Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

rein menschliche Typus, welcher zugleich mit dem schönen Gleichgewichte des
Temperaments und der Anlagen nur in dieser Race ausgebildet ist. Die andern,
mehr oder weniger thierähnlichen Racen können daher nur in unterordnender
Zusammenstellung und Contrast mit ihr als ästhetischer Stoff auftreten.

1. Bisher war von solchen anthropologischen Formen die Rede,
welche das Menschengeschlecht überall begleiten und daher, wiewohl sie
Differenzen enthalten, allgemeiner Art sind; jetzt wird zu feststehenden
Unterschieden, welche jene allgemeinen Formen selbst in ihre Kreise ziehen,
übergegangen und zwar natürlich zunächst von der Verzweigung der
Familien zu den Racen. Die Aesthetik hat sich nicht in die schwierige
Frage nach der Entstehung derselben einzulassen; wenn man aber dagegen,
daß die klimatischen und anderweitig physikalischen Bestimmtheiten der
Wohnsitze die Ursache dieser Abartungen sei, die bekannte Beobachtung
geltend machen will, daß in einerlei Erdstrich jetzt verschiedene Racen
auftreten und daß eine Race, in einen anderen Erdstrich versetzt, keines-
wegs von ihrem Typus lasse, so ist dieß keine Widerlegung. Die Racen
müssen entweder auf verschiedenen Punkten nach Maßgabe der tellurischen
und klimatischen Bedingungen entstanden und so das Menschengeschlecht
von mehrerlei Individuen ausgegangen sein oder ein ursprünglich gleicher,
an Einem Ort entstandener Menschentypus muß zur Zeit, da er noch
weicher und bildsamer war, unter den Einflüßen veränderter Sitze in diese
Typen auseinandergegangen sein, und in beiden Fällen versteht sich, daß,
was am ursprünglich bildsamen Stoffe geschah, sich sofort verfestigt und
die gleichen Bedingungen an der eingewurzelten und verhärteten Form
nicht mehr dasselbe bewirken. Für die Aesthetik nun ist diese älteste
Bildungsgeschichte zwar gleichgiltig, aber das fortdauernde Zusammensein
der Race mit der Natur, zu welcher ihr Typus gehört, eine wesentliche
Forderung; sie will den Kaukasier in seinen breiten und milden Strom-
thälern zwischen Mittelgebirgen, an seinen auffordernden Meerküsten, sie
will den Mongolen in seinen Steppen, über seine Schneegefilde mit den
schiefgestellten, schmalgeschlitzten Augen hinblinzend, sie will den Neger in
seinen glühenden Sandwüsten, in seiner erschlaffenden Tropen-Natur sehen.
Allein freilich diese entsprechende Umgebung ist vielfach verschoben; der
Mongole ist in die fruchtbaren Stromflächen Chinas gedrungen und zeigt
sich hier in anderen Umgebungen, als in den Hochsteppen und Schnee-
feldern des nördlichen Asiens, wo ursprünglich seine Gestalt zu der breiten
und ärmlichen Form einfror, die wir an ihm kennen; der Neger findet
sich ebenfalls in verschiedenen Zonen u. s. w. Diese Verschiebungen des
Zusammengehörigen bereiten jedoch hier keine Verlegenheit, denn aus dem
Grunde, der unter N. 2 im §. ausgesprochen ist, haben wir den Racen-

rein menſchliche Typus, welcher zugleich mit dem ſchönen Gleichgewichte des
Temperaments und der Anlagen nur in dieſer Race ausgebildet iſt. Die andern,
mehr oder weniger thierähnlichen Racen können daher nur in unterordnender
Zuſammenſtellung und Contraſt mit ihr als äſthetiſcher Stoff auftreten.

