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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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Grund im menschlichen Gemüthe. Was eine Quelle heißen will, weiß
man freilich nicht, wenn man es nie anders erlebt hat, als daß das Wasser
vom Brunnen in ärmlichem Gefäß in's Haus getragen wird. Zwar auch
gefaßt als Brunnen ist sie noch poetisch, wenn die Fassung die ganze
Bedeutung dieses aus dunklem Erdschooße hervorsprudelnden, reinen,
labenden Ursprünglichen edel anzeigt, besonders, wenn sie der aus einer
Felsengrotte hervorsprudelnden Quelle zu Hilfe kommt. Und weil hier doch
überall schon an menschliche Zustände, an die Sphären des Bedürfnisses
und Genusses, an die Formen der Befriedigung erinnert werden darf --
wiewohl dieß Alles seinen eigentlichen Ort anderswo hat -- so sei auch
auf die Poesie des Wasserholens, wenn die Formen (z. B. die der Gefäße
und der Art, sie zu tragen) nicht prosaisch sind, und namentlich auf die
herrliche Stelle in Werthers Leiden hingewiesen. Durch eine solche Vor-
ausnahme hätte auch beim Schnee an das Schlittenfahren, beim Eis an
das Schlittschuhlaufen erinnert werden dürfen und kann der vorliegende §.,
wo von den Flüßen die Rede ist, ihre Bedeutung für den Völkerverkehr
hervorheben. -- Daß das einförmige Murmeln, Plätschern, Rauschen der
Wasser mit dem Gefühle des Frischen, Lebendigen zugleich den Eindruck
des Erhabenen der Zeit hervorrufe, bedarf nur einer Berufung auf die
allgemeine Erfahrung, der übrige Inhalt des §. aber keiner Erläuterung.

2. Ein Teich ist etwas Unbedeutendes, aber wo er in einer gewissen
Umschattung von Pflanzen getroffen wird, da begegnet das dunkle, dämmernde,
kühlende, durchsichtige Element als etwas Heimliches und Befreundetes, denn
der Mensch fühlt sich immer zu Hause, wo er Wasser findet, und zwar
nicht nur wegen des Bedürfnisses, sondern weil es vermöge seiner Durch-
sichtigkeit ihn immer wie etwas Geistverwandtes anspricht. Soll auch von
Sümpfen die Rede sein, so weiß man wie düster erhaben versumpfte
Gegenden mit Spuren früherer Cultur wirken, z. B. die Gegend von Pästum.
Bei Seen kommt es nun ebenfalls namentlich auf die Umgebung und Local-
farbe ihres Wassers an, wie sie wirken. Anders erscheint ein See in tiefem
Kessel, wie der Albaner-See, anders in breiter Fläche mit fernen Bergen,
wie der Bodensee, in der weiten Ebene, zwischen Bergen, auf hohem Gebirge,
wie der finstere, vom Volke mit Elfen bevölkerte Mummelsee auf dem
Schwarzwalde. -- Dem Meere scheint von den vereinigten Schönheiten
und Erhabenheiten des Wassers nur das Fortziehen zu fehlen, doch auch
davon hat es etwas in Ebbe und Fluth.


Grund im menſchlichen Gemüthe. Was eine Quelle heißen will, weiß
man freilich nicht, wenn man es nie anders erlebt hat, als daß das Waſſer
vom Brunnen in ärmlichem Gefäß in’s Haus getragen wird. Zwar auch
gefaßt als Brunnen iſt ſie noch poetiſch, wenn die Faſſung die ganze
Bedeutung dieſes aus dunklem Erdſchooße hervorſprudelnden, reinen,
labenden Urſprünglichen edel anzeigt, beſonders, wenn ſie der aus einer
Felſengrotte hervorſprudelnden Quelle zu Hilfe kommt. Und weil hier doch
überall ſchon an menſchliche Zuſtände, an die Sphären des Bedürfniſſes
und Genuſſes, an die Formen der Befriedigung erinnert werden darf —
wiewohl dieß Alles ſeinen eigentlichen Ort anderswo hat — ſo ſei auch
auf die Poeſie des Waſſerholens, wenn die Formen (z. B. die der Gefäße
und der Art, ſie zu tragen) nicht proſaiſch ſind, und namentlich auf die
herrliche Stelle in Werthers Leiden hingewieſen. Durch eine ſolche Vor-
ausnahme hätte auch beim Schnee an das Schlittenfahren, beim Eis an
das Schlittſchuhlaufen erinnert werden dürfen und kann der vorliegende §.,
wo von den Flüßen die Rede iſt, ihre Bedeutung für den Völkerverkehr
hervorheben. — Daß das einförmige Murmeln, Plätſchern, Rauſchen der
Waſſer mit dem Gefühle des Friſchen, Lebendigen zugleich den Eindruck
des Erhabenen der Zeit hervorrufe, bedarf nur einer Berufung auf die
allgemeine Erfahrung, der übrige Inhalt des §. aber keiner Erläuterung.

