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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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ist jedoch theils nur der des dumpfen Triebes, theils erhebt er sich zwar
zu einer Kundgebung reinen Wohlseins in einer Folge von Tönen, welche
Anklang einer schönen Ordnung enthält, aber dieser ungefähre Anklang ist
weit entfernt von der klaren Form der thierischen Gestalt und dem ganz anders
geordneten Ausdrucke geistiger Stimmung in Tönen nur ebenso analog, wie die
übrigen Thätigkeiten des Thiers dem Sittlichen und Vernünftigen.

Was zuerst die Pflanze betrifft, deren Klangfähigkeit wir absichtlich
erst hier, in Vergleichung mit der thierischen Stimme, erwähnen, so haben
die Theile derselben zwar erst, wenn sie durch Absterben gleichsam zum
Unorganischen zurückgekehrt sind, durch ihre zartere, ursprünglich elastische
Textur einen seelenvolleren Klang, als Metalle, was Jedem von den
Instrumenten bekannt ist, deren Hauptkörper aus Holz verfertigt wird.
Noch ungleich ausdrucksvoller ist freilich die aus der thierisch elastischen
Sehne gebildete Saite, wo aber ebenso das Thierische nur als ein zum
Unorganischen Verhärtetes gebraucht wird. Dieser Stoff bleibt ganz passiv,
alle Form geht vom Künstler aus; Stoff bedeutet hier blos Material,
das für ästhetische Form erst verwandt werden soll, wie der Stein vom
Baumeister, wogegen uns die übrige Naturschönheit, die uns in diesem
Abschnitte vorliegt, nach allen übrigen Seiten einen schon geformten Stoff
vor das Auge stellt, von welchem sich nur erst fragen soll, ob er so
bleiben kann oder ob er einer Umschaffung bedarf, wenn wahrhaft Schönes
soll entstehen können, einen Stoff, den wir als eine nur noch unreife,
zur Umbildung bestimmte Form erkennen werden, als einen Stoff im
Sinne der Vorlage, des Vorbilds. Anders nun scheint es sich mit dem
frei hervorgebrachten Tone des lebendigen Thiers zu verhalten: das beseelte
Thier führt aus sich selbst ein Zeitleben, in welchem es sich als diese
lebendige Einheit selbst vernimmt; es bestimmt sich selbst zum Ortwechsel,
bewegt sich aus sich und so verräth es die Bewegung auch im Sinne der
Stimmung durch die Stimme, deren Ton jener ihren Ausdruck gibt. Es
bringt also dem Zuhörer selbstgeschaffenen, geformten, ausdrucksvollen
Klang, und dieß heißt Ton, entgegen. Nun müssen wir aber einen
doppelten thierischen Ton unterscheiden: zuerst den dumpfen Schrei des
Triebs, der Begierde; dieser mag nun zusammenwirkend mit der An-
schauung der Gestalt wohl sehr wirksam sein in einem thierisch belebten
ästhetischen Ganzen, aber wir werden finden, daß die Kunst, welche
selbständige akustische Schönheit schafft, nichts mit ihm anfangen kann;
Material kann er ihr nicht sein, denn er läßt nicht über sich verfügen,
und Stoff im Sinne einer nur noch unreifen Form auch nicht, weil ihm
jede freie und selbständige Bedeutung abgeht, wie solche dem Thiere selbst,
das ihn hervorbringt, als einem Gegenstande des Auges in gewissem

iſt jedoch theils nur der des dumpfen Triebes, theils erhebt er ſich zwar
zu einer Kundgebung reinen Wohlſeins in einer Folge von Tönen, welche
Anklang einer ſchönen Ordnung enthält, aber dieſer ungefähre Anklang iſt
weit entfernt von der klaren Form der thieriſchen Geſtalt und dem ganz anders
geordneten Ausdrucke geiſtiger Stimmung in Tönen nur ebenſo analog, wie die
übrigen Thätigkeiten des Thiers dem Sittlichen und Vernünftigen.

