Rangordnung zu reden. Die Frucht iſt nicht nur an ſich
das Höchſte an der Pflanze, ſondern die Gewächſe, welche vorzugsweiſe
nützliche und wohlſchmeckende Früchte tragen, die Obſtpflanzen, nehmen
auch die höchſte Stufe im Syſteme der Botanik ein. Da nun die Aeſthetik

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[90/0102] Wir legen beſtimmteren Sinn in die Blumen, aber nur für die Spiele des engeren Empfindungskreiſes und nur in allegoriſcher Weiſe. Blumen ſind, doch auch mehr, als man glaubt, ſinnlich reizend und ebendaher iſt Vorliebe für ſie individuell zufällig, Geſchmackſache. Sieht man von dieſer Beziehung auf den Zuſchauer ab, ſo bleibt mehr die Bewunderung des ſinnreichen, aber durch ſeine Regelmäßigkeit auch wieder an das blos Kryſtalliſche erinnernden Baus, des Schöpfers, wie bei Brockes, als eigentlich äſthetiſche Betrachtung übrig. Daß der Zweig der Malerei, der die ſo- genannten eigentlichen Blumen zum Gegenſtande hat, untergeordnet iſt, liegt im Stoffe; will die Kunſt mehr damit anfangen, ſo muß ſie dieſelben als nur mitwirkende Motive in einen höheren Zuſammenhang ſtellen und das liegt (um nur gelegentlich auch hier den Idealiſten zu zeigen, daß es zuerſt auf dieſen ankommt) auch im Stoffe; daß der Maler einen Baum nicht wohl in Blüthen malen kann, hat ebenſo ſeinen einfachen Grund darin, daß dieſe kleinen Kinder gegen den Vater nichts heißen wollen, daß dieſe Ueberkleidung gegen das große, ernſt und gewaltig gegliederte Ganze ein Momentanes iſt, das man mit Vergnügen ſieht, das aber nicht als Bleibendes gefeſſelt werden ſoll: es ſieht im Gemälde kindiſch aus. Zu Ornamenten, Arabesken werden Blumen reichlich verwandt, aber da ſind ſie nur anhängender Schmuck und ebendarum nach dem Geſetze der Architectur umgebildet. Aehnlich verhält es ſich mit der Frucht; durch ihren gefüllten Charakter iſt ſie Vollendung der Blüthe; die Mannigfaltigkeit ſymmetriſcher Zeich- nungen verſchwindet, um der Kugel der Beere, dem Oval der Pflaume, der Form des Zapfens u. ſ. w. Platz zu machen; der Reichthum der Farben- pracht zieht ſich zuſammen theils in farbloſes Braun, theils aber in ſeine Farben-Uebergänge, reizvolle Durchſichtigkeit, wie ſie die Blume nicht auf- zuweiſen hat; im Einzelnen erſcheinen freilich auch herrliche einfache, undurch- ſichtige Farben, wie das Rothgelb der Orange. Dazu kommt der feine Geruch ſo vieler Früchte. An Geſtalt ſind beſonders Sammelfrüchte ſchön, Zuſammenſtellungen von Gruppen einzelner Früchtchen zu Einer Frucht, wie der Beeren in der Traube, bei welcher zugleich die durchſichtige Farbe ſo reizvoll iſt. Früchte ſind nun aber vereinzelte Schönheit, wie Blumen. Sie erſcheinen reicher voller, ſatter, wirken aber auch beſtimmter ſtoffartig, laden zum Genuſſe ein. Man bewundert die ſtrotzende Natur, man möchte aber auch hineinbeißen. Dieß wird in der Kunſt weiter zu berückſichtigen ſein; hier aber iſt noch von einem Widerſpruche zwiſchen der äſthetiſchen und botaniſchen Rangordnung zu reden. Die Frucht iſt nicht nur an ſich das Höchſte an der Pflanze, ſondern die Gewächſe, welche vorzugsweiſe nützliche und wohlſchmeckende Früchte tragen, die Obſtpflanzen, nehmen auch die höchſte Stufe im Syſteme der Botanik ein. Da nun die Aeſthetik

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/102>, abgerufen am 24.04.2024.