1. Bisher war von ſolchen anthropologiſchen Formen die Rede,
welche das Menſchengeſchlecht überall begleiten und daher, wiewohl ſie
Differenzen enthalten, allgemeiner Art ſind; jetzt wird zu feſtſtehenden
Unterſchieden, welche jene allgemeinen Formen ſelbſt in ihre Kreiſe ziehen,
übergegangen und zwar natürlich zunächſt von der Verzweigung der
Familien zu den Racen. Die Aeſthetik hat ſich nicht in die ſchwierige
Frage nach der Entſtehung derſelben einzulaſſen; wenn man aber dagegen,
daß die klimatiſchen und anderweitig phyſikaliſchen Beſtimmtheiten der
Wohnſitze die Urſache dieſer Abartungen ſei, die bekannte Beobachtung
geltend machen will, daß in einerlei Erdſtrich jetzt verſchiedene Racen
auftreten und daß eine Race, in einen anderen Erdſtrich verſetzt, keines-
wegs von ihrem Typus laſſe, ſo iſt dieß keine Widerlegung. Die Racen
müſſen entweder auf verſchiedenen Punkten nach Maßgabe der telluriſchen
und klimatiſchen Bedingungen entſtanden und ſo das Menſchengeſchlecht
von mehrerlei Individuen ausgegangen ſein oder ein urſprünglich gleicher,
an Einem Ort entſtandener Menſchentypus muß zur Zeit, da er noch
weicher und bildſamer war, unter den Einflüßen veränderter Sitze in dieſe
Typen auseinandergegangen ſein, und in beiden Fällen verſteht ſich, daß,
was am urſprünglich bildſamen Stoffe geſchah, ſich ſofort verfeſtigt und
die gleichen Bedingungen an der eingewurzelten und verhärteten Form
nicht mehr daſſelbe bewirken. Für die Aeſthetik nun iſt dieſe älteſte
Bildungsgeſchichte zwar gleichgiltig, aber das fortdauernde Zuſammenſein
der Race mit der Natur, zu welcher ihr Typus gehört, eine weſentliche
Forderung; ſie will den Kaukaſier in ſeinen breiten und milden Strom-
thälern zwiſchen Mittelgebirgen, an ſeinen auffordernden Meerküſten, ſie
will den Mongolen in ſeinen Steppen, über ſeine Schneegefilde mit den
ſchiefgeſtellten, ſchmalgeſchlitzten Augen hinblinzend, ſie will den Neger in
ſeinen glühenden Sandwüſten, in ſeiner erſchlaffenden Tropen-Natur ſehen.
Allein freilich dieſe entſprechende Umgebung iſt vielfach verſchoben; der
Mongole iſt in die fruchtbaren Stromflächen Chinas gedrungen und zeigt
ſich hier in anderen Umgebungen, als in den Hochſteppen und Schnee-
feldern des nördlichen Aſiens, wo urſprünglich ſeine Geſtalt zu der breiten
und ärmlichen Form einfror, die wir an ihm kennen; der Neger findet
ſich ebenfalls in verſchiedenen Zonen u. ſ. w. Dieſe Verſchiebungen des
Zuſammengehörigen bereiten jedoch hier keine Verlegenheit, denn aus dem
Grunde, der unter N. 2 im §. ausgeſprochen iſt, haben wir den Racen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p> <hi rendition="#fr"><pb facs="#f0188" n="176"/>
rein men&#x017F;chliche Typus, welcher zugleich mit dem &#x017F;chönen Gleichgewichte des<lb/>
Temperaments und der Anlagen nur in die&#x017F;er Race ausgebildet i&#x017F;t. Die andern,<lb/>
mehr oder weniger thierähnlichen Racen können daher nur in unterordnender<lb/>
Zu&#x017F;ammen&#x017F;tellung und Contra&#x017F;t mit ihr als ä&#x017F;theti&#x017F;cher Stoff auftreten.</hi> </p><lb/>
                  <p> <hi rendition="#et">1. Bisher war von &#x017F;olchen anthropologi&#x017F;chen Formen die Rede,<lb/>
welche das Men&#x017F;chenge&#x017F;chlecht überall begleiten und daher, wiewohl &#x017F;ie<lb/>
