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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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Bezeichnung: untere Haarthiere oder Mäuse, kleine Thiere mit Zahnlücken
und handartigen Vorderfüßen oder Pfoten, zusammenfaßt.

2. Die Aesthetik fordert, daß zuerst die Thiere von widersprechender
Bildung ausgeschieden werden. Oken zählt nicht nur die Fledermäuse
und übrigen Flatterfüßer, sondern auch das Schnabelthier, die Ameisen-
bären (worunter Gürtelthier, Schuppenthier), das Faulthier und die
Beutelthiere unter die Mäuse. Die zuletzt genannten Thiere gehören
jedenfalls als zahnarme (edentata) der untersten Ordnung an. An
Trägheit sind die meisten von ihnen amphibienartig. Die Zusammensetzung
von Fisch, Vogel, Säugethier im Schnabelthier, die Ameisenfresser mit
der langen, wurmförmigen Zunge, dann die amphibienartig gepanzerten
unter ihnen: Gürtel- und Schuppenthier, das Faulthier, dessen Bewegung
schlechter ist als gar keine, Igel und Stachelschwein, deren Stacheln an
Federkiele erinnern, die Beutelthiere auf hohen Hinterfüßen wie Stelzvögel
gehend und die unreifen Jungen im Sack wie in einem natürlichen Neste
fortschleppend, die Fledermäuse, Flatterkatzen, fliegenden Eichhörner, welche
so abstoßend die Bewegung des Vogels und des vierfüßigen Thiers ver-
einigen: alle diese Geschöpfe wird gewiß Jedermann häßlich finden, und
ein Künstler niemals anders als um eines Kontrasts willen anbringen
können.

3. Die zahlreiche Welt dieser huschenden, wühlenden, nagenden,
kletternden Thiere erinnert durchaus an die kleinen Vögel und sofort an die
Insecten, und wie diese nur in Massen als Belebung des Elements
Geltung haben, so gehören jene in einem unfreieren Sinne ihrem Elemente
an, als die übrigen Landthiere; sie sind die Troglodyten der Thierwelt.
Sie sind an bauenden Kunsttrieb gewiesen, wie jene. Berühmt als
Zimmermann und Baumeister ist namentlich der Biber. Einige bauen
sogar, in directer Aehnlichkeit mit dem Vogel, Nester auf Bäume. An
sich größtentheils zu klein, um als einzelne ästhetische Geltung zu haben, sind
sie im Großen, freilich wieder in wesentlichem Unterschied vom belustigenden
Vogel, aber desto mehr wieder in Analogie mit den Insecten, Ungeziefer;
ihre Gestalt und ihre durch die längeren Hinterfüße bedingte hüpfende
Bewegung ist jedoch größtentheils niedlich, namentlich gerade die der
gewöhnlichen Maus. Alle diese Thiere haben das Eigene eines ununter-
brochenen Spielens oder Schnupperns der beweglichen Nase. Sehr zierlich
ist unter den etwas größeren Formen das Eichhorn, besonders wenn es
aufrecht sitzend frißt; drollig der Hase mit den zum eiligen Lauf stark
verlängerten Springfüßen, den langen, bald aufgerichteten, bald zurück-
gelegten Löffeln, den Tanzbelustigungen zur Rammelzeit, der berühmten
Furchtsamkeit. Wir haben hier bereits in der untersten Gruppe viel-
benützte Thiercharaktere.


Bezeichnung: untere Haarthiere oder Mäuſe, kleine Thiere mit Zahnlücken
und handartigen Vorderfüßen oder Pfoten, zuſammenfaßt.

2. Die Aeſthetik fordert, daß zuerſt die Thiere von widerſprechender
Bildung ausgeſchieden werden. Oken zählt nicht nur die Fledermäuſe
und übrigen Flatterfüßer, ſondern auch das Schnabelthier, die Ameiſen-
bären (worunter Gürtelthier, Schuppenthier), das Faulthier und die
Beutelthiere unter die Mäuſe. Die zuletzt genannten Thiere gehören
jedenfalls als zahnarme (edentata) der unterſten Ordnung an. An
Trägheit ſind die meiſten von ihnen amphibienartig. Die Zuſammenſetzung
von Fiſch, Vogel, Säugethier im Schnabelthier, die Ameiſenfreſſer mit
der langen, wurmförmigen Zunge, dann die amphibienartig gepanzerten
unter ihnen: Gürtel- und Schuppenthier, das Faulthier, deſſen Bewegung
ſchlechter iſt als gar keine, Igel und Stachelſchwein, deren Stacheln an
Federkiele erinnern, die Beutelthiere auf hohen Hinterfüßen wie Stelzvögel
gehend und die unreifen Jungen im Sack wie in einem natürlichen Neſte
fortſchleppend, die Fledermäuſe, Flatterkatzen, fliegenden Eichhörner, welche
ſo abſtoßend die Bewegung des Vogels und des vierfüßigen Thiers ver-
einigen: alle dieſe Geſchöpfe wird gewiß Jedermann häßlich finden, und
ein Künſtler niemals anders als um eines Kontraſts willen anbringen
können.