2. Ein Teich iſt etwas Unbedeutendes, aber wo er in einer gewiſſen
Umſchattung von Pflanzen getroffen wird, da begegnet das dunkle, dämmernde,
kühlende, durchſichtige Element als etwas Heimliches und Befreundetes, denn
der Menſch fühlt ſich immer zu Hauſe, wo er Waſſer findet, und zwar
nicht nur wegen des Bedürfniſſes, ſondern weil es vermöge ſeiner Durch-
ſichtigkeit ihn immer wie etwas Geiſtverwandtes anſpricht. Soll auch von
Sümpfen die Rede ſein, ſo weiß man wie düſter erhaben verſumpfte
Gegenden mit Spuren früherer Cultur wirken, z. B. die Gegend von Päſtum.
Bei Seen kommt es nun ebenfalls namentlich auf die Umgebung und Local-
farbe ihres Waſſers an, wie ſie wirken. Anders erſcheint ein See in tiefem
Keſſel, wie der Albaner-See, anders in breiter Fläche mit fernen Bergen,
wie der Bodenſee, in der weiten Ebene, zwiſchen Bergen, auf hohem Gebirge,
wie der finſtere, vom Volke mit Elfen bevölkerte Mummelſee auf dem
Schwarzwalde. — Dem Meere ſcheint von den vereinigten Schönheiten
und Erhabenheiten des Waſſers nur das Fortziehen zu fehlen, doch auch
davon hat es etwas in Ebbe und Fluth.


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[64/0076] Grund im menſchlichen Gemüthe. Was eine Quelle heißen will, weiß man freilich nicht, wenn man es nie anders erlebt hat, als daß das Waſſer vom Brunnen in ärmlichem Gefäß in’s Haus getragen wird. Zwar auch gefaßt als Brunnen iſt ſie noch poetiſch, wenn die Faſſung die ganze Bedeutung dieſes aus dunklem Erdſchooße hervorſprudelnden, reinen, labenden Urſprünglichen edel anzeigt, beſonders, wenn ſie der aus einer Felſengrotte hervorſprudelnden Quelle zu Hilfe kommt. Und weil hier doch überall ſchon an menſchliche Zuſtände, an die Sphären des Bedürfniſſes und Genuſſes, an die Formen der Befriedigung erinnert werden darf — wiewohl dieß Alles ſeinen eigentlichen Ort anderswo hat — ſo ſei auch auf die Poeſie des Waſſerholens, wenn die Formen (z. B. die der Gefäße und der Art, ſie zu tragen) nicht proſaiſch ſind, und namentlich auf die herrliche Stelle in Werthers Leiden hingewieſen. Durch eine ſolche Vor- ausnahme hätte auch beim Schnee an das Schlittenfahren, beim Eis an das Schlittſchuhlaufen erinnert werden dürfen und kann der vorliegende §., wo von den Flüßen die Rede iſt, ihre Bedeutung für den Völkerverkehr hervorheben. — Daß das einförmige Murmeln, Plätſchern, Rauſchen der Waſſer mit dem Gefühle des Friſchen, Lebendigen zugleich den Eindruck des Erhabenen der Zeit hervorrufe, bedarf nur einer Berufung auf die allgemeine Erfahrung, der übrige Inhalt des §. aber keiner Erläuterung. 2. Ein Teich iſt etwas Unbedeutendes, aber wo er in einer gewiſſen Umſchattung von Pflanzen getroffen wird, da begegnet das dunkle, dämmernde, kühlende, durchſichtige Element als etwas Heimliches und Befreundetes, denn der Menſch fühlt ſich immer zu Hauſe, wo er Waſſer findet, und zwar nicht nur wegen des Bedürfniſſes, ſondern weil es vermöge ſeiner Durch- ſichtigkeit ihn immer wie etwas Geiſtverwandtes anſpricht. Soll auch von Sümpfen die Rede ſein, ſo weiß man wie düſter erhaben verſumpfte Gegenden mit Spuren früherer Cultur wirken, z. B. die Gegend von Päſtum. Bei Seen kommt es nun ebenfalls namentlich auf die Umgebung und Local- farbe ihres Waſſers an, wie ſie wirken. Anders erſcheint ein See in tiefem Keſſel, wie der Albaner-See, anders in breiter Fläche mit fernen Bergen, wie der Bodenſee, in der weiten Ebene, zwiſchen Bergen, auf hohem Gebirge, wie der finſtere, vom Volke mit Elfen bevölkerte Mummelſee auf dem Schwarzwalde. — Dem Meere ſcheint von den vereinigten Schönheiten und Erhabenheiten des Waſſers nur das Fortziehen zu fehlen, doch auch davon hat es etwas in Ebbe und Fluth.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/76>, abgerufen am 19.04.2024.