Differenzen enthalten, allgemeiner Art &#x017F;ind; jetzt wird zu fe&#x017F;t&#x017F;tehenden<lb/>
Unter&#x017F;chieden, welche jene allgemeinen Formen &#x017F;elb&#x017F;t in ihre Krei&#x017F;e ziehen,<lb/>
übergegangen und zwar natürlich zunäch&#x017F;t von der Verzweigung der<lb/>
Familien zu den Racen. Die Ae&#x017F;thetik hat &#x017F;ich nicht in die &#x017F;chwierige<lb/>
Frage nach der Ent&#x017F;tehung der&#x017F;elben einzula&#x017F;&#x017F;en; wenn man aber dagegen,<lb/>
daß die klimati&#x017F;chen und anderweitig phy&#x017F;ikali&#x017F;chen Be&#x017F;timmtheiten der<lb/>
Wohn&#x017F;itze die Ur&#x017F;ache die&#x017F;er Abartungen &#x017F;ei, die bekannte Beobachtung<lb/>
geltend machen will, daß in einerlei Erd&#x017F;trich jetzt ver&#x017F;chiedene Racen<lb/>
auftreten und daß eine Race, in einen anderen Erd&#x017F;trich ver&#x017F;etzt, keines-<lb/>
wegs von ihrem Typus la&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;o i&#x017F;t dieß keine Widerlegung. Die Racen<lb/>&#x017F;&#x017F;en entweder auf ver&#x017F;chiedenen Punkten nach Maßgabe der telluri&#x017F;chen<lb/>
und klimati&#x017F;chen Bedingungen ent&#x017F;tanden und &#x017F;o das Men&#x017F;chenge&#x017F;chlecht<lb/>
von mehrerlei Individuen ausgegangen &#x017F;ein oder ein ur&#x017F;prünglich gleicher,<lb/>
an Einem Ort ent&#x017F;tandener Men&#x017F;chentypus muß zur Zeit, da er noch<lb/>
weicher und bild&#x017F;amer war, unter den Einflüßen veränderter Sitze in die&#x017F;e<lb/>
Typen auseinandergegangen &#x017F;ein, und in beiden Fällen ver&#x017F;teht &#x017F;ich, daß,<lb/>
was am ur&#x017F;prünglich bild&#x017F;amen Stoffe ge&#x017F;chah, &#x017F;ich &#x017F;ofort verfe&#x017F;tigt und<lb/>
die gleichen Bedingungen an der eingewurzelten und verhärteten Form<lb/>
nicht mehr da&#x017F;&#x017F;elbe bewirken. Für die Ae&#x017F;thetik nun i&#x017F;t die&#x017F;e älte&#x017F;te<lb/>
Bildungsge&#x017F;chichte zwar gleichgiltig, aber das fortdauernde Zu&#x017F;ammen&#x017F;ein<lb/>
der Race mit der Natur, zu welcher ihr Typus gehört, eine we&#x017F;entliche<lb/>
Forderung; &#x017F;ie will den Kauka&#x017F;ier in &#x017F;einen breiten und milden Strom-<lb/>
thälern zwi&#x017F;chen Mittelgebirgen, an &#x017F;einen auffordernden Meerkü&#x017F;ten, &#x017F;ie<lb/>
will den Mongolen in &#x017F;einen Steppen, über &#x017F;eine Schneegefilde mit den<lb/>
&#x017F;chiefge&#x017F;tellten, &#x017F;chmalge&#x017F;chlitzten Augen hinblinzend, &#x017F;ie will den Neger in<lb/>
&#x017F;einen glühenden Sandwü&#x017F;ten, in &#x017F;einer er&#x017F;chlaffenden Tropen-Natur &#x017F;ehen.<lb/>
Allein freilich die&#x017F;e ent&#x017F;prechende Umgebung i&#x017F;t vielfach ver&#x017F;choben; der<lb/>
Mongole i&#x017F;t in die fruchtbaren Stromflächen Chinas gedrungen und zeigt<lb/>
&#x017F;ich hier in anderen Umgebungen, als in den Hoch&#x017F;teppen und Schnee-<lb/>
feldern des nördlichen A&#x017F;iens, wo ur&#x017F;prünglich &#x017F;eine Ge&#x017F;talt zu der breiten<lb/>
und ärmlichen Form einfror, die wir an ihm kennen; der Neger findet<lb/>
&#x017F;ich ebenfalls in ver&#x017F;chiedenen Zonen u. &#x017F;. w. Die&#x017F;e Ver&#x017F;chiebungen des<lb/>