Was zuerſt die Pflanze betrifft, deren Klangfähigkeit wir abſichtlich
erſt hier, in Vergleichung mit der thieriſchen Stimme, erwähnen, ſo haben
die Theile derſelben zwar erſt, wenn ſie durch Abſterben gleichſam zum
Unorganiſchen zurückgekehrt ſind, durch ihre zartere, urſprünglich elaſtiſche
Textur einen ſeelenvolleren Klang, als Metalle, was Jedem von den
Inſtrumenten bekannt iſt, deren Hauptkörper aus Holz verfertigt wird.
Noch ungleich ausdrucksvoller iſt freilich die aus der thieriſch elaſtiſchen
Sehne gebildete Saite, wo aber ebenſo das Thieriſche nur als ein zum
Unorganiſchen Verhärtetes gebraucht wird. Dieſer Stoff bleibt ganz paſſiv,
alle Form geht vom Künſtler aus; Stoff bedeutet hier blos Material,
das für äſthetiſche Form erſt verwandt werden ſoll, wie der Stein vom
Baumeiſter, wogegen uns die übrige Naturſchönheit, die uns in dieſem
Abſchnitte vorliegt, nach allen übrigen Seiten einen ſchon geformten Stoff
vor das Auge ſtellt, von welchem ſich nur erſt fragen ſoll, ob er ſo
bleiben kann oder ob er einer Umſchaffung bedarf, wenn wahrhaft Schönes
ſoll entſtehen können, einen Stoff, den wir als eine nur noch unreife,
zur Umbildung beſtimmte Form erkennen werden, als einen Stoff im
Sinne der Vorlage, des Vorbilds. Anders nun ſcheint es ſich mit dem
frei hervorgebrachten Tone des lebendigen Thiers zu verhalten: das beſeelte
Thier führt aus ſich ſelbſt ein Zeitleben, in welchem es ſich als dieſe
lebendige Einheit ſelbſt vernimmt; es beſtimmt ſich ſelbſt zum Ortwechſel,
bewegt ſich aus ſich und ſo verräth es die Bewegung auch im Sinne der
Stimmung durch die Stimme, deren Ton jener ihren Ausdruck gibt. Es
bringt alſo dem Zuhörer ſelbſtgeſchaffenen, geformten, ausdrucksvollen
Klang, und dieß heißt Ton, entgegen. Nun müſſen wir aber einen
doppelten thieriſchen Ton unterſcheiden: zuerſt den dumpfen Schrei des
Triebs, der Begierde; dieſer mag nun zuſammenwirkend mit der An-
ſchauung der Geſtalt wohl ſehr wirkſam ſein in einem thieriſch belebten
äſthetiſchen Ganzen, aber wir werden finden, daß die Kunſt, welche
ſelbſtändige akuſtiſche Schönheit ſchafft, nichts mit ihm anfangen kann;
Material kann er ihr nicht ſein, denn er läßt nicht über ſich verfügen,
und Stoff im Sinne einer nur noch unreifen Form auch nicht, weil ihm
jede freie und ſelbſtändige Bedeutung abgeht, wie ſolche dem Thiere ſelbſt,
das ihn hervorbringt, als einem Gegenſtande des Auges in gewiſſem

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[114/0126] iſt jedoch theils nur der des dumpfen Triebes, theils erhebt er ſich zwar zu einer Kundgebung reinen Wohlſeins in einer Folge von Tönen, welche Anklang einer ſchönen Ordnung enthält, aber dieſer ungefähre Anklang iſt weit entfernt von der klaren Form der thieriſchen Geſtalt und dem ganz anders geordneten Ausdrucke geiſtiger Stimmung in Tönen nur ebenſo analog, wie die übrigen Thätigkeiten des Thiers dem Sittlichen und Vernünftigen. Was zuerſt die Pflanze betrifft, deren Klangfähigkeit wir abſichtlich erſt hier, in Vergleichung mit der thieriſchen Stimme, erwähnen, ſo haben die Theile derſelben zwar erſt, wenn ſie durch Abſterben gleichſam zum Unorganiſchen zurückgekehrt ſind, durch ihre zartere, urſprünglich elaſtiſche Textur einen ſeelenvolleren Klang, als Metalle, was Jedem von den Inſtrumenten bekannt iſt, deren Hauptkörper aus Holz verfertigt wird. Noch ungleich ausdrucksvoller iſt freilich die aus der thieriſch elaſtiſchen Sehne gebildete Saite, wo aber ebenſo das Thieriſche nur als ein zum Unorganiſchen Verhärtetes gebraucht wird. Dieſer Stoff bleibt ganz paſſiv, alle Form geht vom Künſtler aus; Stoff bedeutet hier blos Material, das für äſthetiſche Form erſt verwandt werden ſoll, wie der Stein vom Baumeiſter, wogegen uns die übrige Naturſchönheit, die uns in dieſem Abſchnitte vorliegt, nach allen übrigen Seiten einen ſchon geformten Stoff vor das Auge ſtellt, von welchem ſich nur erſt fragen ſoll, ob er ſo bleiben kann oder ob er einer Umſchaffung bedarf, wenn wahrhaft Schönes ſoll entſtehen können, einen Stoff, den wir als eine nur noch unreife, zur Umbildung beſtimmte Form erkennen werden, als einen Stoff im Sinne der Vorlage, des Vorbilds. Anders nun ſcheint es ſich mit dem frei hervorgebrachten Tone des lebendigen Thiers zu verhalten: das beſeelte Thier führt aus ſich ſelbſt ein Zeitleben, in welchem es ſich als dieſe lebendige Einheit ſelbſt vernimmt; es beſtimmt ſich ſelbſt zum Ortwechſel, bewegt ſich aus ſich und ſo verräth es die Bewegung auch im Sinne der Stimmung durch die Stimme, deren Ton jener ihren Ausdruck gibt. Es bringt alſo dem Zuhörer ſelbſtgeſchaffenen, geformten, ausdrucksvollen Klang, und dieß heißt Ton, entgegen. Nun müſſen wir aber einen doppelten thieriſchen Ton unterſcheiden: zuerſt den dumpfen Schrei des Triebs, der Begierde; dieſer mag nun zuſammenwirkend mit der An- ſchauung der Geſtalt wohl ſehr wirkſam ſein in einem thieriſch belebten äſthetiſchen Ganzen, aber wir werden finden, daß die Kunſt, welche ſelbſtändige akuſtiſche Schönheit ſchafft, nichts mit ihm anfangen kann; Material kann er ihr nicht ſein, denn er läßt nicht über ſich verfügen, und Stoff im Sinne einer nur noch unreifen Form auch nicht, weil ihm jede freie und ſelbſtändige Bedeutung abgeht, wie ſolche dem Thiere ſelbſt, das ihn hervorbringt, als einem Gegenſtande des Auges in gewiſſem

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/126>, abgerufen am 19.04.2024.