3. Die zahlreiche Welt dieſer huſchenden, wühlenden, nagenden,
kletternden Thiere erinnert durchaus an die kleinen Vögel und ſofort an die
Inſecten, und wie dieſe nur in Maſſen als Belebung des Elements
Geltung haben, ſo gehören jene in einem unfreieren Sinne ihrem Elemente
an, als die übrigen Landthiere; ſie ſind die Troglodyten der Thierwelt.
Sie ſind an bauenden Kunſttrieb gewieſen, wie jene. Berühmt als
Zimmermann und Baumeiſter iſt namentlich der Biber. Einige bauen
ſogar, in directer Aehnlichkeit mit dem Vogel, Neſter auf Bäume. An
ſich größtentheils zu klein, um als einzelne äſthetiſche Geltung zu haben, ſind
ſie im Großen, freilich wieder in weſentlichem Unterſchied vom beluſtigenden
Vogel, aber deſto mehr wieder in Analogie mit den Inſecten, Ungeziefer;
ihre Geſtalt und ihre durch die längeren Hinterfüße bedingte hüpfende
Bewegung iſt jedoch größtentheils niedlich, namentlich gerade die der
gewöhnlichen Maus. Alle dieſe Thiere haben das Eigene eines ununter-
brochenen Spielens oder Schnupperns der beweglichen Naſe. Sehr zierlich
iſt unter den etwas größeren Formen das Eichhorn, beſonders wenn es
aufrecht ſitzend frißt; drollig der Haſe mit den zum eiligen Lauf ſtark
verlängerten Springfüßen, den langen, bald aufgerichteten, bald zurück-
gelegten Löffeln, den Tanzbeluſtigungen zur Rammelzeit, der berühmten
Furchtſamkeit. Wir haben hier bereits in der unterſten Gruppe viel-
benützte Thiercharaktere.


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[144/0156] Bezeichnung: untere Haarthiere oder Mäuſe, kleine Thiere mit Zahnlücken und handartigen Vorderfüßen oder Pfoten, zuſammenfaßt. 2. Die Aeſthetik fordert, daß zuerſt die Thiere von widerſprechender Bildung ausgeſchieden werden. Oken zählt nicht nur die Fledermäuſe und übrigen Flatterfüßer, ſondern auch das Schnabelthier, die Ameiſen- bären (worunter Gürtelthier, Schuppenthier), das Faulthier und die Beutelthiere unter die Mäuſe. Die zuletzt genannten Thiere gehören jedenfalls als zahnarme (edentata) der unterſten Ordnung an. An Trägheit ſind die meiſten von ihnen amphibienartig. Die Zuſammenſetzung von Fiſch, Vogel, Säugethier im Schnabelthier, die Ameiſenfreſſer mit der langen, wurmförmigen Zunge, dann die amphibienartig gepanzerten unter ihnen: Gürtel- und Schuppenthier, das Faulthier, deſſen Bewegung ſchlechter iſt als gar keine, Igel und Stachelſchwein, deren Stacheln an Federkiele erinnern, die Beutelthiere auf hohen Hinterfüßen wie Stelzvögel gehend und die unreifen Jungen im Sack wie in einem natürlichen Neſte fortſchleppend, die Fledermäuſe, Flatterkatzen, fliegenden Eichhörner, welche ſo abſtoßend die Bewegung des Vogels und des vierfüßigen Thiers ver- einigen: alle dieſe Geſchöpfe wird gewiß Jedermann häßlich finden, und ein Künſtler niemals anders als um eines Kontraſts willen anbringen können. 3. Die zahlreiche Welt dieſer huſchenden, wühlenden, nagenden, kletternden Thiere erinnert durchaus an die kleinen Vögel und ſofort an die Inſecten, und wie dieſe nur in Maſſen als Belebung des Elements Geltung haben, ſo gehören jene in einem unfreieren Sinne ihrem Elemente an, als die übrigen Landthiere; ſie ſind die Troglodyten der Thierwelt. Sie ſind an bauenden Kunſttrieb gewieſen, wie jene. Berühmt als Zimmermann und Baumeiſter iſt namentlich der Biber. Einige bauen ſogar, in directer Aehnlichkeit mit dem Vogel, Neſter auf Bäume. An ſich größtentheils zu klein, um als einzelne äſthetiſche Geltung zu haben, ſind ſie im Großen, freilich wieder in weſentlichem Unterſchied vom beluſtigenden Vogel, aber deſto mehr wieder in Analogie mit den Inſecten, Ungeziefer; ihre Geſtalt und ihre durch die längeren Hinterfüße bedingte hüpfende Bewegung iſt jedoch größtentheils niedlich, namentlich gerade die der gewöhnlichen Maus. Alle dieſe Thiere haben das Eigene eines ununter- brochenen Spielens oder Schnupperns der beweglichen Naſe. Sehr zierlich iſt unter den etwas größeren Formen das Eichhorn, beſonders wenn es aufrecht ſitzend frißt; drollig der Haſe mit den zum eiligen Lauf ſtark verlängerten Springfüßen, den langen, bald aufgerichteten, bald zurück- gelegten Löffeln, den Tanzbeluſtigungen zur Rammelzeit, der berühmten Furchtſamkeit. Wir haben hier bereits in der unterſten Gruppe viel- benützte Thiercharaktere.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/156>, abgerufen am 29.03.2024.