Zu&#x017F;ammengehörigen bereiten jedoch hier keine Verlegenheit, denn aus dem<lb/>
Grunde, der unter N. 2 im §. ausge&#x017F;prochen i&#x017F;t, haben wir den Racen-<lb/></hi> </p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0188] rein menſchliche Typus, welcher zugleich mit dem ſchönen Gleichgewichte des Temperaments und der Anlagen nur in dieſer Race ausgebildet iſt. Die andern, mehr oder weniger thierähnlichen Racen können daher nur in unterordnender Zuſammenſtellung und Contraſt mit ihr als äſthetiſcher Stoff auftreten. 1. Bisher war von ſolchen anthropologiſchen Formen die Rede, welche das Menſchengeſchlecht überall begleiten und daher, wiewohl ſie Differenzen enthalten, allgemeiner Art ſind; jetzt wird zu feſtſtehenden Unterſchieden, welche jene allgemeinen Formen ſelbſt in ihre Kreiſe ziehen, übergegangen und zwar natürlich zunächſt von der Verzweigung der Familien zu den Racen. Die Aeſthetik hat ſich nicht in die ſchwierige Frage nach der Entſtehung derſelben einzulaſſen; wenn man aber dagegen, daß die klimatiſchen und anderweitig phyſikaliſchen Beſtimmtheiten der Wohnſitze die Urſache dieſer Abartungen ſei, die bekannte Beobachtung geltend machen will, daß in einerlei Erdſtrich jetzt verſchiedene Racen auftreten und daß eine Race, in einen anderen Erdſtrich verſetzt, keines- wegs von ihrem Typus laſſe, ſo iſt dieß keine Widerlegung. Die Racen müſſen entweder auf verſchiedenen Punkten nach Maßgabe der telluriſchen und klimatiſchen Bedingungen entſtanden und ſo das Menſchengeſchlecht von mehrerlei Individuen ausgegangen ſein oder ein urſprünglich gleicher, an Einem Ort entſtandener Menſchentypus muß zur Zeit, da er noch weicher und bildſamer war, unter den Einflüßen veränderter Sitze in dieſe Typen auseinandergegangen ſein, und in beiden Fällen verſteht ſich, daß, was am urſprünglich bildſamen Stoffe geſchah, ſich ſofort verfeſtigt und die gleichen Bedingungen an der eingewurzelten und verhärteten Form nicht mehr daſſelbe bewirken. Für die Aeſthetik nun iſt dieſe älteſte Bildungsgeſchichte zwar gleichgiltig, aber das fortdauernde Zuſammenſein der Race mit der Natur, zu welcher ihr Typus gehört, eine weſentliche Forderung; ſie will den Kaukaſier in ſeinen breiten und milden Strom- thälern zwiſchen Mittelgebirgen, an ſeinen auffordernden Meerküſten, ſie will den Mongolen in ſeinen Steppen, über ſeine Schneegefilde mit den ſchiefgeſtellten, ſchmalgeſchlitzten Augen hinblinzend, ſie will den Neger in ſeinen glühenden Sandwüſten, in ſeiner erſchlaffenden Tropen-Natur ſehen. Allein freilich dieſe entſprechende Umgebung iſt vielfach verſchoben; der Mongole iſt in die fruchtbaren Stromflächen Chinas gedrungen und zeigt ſich hier in anderen Umgebungen, als in den Hochſteppen und Schnee- feldern des nördlichen Aſiens, wo urſprünglich ſeine Geſtalt zu der breiten und ärmlichen Form einfror, die wir an ihm kennen; der Neger findet ſich ebenfalls in verſchiedenen Zonen u. ſ. w. Dieſe Verſchiebungen des Zuſammengehörigen bereiten jedoch hier keine Verlegenheit, denn aus dem Grunde, der unter N. 2 im §. ausgeſprochen iſt, haben wir den Racen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/188
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/188>, abgerufen am 23.04.2024.